Beschreibung
Über den Mut, seiner inneren Stimme zu folgen . Ein erfolgreicher italienischer Manager beschließt nach dem plötzlichen Tod seiner Frau, sein Leben von Grund auf zu ändern und seine zehnjährige Tochter Claudia nie mehr allein zu lassen. Eine Aufgabe, die Pietro Paladini wörtlich nimmt: Täglich bleibt er mit seinem Auto morgens vor Claudias Schule stehen und wartet dort bis zum Nachmittag. Anfangs noch argwöhnisch beobachtet und als Exzentriker belacht, wird Pietro für seine Umwelt mit der Zeit zu so etwas wie eine Institution, ein ruhiger Pol im hektischen Treiben der Großstadt, und setzt damit höchst erstaunliche Dinge in Bewegung . Ausgezeichnet mit dem Premio Strega, dem renommiertesten Literaturpreis Italiens.
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Leseprobe
Dal", sage ich. Wir haben gerade gesurft, Carlo und ich. Surfen: wie vor zwanzig Jahren. Wir haben uns die Bretter von zwei Jungs geliehen und uns in die hohen, langen Wellen gestürzt, die am Tyrrhenischen Meer, wo wir unser ganzes Leben verbracht haben, so selten sind. Carlo aggressiver und waghalsiger, schreiend, tätowiert, wie früher, mit seinen langen Haaren im Wind und seinem Ohrring, der in der Sonne glitzerte; ich vorsichtiger, mehr auf Stil bedacht, präziser und kontrollierter, angepasster, wie immer. Er der berüchtigte Rockertyp, ich mit meinem alten Understatement, zwei Bretter, die durch die Sonne flitzten, unsere beiden Welten, die sich wieder ein Duell lieferten, wie zu Zeiten großartiger jugendlicher Kämpfe - Rebellion kontra Subversion -, als die Stühle durch die Luft flogen, ganz im Ernst. Nicht dass wir eine Show abgezogen hätten, es war schon viel, nicht von den Brettern zu fallen; oder besser: Wir haben die Show der Typen abgezogen, die auch mal jung waren, eine kurze Zeit lang glaubten, dass gewisse Kräfte tatsächlich siegen könnten, und die in dieser Zeit eine Menge Sachen gelernt haben, die sich später als vollkommen nutzlos herausstellen sollten - so was wie Kongas trommeln oder eine Münze zwischen den Fingern rollen wie David Hemmings in Blow Up oder den Herzschlag verlangsamen, um eine Herzrhythmusstörung zu simulieren und ausgemustert zu werden, oder Ska tanzen oder Joints mit einer Hand drehen oder Bogenschießen oder transzendentale Meditation oder eben Surfen. Die beiden jungen Surfer konnten das nicht verstehen, Lara und Claudia waren schon nach Hause gegangen, Nina 2004 war früh am Morgen abgereist (Carlo wechselt jedes Jahr die Freundin, und deshalb haben Lara und ich begonnen, sie mit Jahreszahlen zu versehen): Es war niemand da, der es würdigen konnte, es war eine kleine Show für uns beide, eines dieser Spiele, die nur unter Brüdern Sinn haben, denn ein Bruder ist der Zeuge einer Unverletzlichkeit, die dir von einem bestimmten Augenblick an kein anderer mehr zuerkennen will. Dann haben wir uns im Sand ausgestreckt, um zu trocknen, ganz benommen vor Müdigkeit, die Augen geschlossen, der Wind zauste in unseren Brusthärchen, und wir waren still, um wieder zu Atem zu kommen. Doch mit einem Mal ist mir aufgegangen, dass wir, um diesen Frieden zu genießen, etwas ausblendeten, das schon eine ganze Weile mit einer eigenen lärmenden Dringlichkeit auf sich aufmerksam zu machen suchte. Ich habe mich aufgesetzt, und Carlo tat es mir augenblicklich nach. "Dal", sage ich und zeige auf eine Gruppe sehr aufgeregter Leute, ungefähr hundert Meter gegen den Wind. Wir springen auf, unsere Muskeln noch warm vom langen Wellenreiten, und rennen auf diesen kleinen Menschenauflauf zu. Lassen Handys, Brillen, Geld, alles liegen: Plötzlich existiert nichts anderes mehr als diese Gruppe und diese Schreie. Manche Dinge tut man, ohne nachzudenken. Was folgt, ist ein blitzartiger, wie durch eine Verbindung gesteuerter Ablauf, der kein anderes Gefühl zulässt als das, ganz eins mit meinem Bruder zu sein: die Fragen, was geschehen ist, der leblose Alte an der Strandlinie, der blonde Mann, der versucht, ihn zu reanimieren, die Verzweiflung der beiden Kinder, die "Mamal" rufen, die verstörten Gesichter der Leute, die auf das Meer zeigen, die zwei kleinen Köpfe, verloren in den Wellen, und niemand, der etwas tut. Von diesem rasenden Stillstand hebt sich Carlos Blick aus seinen blauen Augen ab, eindringlich, aufgeladen mit gewaltiger kinetischer Energie: Dieser Blick sagt, dass es aus irgendeinem unanfechtbaren Grund unsere Aufgabe ist, diese armen Ertrinkenden zu retten - und dass es so ist, als hätten wir es in Wirklichkeit schon getan, ja, als wäre schon alles vorbei, und wir beiden Brüder wären schon die Helden dieser Horde Fremder, weil wir außerordentliche Geschöpfe des Meeres sind; wir sind Tritonen, und um Menschenleben zu retten, können wir die Wellen bändigen, so selbstverständlich, wie wir sie gebändigt haben, um bei Leseprobe