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Die merkwürdigen Zufälle des Lebens

Roman

Erschienen am 21.08.2002
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783312003051
Sprache: Deutsch
Umfang: 160 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 21.5 x 12.2 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Marcelino bereitet gerade einen Vortrag vor, als er einen Brief von seiner Geliebten erhält. Darin stellt sie ihm ein Ultimatum: Entweder er trennt sich noch heute von seiner Frau, oder sie wird ihn für immer verlassen. Unter dem Eindruck des drohenden Desasters beschließt Marcelino sein Leben zu ändern. Schriftsteller und Spione, geheime Liebschaften und Voyeure, eine kleine Familie und ihr kühnes Oberhaupt: kunstvoll, komisch und temporeich zeigt der Roman über den Tag im Leben eines Schriftstellers, wie sich übermäßige Neugier zuweilen fatal auf die Gesundheit auswirken kann.

Autorenportrait

Enrique Vila-Matas, 1948 in Barcelona geboren, ist in Spanien und Lateinamerika einer der bekanntesten und wichtigsten Gegenwartsautoren. Er hat seit 1973 zehn Romane und zahlreiche Erzählungen geschrieben, die in siebenundzwanzig Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet wurden. Vila-Matas lebt und arbeitet heute in Barcelona.

Leseprobe

Als ich mir eine Zigarette anzündete, vernebelte der aufsteigende Tabakqualm mir auf einmal die Sicht. Das half meinen Gedanken auf die Sprünge, und so kam mir spontan der Tag in den Sinn, an dem ich Salvador Dalí ausspioniert hatte. Ich schloss das Fenster, durch das die Kälte des Wintermorgens hereinzog, und schob das Bild von der Irren vor der Bodegatür beiseite. Die Erinnerung an den Tag, als ich Dalí nachspioniert hatte, tauchte so deutlich wieder vor mir auf, fast wie ein Gottesgeschenk, dass ich zufrieden zu grinsen begann. Wie Graham Greene Jahre später, hatte Dalí damals von oben mit einem Gegenstand nach mir geworfen; doch ansonsten, so fand ich, waren beide Szenen kaum vergleichbar. Als ich Dalí seinerzeit ausspionierte, war ich erstens noch ein Kind und handelte zweitens, anders als bei Greene, nicht aus eigenem Antrieb. Ich fand, ich sollte im Vortrag erwähnen, dass ich von meiner Mutter zum Spionieren angehalten wurde - zum bewussten Spionieren, denn vorher hatte ich schon unbewusst spioniert -, und dann erzählen, wie ich dabei herausfand, dass es ungeheuer amüsant war. Ich wollte auch nicht verschweigen, was für ein Vergnügen das Spionieren bereiten kann, höchstens noch der Leidenschaft für das Glücksspiel vergleichbar; und ich würde erklären, dass Spionieren einfach herrlich ist und dass es meines Erachtens überhaupt nichts Tolleres im Leben gibt. Meine Mutter erschloss mir die unendlichen Wonnen des Spionierens. Obwohl sie es nie zugeben wollte, besaß sie schon immer eine tiefe Neigung zum Spionieren. Die hatte sie von ihrem Vater geerbt, der in seinen letzten Lebensjahren mit unverdrossener Hingabe alles erkundete, von dem er dachte, es könne überirdisch sein. Von ihm hatte meine Mutter wohl diesen Hang, allen Menschen nachzuspionieren, von denen sie glaubte, sie verkörperten etwas Göttliches, was erklären mag, warum sich ausgerechnet an dem Tag, als wir, meine Mutter, mein Vater, mein Bruder Máximo und ich, uns in unserem nagelneuen Sechshunderter auf dem Weg nach Cadaqués befanden, alle geheimen Mächte des Universums verschworen, um uns nach Port Lligat in der Nähe von Cadaqués zu locken, denn wir wollten unbedingt den Ort kennen lernen, wo Salvador Dalí lebte. Gegen Mittag, kurz vor Port Lligat, fiel mir auf, dass meine Mutter unruhig wurde. Ihre Aufregung steckte uns schließlich an, als wir plötzlich Dalí entdeckten, der in Gesellschaft einiger Gäste auf der Terrasse seines Hauses zu Mittag speiste. Nie hätte meine Mutter zu hoffen gewagt - und wir schon gar nicht -, dass wir das Genie des Ampudán so problemlos zu Gesicht bekommen und beobachten könnten, wie er sich auf dieser aufsehenerregenden, von zwei Rieseneiern gekrönten Terrasse bewegte. Auf Anweisung meiner Mutter hielt mein Vater sofort und zog in der letzten Kurve auf der Straße, die nach Port Lligat hinabführte, die Handbremse an. Es war ein einmaliger, unvergesslicher Augenblick. In unseren Sechshunderter eingepfercht, begannen wir, meine Mutter, mein Bruder, mein Vater und ich, in ehrfurchtsvollem Schweigen jedes noch so winzige Detail dieses Mittagessens unter den Rieseneiern - quasi eine Sondervorführung für uns - zu beobachten. Eine ganze Weile verfolgten wir alles, bis meine Mutter plötzlich auf ihre typisch heisere Art sagte, sie würde sich nicht von der Stelle rühren, bis sie wüsste, ob der Tagesablauf eines Genies, sein Schlaf, seine Verdauung, seine Fingernägel, seine Erkältungen, sein Blut, sein Leben und sein Tod sich wirklich wesentlich von den Gewohnheiten der restlichen Menschheit unterschieden. "Verrat mir mal, wie du das herausfinden willst", sagte mein Vater. Leseprobe