Beschreibung
Maggie lebt an der schottischen Küste, eine unwirtliche Gegend der schroffen Felsen und des brausenden Meeres, aber auch der atemberaubenden Schönheit. Als ihr Verlobter William, Bootsführer der Küstenwache, von der Ankunft von Schmuggelware erfährt, steht sie vor einem Dilemma: Ausgerechnet ihr hoch verschuldeter Vater ist in dieses Verbrechen verwickelt, und seine Festnahme hätte schreckliche Folgen. In einer stürmischen Nacht wagt Maggi, hin- und hergerissen zwischen ihrer Liebe zu William und der zu ihrem Vater, einen gefährlichen Versuch, um beide zu schützen.
Autorenportrait
Bram Stoker wurde 1847 in der Nähe von Dublin geboren. Nach dem Studium schlug er sich als unbezahlter Theaterkritiker und Zeitschriftenherausgeber durch, später wurde er Theatermanager von Henry Irving und Agent von Mark Twain. Von den zehn Büchern, die er in seiner Freizeit veröffentlichte, fand nur "Dracula" internationale Anerkennung; den Erfolg des bekanntesten Horrorromans der Weltliteratur erlebte er nicht mehr. Bram Stoker starb 1912 in London.
Leseprobe
ERSTES KAPITEL Es drohte eine stürmische Nacht zu werden. Den ganzen Tag über waren vom Meer Nebelschwaden herangetrieben und fortgeschwebt, waren vom Südwestwind, der in Cruden Bay und eigentlich entlang der ganzen Küste von Aberdeenshire so unheilvoll weht, an Land gefegt worden und hatten sich in den zugigen Weiten des dahinterliegenden Hochlands verloren. Bislang gab es nur Böen, stets gefolgt von vorübergehenden ominösen Kalmen, doch das Barometer war seit Tagen gefallen, und am Vorabend hatte man am Himmel Schleierwolken gesehen, die in Richtung des gefährlichen Windes verliefen. Bis zum frühen Morgen kam der Wind aus Südwest, doch dann drehte er auf Südost; und die plötzliche Veränderung wirkte, nicht weniger als das Drehen, tatsächlich bedrohlich. Von der Meereswüste hörte man ein beständiges und gedämpftes Brüllen, das scheinbar am lautesten war und besonders vor dem Kommenden warnte, wenn es durch die geheimnisvollen wandernden Nebelschwaden drang. Wann immer die Nebelgürtel sich hoben oder zerstreuten oder getrieben von den Windstößen landeinwärts verschwanden, sah das Meer aus, als hätte wachsender Zorn es aufgewühlt; denn obwohl es weder die für den Sturm üblichen großen Wellen noch eine starke Dünung wie nach einem Unwetter gab, war die gesamte Wasseroberfläche, so weit das Auge reichte, mit kleinen, weiß gekrönten Wellen bedeckt. Im Laufe des Tages rückten diese Wellen enger zusammen, wobei das weiße Wasser am Kamm noch wütender schäumte. In der Nordsee dauert es nicht lang, bis der Seegang heftiger wird, und entlang der ganzen Ostküste von Buchan war man sich sicher, dass es hart auf hart kommen würde, ehe die Nacht vorüber war. In dem Wachhäuschen auf der Spitze der Klippe über dem winzigen Hafen Port Erroll ging der diensttuende Mann der Küstenwache hastig hin und her. Gelegentlich blieb er stehen, nahm ein Fernglas vom Schreibtisch und suchte den Horizont ab, von Girdleness im Süden Aberdeens, wenn der aufsteigende Nebel ihm einen Blick jenseits der Scaurs gewährte, bis nach Norden, wo die hohen Kräne der Blackman-Steinbrüche bei Murdoch Head den Himmel zu spalten schienen wie gewaltige Galgenbäume. Der Mann war offensichtlich aufgeregt, und so wie er immer wieder nacheinander das Martin- Henry-Gewehr im Ständer, den mit der Mündung nach unten auf einem Bolzen steckenden Revolver der Navy und das in seiner Scheide an der Wand hängende Entermesser