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Die Geliebte des Duce

Das Leben der Margherita Sarfatti und die Erfindung des Faschismus

Erschienen am 10.02.2004
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783446204843
Sprache: Deutsch
Umfang: 376 S., 9 s/w Illustr., 9 Illustr.
Format (T/L/B): 3.2 x 22.5 x 15 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Sie machte aus Mussolini den Duce und verlieh dem Faschismus ästhetischen Glanz: Margherita Sarfatti. Die wohlhabende Jüdin verliebte sich in den jungen Mussolini und wurde seine geheime Geliebte. Erst ihrem Einfluss verdankte er seine Verwandlung in den charismatischen Duce. Das dramatische Leben einer fast vergessenen Frau.

Autorenportrait

Homepage von Karin Wieland

Leseprobe

Heimkehr in die Fremde Überraschend wie immer war sie von Wien nach Hause zurückgekehrt. Von der glänzenden, unterhaltsamen und aufregenden Welt des Westens war sie unvermittelt in den Osten geraten. Fremd fühlte sie sich im Hause ihrer Väter. Mit einem müden Lächeln beobachtete sie den seltsam gekleideten alten Mann, der ihr Vater war, beim Verrichten der Passah-Zeremonie. Sie fand die Welt wieder, die sie als Kind verlassen hatte. Noch immer führte Jehova sein Volk heraus aus Ägypten, und seit Generationen pilgerten sie durch die Wüste dem versprochenen Gelobten Land entgegen. Ihr Vater wußte, daß seine Tochter eine Spötterin und Ungläubige war. Er ahnte, daß ihr Weg ein anderer als der seine war. Von Kindheit an hatte sie sich von den verbotenen Göttern angezogen gefühlt. Sie liebte das Schöne, französische Romane, erotische Lyrik und die Kunst der Renaissance. Doch die Erinnerung an das Erbe der Väter und an ihre Kindheit im Ghetto verließen sie nicht. Sie bemerkte, wie zufrieden Vater, Mutter und Geschwister waren. Sie selbst würde nie solch eine Zufriedenheit empfinden können. Vergeblich suchte sie nach der freudigen Erregung, die sie als Kind beim Passah-Fest ergriffen hatte. Wie war es nur zu diesem Wunsch nach Emanzipation gekommen? Das Leben ihrer Vorfahren im Ghetto war selbstbezogen und vollkommen gewesen. Zu Beginn des 13. Jahrhunderts waren sie als Vertriebene nach Venedig gekommen. Man erlaubte ihnen, abgesondert im Ghetto, doch unter den Christen zu leben. Sie hatten in sich die Ruhe des Ostens mit dem nervösen Eifer des Westens verbunden. Diese Welt war für sie heute nur noch ein Schatten. Wenn sie doch arm oder verfolgt gewesen wäre, dann hätte ihre Existenz wenigstens einen Sinn. Sie fühlte sich alt und leer. Venedig war nicht mehr als eine melancholische Ruine, und die Juden wohnten jetzt in den prächtigen Palazzi untergegangener edler Geschlechter. Die Venezianer hatten wunderbare Dinge im Laufe ihrer Geschichte geschaffen. Nun bewunderten die Touristen, was von diesem Glanz übriggeblieben war. Und die Juden? Sie hatten nichts als ein paar Lieder für die Synagoge, doch sie waren stark. Sie waren aus Fleisch und Blut und nicht aus Stein oder Bronze. Was war das Geheimnis ihrer Stärke? Es war ihr festes Vertrauen auf Ihn, auf Ihren Gott. Wie typisch war ihr Vater! Ein Modernisierer unter den Modernen außerhalb, ein Gelehrter und Heiliger innerhalb des Hauses. Sie, seine Tochter, hatte keinen Glauben. Ihre Seele war dem Orient, ihr Intellekt dem Okzident verhaftet. Ihr Verstand war von der Wissenschaft genährt worden, die es verstand, alles zu klassifizieren und nichts zu erklären. Vielleicht kam die Verzweiflung, die von ihr Besitz ergriffen hatte, von dieser toten Stadt der Steine und des Wassers. Turgenjew hatte recht: Nur die Jungen sollten hierherkommen. Sie wußte nun, was ihr fehlte. Sie hungerte nach Gott. Nach dem Gott ihrer Väter. Ihr fehlte der Glaube, der die vergangenen Generationen miteinander verbunden hatte. Eine Welt ohne Gott war kalt und verantwortungslos. In Wien gab es einen Juden, der von einem jüdischen Staat träumte. Aber der jüdische Staat würde nie kommen. Diese seltsame Rasse konnte Städte für andere bauen, aber nicht für sich selbst. Ohne die Illusionen, die das Leben ihres Vaters bestimmten, wollte sie nicht weiterleben. Sie stand auf, ging zum Fenster und schaute hinaus in die Nacht. Sie sah den Mond über dem Canal Grande, sah die Gondeln mit den Liebespaaren. Sie dachte an das Verliebtsein, die Jugend und die Stärke, doch da war nur der schwache Widerhall eines längst vergangenen Gefühls. Sie sehnte sich nach dem Tod. Ein Leben ohne Gott schien ihr keinen Moment länger ertragbar. Im schwarzen Wasser würde sie ihren Frieden finden. Sie schlich durch die halboffene Tür und den Flur mit den antiken Statuen entlang. Lautlos öffnete sie das Portal zum Wasser. Alles war friedlich. Sanft ließ sie sich in den Kanal gleiten. Sie kämpfte zunächst mit dem Wasser, doch dann besiegte sie Leseprobe