Beschreibung
Eine schicksalhafte Liebe in Zeiten des Krieges: packend, brisant, eindringlich Voller Optimismus war der junge Schweizer Entwicklungshelfer David 1990 nach Ruanda aufgebrochen, ins damalige Vorzeigeland des afrikanischen Kontinents. Vier Jahre später sind alle Hoffnungen zerschellt: das Land wird zum Schauplatz eines furchtbaren Genozids. David muss miterleben, dass seine Geliebte Agathe, Tochter eines Ministerialbeamten, zu den Mördern zählt. Und auch David, der Gutmensch, wird schließlich zum Komplizen, um seine eigene Haut zu retten.
Autorenportrait
Lukas Bärfuss, geboren 1971 in Thun/Schweiz, ist einer der erfolgreichsten deutschsprachigen Dramatiker. Seine Stücke werden weltweit gespielt. Sein Debütroman 'Hundert Tage' wurde ein enormer Erfolg, der für den Deutschen und den Schweizer Buchpreis nominiert war und in 15 Sprachen übersetzt wurde. Für seinen Roman 'Koala' erhielt Lukas Bärfuss den Schweizer Buchpreis 2014. Er lebt in Zürich.
Leseprobe
Sieht so ein gebrochener Mann aus, frage ich mich, als ich ihm gegen?bersitze und drau?n der Schnee einsetzt, der seit Tagen erwartet wird und nun in feinen Flocken auf die gr?nbraunen Felder und in den Nachmittag f?t. Was genau gebrochen sein k?nnte, ist schwierig zu sagen - das R?ckgrat jedenfalls nicht. Er sitzt aufrecht, w?t seine Worte mit Bedacht und ohne Hast, wirkt beinahe entspannt. Nur wie er die Tasse zum Mund f?hrt, gem?lich, ein wenig zu gem?lich, zu gef?hrt, k?nnte ein Hinweis auf seine innere Zerr?ttung sein. Vielleicht f?rchtet er, ein versch?tteter Tropfen k?nnte ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Ich wei? ich m?sste nicht mutma?n, denn er ist ein gebrochener Mann, muss einer sein, nach allem, was er erz?t und - was noch wichtiger ist - nach allem, was er mir verschweigt. Manchmal h? er in seiner Rede inne, oft mitten im Satz. Ich sehe in seinen Augen, wie er sich erinnert, nur erinnert und nicht spricht, vielleicht, weil er keine Worte daf?r hat, sie noch nicht gefunden hat und wohl auch nicht finden will. Es scheint, als w?rden seine Augen den Ereignissen folgen, den Ereignissen in Haus Amsar, wo er die hundert Tage verbracht hat. Das Erstaunlichste an dieser Geschichte ist, dass gerade er sie erlebt hat, einer, der nicht dazu bestimmt schien, irgendetwas zu erfahren, das ?ber das gew?hnliche Ma?menschlicher Katastrophen hinausgeht: eine ?ble Scheidung, eine schwere Krankheit, ein Wohnungsbrand als ??rstes. Aber ganz gewiss nicht, in die Wirren eines Jahrhundertverbrechens zu geraten. Nicht dieser Mann, nicht David Hohl, der mit mir zur Schule gegangen war und in dem ich noch den hoch aufgeschossenen Knaben erkenne, mit seiner leicht h?enden Unterlippe, von der sich, wenn ihn etwas zum Staunen bringt, ein Speichelfaden zu l?sen scheint, obwohl das nat?rlich nie eintritt. Blo?ein wenig feucht ist diese Lippe, der man deutlicher als anderen ansieht, was Lippen tats?lich sind, nach au?n gest?lpter Mundinnenraum n?ich. Als Kind war er kein Draufg?er, hat niemals gr??ren ?ger riskiert, nicht aus Feigheit - die meisten Abenteuer und Mutproben schienen ihm einfach nicht lohnenswert. Ein durch und durch besonnener Bursche - abgesehen von seinen drei, vier Anf?en, aber die liefen au?r Konkurrenz, einfach weil sie so selten vorkamen und man sich erst an den letzten erinnerte, als David schon erblasste, verd?tig still wurde, um gleich darauf rot anzulaufen und seine Fl?che hervorzupressen und eine Schandrede auf die Ungerechtigkeit der Welt anzustimmen, in Worten, die man einem Jungen von zehn, zw?lf Jahren nicht zugetraut h?e. Er besa?ein ausgepr?es Gerechtigkeitsempfinden, um es vorsichtig auszudr?cken, und es schien losgel?st von jener Vernunft zu funktionieren, die ihn sonst auszeichnete, keine Folge einer durchdachten Weltsicht zu sein, sondern reine Empfindung, ein Affekt. Ich erinnere mich, wie er sich von ein paar Kerlen aus den oberen Klassen windelweich pr?geln lie? blo?weil er zuf?ig geh?rt hatte, wie sie sich abf?ig ?ber einen Mitsch?ler auslie?n, und er der Ansicht war, so etwas geh?re sich nicht. Nach der Pause setzte er sich mit der blutigen Nase an sein Pult, und als ihn der Lehrer zum Waschbecken schickte, weigerte er sich aufzustehen und meinte, er sch? sich nicht f?r seine Verletzung. Wir hatten keine Ahnung, was ihn antrieb, aber wir vermuteten, David wolle mit seinem heldenhaften Einstehen f?r die gerechte Sache Eindruck schinden, vor allem bei den M?hen. Und beunruhigenderweise hatte er damit Erfolg, weswegen wir ihn zwar f?r verr?ckt, aber nicht f?r vollkommen ?bergeschnappt hielten. Vielleicht hat ihn diese charakterliche Besonderheit in die sp?ren Schwierigkeiten gebracht, und ich frage ihn, ob er sich als K?fer f?r die Gerechtigkeit gesehen habe. Er l?elt und nimmt einen Schluck Kaffee, bevor er spricht, als bekenne er, einmal an fliegende Untertassen oder die Existenz von Atlantis geglaubt zu haben. Ich habe an das Gute geglaubt, ich wollte den Menschen helfen wie alle von der Direktion, Leseprobe