anstarrte, hatte seine Anspannung eindeutig mit seiner Arbeit bei der Küstenwache zu tun. Auf dem Schreibtisch lag ein geöffnetes Telegramm, glatt gestrichen von seinen harten Händen, daneben der braune Umschlag. Die Nachricht ließ seine Aufregung einigermaßen verständlich erscheinen, obwohl sie keine Details enthielt: 'Passen Sie heute Nacht gut auf; Schmuggellieferung erwartet; keine Mühe scheuen; sehr wichtig.' William Barrow, weit und breit als Sailor Willy bekannt, war ziemlich jung, um als oberster Bootsführer im Dienst der Küstenwache zu stehen, auch wenn seine Station eine der kleinsten der Gegend war. Da er seinem Leutnant das Leben gerettet hatte, durfte er als Belohnung der Behörde beitreten und wurde darüber hinaus befördert, als Dank für seine geschickte Verhaftung von Schmugglern, bei der er nicht nur großen Mut, sondern auch Tatkraft und Improvisationstalent bewiesen hatte. Die Küste von Aberdeen zu schützen ist besonders wichtig, aufgrund der zahlreichen Fischerschmacken, die in der Fangsaison von Peterhead ausschwärmen und hinaus auf die Nordsee bis nach Deutschland und Holland fahren. Dieses gewaltige Kommen und Gehen bietet unendliche Gelegenheiten für Schmuggel; und trotz aller Wachsamkeit findet eine beträchtliche Menge 'Stoff' seinen Weg zu den Konsumenten, ohne vom Zoll geprüft worden zu sein. Der Fischhandel ist ein schnelles Geschäft, und die Fischer kehren alle gleichzeitig heim, sodass eine wahrhaft riesige Schar von Beamten erforderlich wäre, um die tausend Schmacken angemessen zu überprüfen, die den Hafen von Peterhead nutzen und an Sonntagen seine Becken mit einer geschlossenen Masse von Booten füllen. Rund vierzig Meilen weiter südlich ist die Küste für diesen Schwarzhandel wie geschaffen. Die Felsen aus Gneis und Granit, aufgebrochen durch alle möglichen Erschütterungen der Natur und vom Zahn der Zeit zu jeder denkbaren Form steiniger Schönheit geschliffen, bieten eine unendliche Vielzahl schmaler Buchten und Baien, wo die Draufgänger, die Felsen und Strömungen und Gezeiten kennen, mit ihren Booten heimlich und schnell ein- und auslaufen können. In dieser Saison wurde hauptsächlich offen geschmuggelt - das heißt, man brachte die Waren zwischen den Fischen und Netzen in den Hafen und karrte sie unter den Augen der ahnungslosen Zollbeamten durch die Straßen. Der jeweilige Fang war zuweilen so groß, dass die Behörden zu dem Schluss kamen, der gesamte Schwarzhandel müsse enorm sein. Die Geheimagenten in den deutschen, holländischen, flämischen und französischen Häfen wurden ersucht, sich größere Mühe zu geben, den Umfang des Schmuggels aufzudecken, und ihre nachfolgenden Berichte fielen fast schon erschreckend aus. Sie gaben an, dass tatsächlich riesige Mengen Tabak, Brandy, Rum, Seide, Spitze und alle möglichen steuerpflichtigen Waren heimlich in der britischen Fischereiflotte verschifft wurden; und da man nur einen winzigen Bruchteil davon aufspürte, sei davon auszugehen, dass dieser verbotene Handel wieder einmal im großen Stil betrieben wurde. Man verdoppelte also die Vorsichtsmaßnahmen entlang der ganzen, von den Fischereiflotten frequentierten Ostküste. Die Küstenwachen wurden nicht nur vor der Gefahr und vor Tricks gewarnt, mit denen sie in heiklen Stunden von der Arbeit abgehalten werden mochten, sondern auch über jede neue Lieferung aus dem Ausland informiert. Zudem wurden Kriminalbeamte in Gegenden geschickt, wo man die Wachposten für nachlässig hielt oder ihnen noch Schlimmeres nachsagte.