Beschreibung
Das Thomasevangelium zieht eine besondere Aufmerksamkeit auf sich. Bei keiner anderen außerkanonischen Schrift wird derartig kontrovers diskutiert, ob sie frühe Jesus-Traditionen enthält, die noch nicht von den Deutungsversuchen des frühen Christentums überformt sind. Lange Zeit wurde die Forschung durch die Frage dominiert, ob sich auf der Basis der koptischen Übersetzung und den griechischen Fragmenten des Thomasevangeliums frühere Textstadien rekonstruieren lassen, die neue Erkenntnisse über die Worte und Taten Jesu und über die Identitätsfindungsprozesse der frühen Jesusbewegung ermöglichen. Eine vernachlässigte Aufgabe besteht jedoch darin, das koptische Thomasevangelium als ein eigenständiges Zeugnis zu würdigen. Bisher wurde auch nur selten analysiert, zu welchen konkreten gnostischen Traditionsbildungen sich Bezüge erkennen lassen und in welchem Verhältnis es zu weiteren gnostischen Originalzeugnissen steht. Dieser Aufgabe widmet sich Enno Edzard Popkes, indem er das Menschenbild des Thomasevangeliums analysiert, in welchem das theologische Profil dieses Werkes eindrücklich zu Tage tritt. Dabei zeigt sich, daß das koptische Thomasevangelium inhaltlich-sachlich und argumentations- und kompositionstechnisch als ein gnostisches Werk verstanden werden kann. Es handelt sich nicht nur um ein 'frühgnostisches' Werk, in welchem lediglich ansatzweise Konzeptionen vorliegen, die in späteren gnostischen Traditionsbildungen ausgearbeitet werden. Die einzig vollständig erhaltene Fassung des Thomasevangeliums setzt vielmehr ein bereits voll entwickeltes gnostisches Menschenbild voraus.
Geboren 1969; Studium der Theologie und Philosophie; 2004 Promotion; 2007 Habilitation; seit 2010 Professor für Geschichte und Archäologie des frühen Christentums und seiner Umwelt am Institut für Neues Testament und Judaistik an der Theologischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
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