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Der Vizekönig von Ouidah

Erschienen am 10.03.2003
Auch erhältlich als:
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446202641
Sprache: Deutsch
Umfang: 168 S.
Format (T/L/B): 1.8 x 21 x 13 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die grausame und phantastische Geschichte des berüchtigten brasilianischen Sklavenhändlers Francisco da Silva: Von Macht und vom Trieb, von der Gier, dem Luxus und der Verblendung erzählt Chatwin in prächtig schillernden Bildern, die nicht nur die Schrecken, sondern auch die Faszination beschwören, die von dieser exotischen Welt ausgehen. Werner Herzog hat den Roman unter dem Titel "Cobra Verde" verfilmt.

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Autorenportrait

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Leseprobe

Er ging nach Bahia. Er ließ sich durch die 'Stadt der Heiligen' treiben, in der schwarzen Kordsamtjacke eines Selbstmörders, die er von einer Schneiderpuppe herunter gekauft hatte. Flatternde Wäsche streifte sein Gesicht. Knirpse küßten ihn auf den Mund, während ihre Finger seine Taschen abtasteten. Seine Füße glitten auf verfaulten Obstschalen aus, und bauschige weiße Wolken segelten hinter den Glockentürmen vorbei. Er schlenderte über das Kopfsteinpflaster des Pelourinho und sah zu, wie die Straßenjungen Schattenringen übten. Der 'wunderschöne Hund des Nordens' war ein blaugefärbter Pudel, der Karten spielte, und nach Einbruch der Dunkelheit gab es immer einen Vorwand, Feuerwerke abzubrennen. Sein Hauptzeitvertreib war es, Leichenzügen zu folgen. An einem Tag war es ein schwarzer, mit goldenen Schädeln geschmückter Katafalk. Am Tag darauf ein himmelblaues Kästchen mit einem totgeborenen Kind oder ein grauer Leichnam, in ein Leichentuch aus Bananenblättern gewickelt. Er wohnte in einem Mietshaus in der Unterstadt und fand Arbeit bei einem Mann, der Sklavereiwerkzeuge verkaufte &8211; Peitschen, Geißeln, Joche, Halsfesseln, Brandeisen und Metallmasken: der Laden erinnerte ihn an die Eisenwarenläden im Hinterland. Seine grünen Augen machten ihn im ganzen Viertel berühmt. Sooft er sie im Menschengewühl einer Gasse aufblitzen ließ, blieb mit Sicherheit jemand stehen. Mit Partnern beiderlei Geschlechts vollzog er in Bretterbuden den sexuellen Akt. Sie ließen ihn mit dem Gefühl zurück, dem Tod begegnet zu sein: niemand kam ein zweites Mal. Seine Gesichtszüge nahmen ihren endgültigen Ausdruck an. Seine rechte Augenbraue, die höher war als die linke, gab ihm das Aussehen eines Mannes, der erstaunt ist, sich in einem Irrenhaus wiederzufinden. Ein Schnurrbart bog sich zu beiden Seiten seines Mundes, der feucht und sinnlich war. Jahrelang hatte er seine Lippen zusammengekniffen, einerseits um männlich zu wirken, andererseits um zu verhindern, daß sie in der Hitze aufsprangen: jetzt ließ er sie locker hängen, als wollte er zeigen, daß alles erlaubt sei. Die Zornausbrüche hatten nachgelassen, nicht so die Gewissensbisse. Er wollte nach Afrika gehen, traf aber keine bewußte Entscheidung. Sooft ein Schiff aus Guinea vor dem Fort São Marcello ankerte, schlenderte er über die Sklavenkais und beobachtete, wie die Schwarzen an Land gerudert wurden. Händler aus allen Provinzen drängten sich mit Gewalt nach vorn, schrien sich heiser, wenn sie die Brandzeichen der Konsignanten erkannten. Sie zählten die Toten; dann ließen sie die Überlebenden rennen, stampfen, Gewichte heben und brüllen, um festzustellen, ob ihre Lungen gesund waren. Die defekten wurden an Zigeuner billig weiterverkauft. Francisco Manoel schloß Freundschaft mit einem dieser Zigeunersklavenhändler, der ihm ein paar Geschäftstricks beibrachte: wie man einen blutigen Durchfall mit Hilfe eines Wergstöpsels verheimlichte oder eine kranke Haut, indem man sie mit Rizinusöl einrieb. Aber wenn er mit alten Afrikakennern sprach, erschauderte jeder bei der Erwähnung Dahomeys.

An einem Nachmittag im Dezember half er, weil er nichts Besseres zu tun hatte, ein paar gedungenen Raufbolden, eine Strohpuppe aufzuhängen, die den britischen Konsul darstellte: es war vier Jahre her, seit das Parlament das Abolitionsgesetz verabschiedet hatte, aber erst in den letzten Monaten hatte die Royal Navy mit dem Aufbringen brasilianischer Sklavenschiffe begonnen. Die Massen verfielen in Raserei, und als sie von einem Milizaufgebot auseinandergetrieben wurden, gingen sie auf einen schottischen Matrosen los und warfen ihn in den Hafen. Möglicherweise war Francisco Manoels stärkste Erinnerung an Bahia, wie er über eine Balustrade lehnte und zusah, wie der rote Kopf inmitten eines Geflechts von Masten und Spieren auf und ab h ... Leseprobe