Beschreibung
Die Odysse eines Akkordeons durch 100 Jahre amerikanische Geschichte. Ein grünes Akkordeon, 1890 in Sizilien gefertigt, gelangt mit seinem ersten Besitzer nach Amerika. Fast 100 Jahre lang erlebt es eine Odyssee durch den Kontinent, wird gestohlen, verkauft, verpfändet und verschenkt und begleitet die Nachfahren verschiedener Einwanderersippen auf ihrer Suche nach einem besseren Leben. Der Roman, voll Musik und Leidenschaft, voll Schmerz und Gewalt, erzählt von der Geschichte Amerikas und vom Schicksal der Menschen, die es schufen.
Autorenportrait
Annie Proulx wurde für ihre Romane und Erzählungen mit allen wichtigen Literaturpreisen Amerikas ausgezeichnet, dem PEN/Faulkner Award, dem Pulitzerpreis, dem National Book Award sowie dem Irish Times International Fiction Prize. Außerdem wurde sie in die American Academy of Arts and Letters aufgenommen. Die Verfilmung ihrer legendären Kurzgeschichte 'Brokeback Mountain' wurde 2005 mit drei Oscars ausgezeichnet. Annie Proulx lebt in New Hampshire.
Leseprobe
Das Instrument Sein Auge war wie ein Ohr, in dem es jedesmal knisterte, wenn er einen Blick auf das Akkordeon warf. Es lag auf der Werkbank, der Lack schimmernd wie frisches Harz. Licht träufelte über Perlmutt, die neunzehn blanken Knöpfe, blinkte in zwei kleinen ovalen, schwarzumrandeten Spiegeln, Augen, die sich gegen Augen stemmten, gegen das giftige Starren eines jeden, der den malocchio besaß, bereit, den bösen Blick ins böse Auge zurückzuwerfen. Das Verdeck hatte er mit einer Diamantsäge aus einer Messingblechplatte geschnitten, mit einem Muster von Pfauenfedern und Olivenlaub. Die Haspen und Schloßbleche, mit denen das Gehäuse auf beiden Seiten am Balgrahmen befestigt war, die Messingschrauben, den Stimmstock aus Zink, die empfindlichen Wellen und die Zungen selbst, aus Stahl, das gut abgelagerte tscherkessische Walnußholz für das Gehäuse, all dies hatte er gekauft. Aber alles andere hatte er selbst angefertigt: die V-förmigen Drahtfedern mit den Spirallöchern, die unter den Knöpfen steckten und sie wieder in die Ausgangsposition schnellten, sobald die Finger vorübergetanzt waren, die Knöpfe, die Hebeldrähte. Der gefältelte Balg, die ledernen Luftklappen und Dichtungen, die eingeschnittenen Eckversteifungen, die Klappendeckel, dies alles stammte von einer Ziege, der er selbst die Kehle durchschnitten und deren Haut er mit Aschenkalk, Hirn und Talg gegerbt hatte. Der Balg hatte achtzehn Falten. Die Holzteile, aus harter Walnuß, die sich auch bei Feuchtigkeit nicht verzog, hatte er zurechtgesägt und geschmirgelt, den schädlichen Staub dabei eingeatmet. Das Gehäuse ließ er nach dem Aufleimen sechs Wochen antrocknen, bevor er die Arbeit fortsetzte. Gewöhnliche Akkordeons zu bauen interessierte ihn nicht. Er hatte seine eigene Theorie, seine Vorstellung davon, wie ein gutes Instrument gebaut sein mußte, und mit diesem hier als Muster gedachte er in La Merica sein Glück zu machen. Mit einer Stimmgabel und nach Gehör stellte er die Quarten und dann die Quinten ein, so daß ein wenig Dissonanz blieb, schneidend und doch wohltuend. Auf sein Ohr war Verlaß, er konnte Harmonien im Knarren von Türangeln hören. Die Knöpfe öffneten und schlossen die Klappen ohne Verzug, mit einem leisen Klicken wie von Würfeln in der Hand eines Spielers. Aus einiger Entfernung klang das Instrument schrill und klagend, es ließ die Hörer an die Brutalitäten der Liebe denken und an mancherlei Hunger. Die Töne kamen beißend scharf, der Zahn, der zubiß, schien von Schmerz ausgehöhlt zu sein. Die Welt ist eine Treppe Der Akkordeonbauer war behaart und muskulös und hatte einen dichten schwarzen Schopf über dem hübschen Gesicht, Ohren wie Zuckergußkringel; die Iris der Augen bernsteinfarben. In seiner Jugend hatte er unter dem Spitznamen >Hühnerauge< zu leiden. Mit zwanzig kündigte er seinem Vater, einem Grobschmied, den Gehorsam auf, ging aus dem Dorf weg nach Norden und fand Arbeit in den Akkordeonwerkstätten von Castelfidardo. Sein Vater verfluchte ihn, und sie redeten nicht mehr miteinander. Er kam zurück, als seine Verlobte Alba ihm Nachricht gab, sie könnten ein Stück Land pachten, mit einem schmalen Streifen Weingarten und einem winzigen Häuschen. Der Abschied von der Stadt fiel ihm leicht, denn er hatte sich auf eine riskante Affäre mit einer verheirateten Frau eingelassen. Seine Behaarung zog die Blicke der Frauen an. Später warf ihm seine Frau von Zeit zu Zeit Untreue vor, und einigemal hatte sie Grund. Akkordeons und Körperhaar reizten nun mal die Frauen, was konnte er dafür? Sie wußte es selbst; seine Musikalität hatte sie mit Macht angezogen, sein seidiges Fell, das Gekräusel, das aus seinem Hemdkragen quoll. Er verkühlte sich leicht, bibberte schon, wenn die Sonne nur kurz hinter einer Wolke verschwand. Seine Frau war warm; wenn er dicht bei ihr stand, konnte er die Hitze spüren, die von ihr ausstrahlte wie von einem kleinen Ofen. Ihre Hände packten alles mit demselben warmen Griff an, ob Kinder, Teller, Hühnerfedern oder Ziegeneu Leseprobe