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Gesammelte Erzählungen

Erschienen am 01.04.1998
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442723591
Sprache: Deutsch
Umfang: 384 S.
Format (T/L/B): 2.5 x 18.6 x 12.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Ein repräsentativer Querschnitt durch ein einzigartiges Schriftstellerleben Erzählungen Stefan Heyms aus 5 Jahrzehnten, von 1933-1983: frühe Kurzgeschichten des jungen Emigranten aus seiner Prager Zeit, ein Bericht aus seiner Studienzeit in Chicago, Stories aus der New Yorker Zeit und Erzählungen, die in Berlin, nach der Rückkehr des Autors nach Deutschland entstanden sind.

Autorenportrait

Stefan Heym, 1913 in Chemnitz geboren, emigrierte, als Hitler an die Macht kam. In seiner Exilheimat New York schrieb er seine ersten Romane. In den 50er Jahren, gefährdet durch die Intellektuellenverfolgung des Senators McCarthy, kehrte er nach Europa zurück und fand Zuflucht, aber auch neue Schwierigkeiten in der DDR. Als Romancier und streitbarer Publizist wurde er vielfach ausgezeichnet und international bekannt und gilt heute als einer der bedeutenden Autoren der deutschen Literatur des 20. Jahrhunderts. Er starb 2001.

Leseprobe

Marius Es ist ein halbdunkler Kellerraum. Durch ein kleines Loch in der Wand, Fenster genannt, fällt, je nachdem die Wolken draußen sich lichten oder zusammenballen, stärkeres oder schwach zitterndes Licht ein. Ein großer, für das niedere Gemach zu großer Mann geht darin auf und ab, manchmal rüttelt er an der Tür, sein Gesicht rötet sich, dick schwillt eine Ader auf seiner kurzen Stirn - dann flucht er, grob, bäurisch, und fährt sich mit eigenartig täppischer, Verzweiflung bedeutender Gebärde über sein glatt geschorenes, fast weißes Haar. Seine Toga ist grau und befleckt, die Purpurstreifen des Consuls hat er abgetrennt vor seiner Flucht, aber man hat ihn natürlich doch erkannt und geschnappt - wer kennt ihn denn nicht, Marius, zum sechsten Male Consul gegen das Gesetz, Sieger über Jugurtha, den Neger, über die aufrührerischen Italiker, über Cimbern und Teutonen? Er sieht seine Hände durch den Dämmer schimmern - es war falsch, sagt er sich. Das sind nicht mehr Soldatenhände, weiß und weich sind sie geworden, Hände eines Politikers und doch zu ungeschickt für dieses lügenhaft-feine Spiel. Solange er General war, solange sie ihn brauchten mit seinen Legionen: in Afrika, in den Alpen, in Asien - so lange erkannten sie ihn an, die noblen Herren, denen er schon als Volkstribun erheblich auf die Finger geklopft hatte. Jedoch hinter seinem Rücken - oh, das hatte er immer gewußt, sollten sie nur nicht glauben, daß er so dumm sei -, hinter seinem Rücken rümpften sie die Nasen, ihre vornehmen, wenn er beim Essen sich gehen ließ, aufstieß und hochzog, schnalzte und schlürfte. Aber ins Gesicht waren sie fein devot, er war der Herr der Legionen, abgöttisch verehrten ihn die Soldaten - nun nicht mehr, nun nicht mehr, seit jener gekommen war, der immer dann auftauchte, wenn der Gipfel des Ruhms erreicht zu sein schien, der Zaunkönig, den er, Marius, der Adler, mit in die Höhe getragen hatte und der nun noch einen Meter höher flog und frech grinste, das listige Gigerl, das sich nicht anstrengte, dem alles in den Schoß fiel, der adrette Schleimer, der im Feldlager immer saubere Fingernägel und parfümierte Damen hatte, dieser Sulla. Den haßt er, den und seine Freunde, die Nobiles, die adligen Gauner - einmal, zweimal hatte er sie geschröpft, Proskriptionslisten hatte er anschlagen lassen, wenn der Sulla nicht da war, in Afrika kommandierte oder Asien - aber flink war Sulla, plötzlich wieder vor Rom, mit unheimlicher Ubermacht, das Gigerl war feiner, er konnte da nicht mit. Jetzt ist er sein Gefangener - oh, wie er ihn haßt! Was waren die Cimbern und Teutonen dagegen! Die waren ihm eigentlich sympathisch gewesen, Riesen wie er, Soldaten wie er, mit großen, starkbusigen Weibern, wie er sie liebte - mit diesen Burschen konnte man sich herumschlagen, die waren zu fassen, bei Aquae Sextiae, bei Vercellae - der andere war eine Schlange, schoß plötzlich hervor, war nicht zu berechnen, schillernd, glatt; da war er machtlos, Marius, Bauernsohn, Prolet, General und Diktator, so oft es in Rom an allen Ecken brannte. Wieder rüttelt er an der Tür. Es kann doch nicht sein, daß man ihn in diesem Loch verhungern läßt wie eine alte Katze! Die Tür geht auf. Plötzlich ergießt sich Licht in den Raum, helles, fließendes Licht. Man sieht den Schmutz auf Marius, die eingefallenen Wangen, den verwahrlosten, stoppligen Bart. Erst ist Marius geblendet. Dann erkennt er, daß eine Gestalt sich von der Tür löst, unerhört groß, riesenhafter noch als er selber, ein blitzendes Schwert in der Hand, die Ohrläppchen von einem Pfriemen durchbohrt, rötliches Haar - ein germanischer Sklave. Der Henker. Marius fühlt nichts. Er erschrickt nicht, obzwar das Ende in Sekundennähe vor ihm steht. Er versinkt in eine Art Narkose, die aber nur das Gefühl, die Angst, nicht aber den Geist betäubt. Immer kam diese wohltätige Ruhe in entscheidenden Momenten. 'Zurück!' schreit er den Henker an. Bei dieser Stimme fährt der Sklave zusammen. Alte Erinnerungen quellen aus dem Unterbewu Leseprobe

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