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Der Vater aller Dinge

Nachdenken über den Krieg, Philosophicum Lech 4

Erschienen am 03.04.2001
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783552051560
Sprache: Deutsch
Umfang: 248 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 20.6 x 12.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Elf prominente Intellektuelle, darunter Alexander Demandt und Richard Swartz, diskutieren über den Krieg. Kann sich Krieg im Zeitalter der Rüstungsindustrie moralisch und politisch als Friedenssicherung rechtfertigen? Die Bedeutung des Krieges zu Beginn des neuen Jahrtausends, die Geschichte, die Motive und die Kultur des Krieges und das wechselseitige Verhältnis des Krieges zu Kunst, Religion und Medien waren die Fragen, die beim vierten Philosophicum in Lech diskutiert wurden. Mit Beiträgen von Herfried Münkler, Alexander Demandt, Jens-Malte Fischer, Herlinde Pauer-Studer, Rudolf Burger, Zarko Puhovski, Richard Swartz, Adolf Holl, Sibylle Tönnies, Alfred Schirlbauer und Friedrich Kittler.

Autorenportrait

Website des Philosophicum Lech

Leseprobe

Die erste Begegnung zwischen Nino und Franziska fand in den letzten Tagen des Jahres 1918 statt. Ferrari besaß noch keine feste Bleibe, da er wegen seiner Arbeit als Ingenieur ständig zwischen Görz und Triest pendeln mußte. In Triest hatte er das Mädchen flüchtig gesehen, und es war ihm gelungen, das Sanitätsbüro ausfindig zu machen, in dem sie angestellt war. Am Abend des Stephanstags traf er sie dort allein an, als sie, von der unmittelbaren Nähe ihrer Wohnung profitierend, noch ein paar Vorgänge abschloß, die ihr von den älteren und weiter entfernt wohnenden Kolleginnen anvertraut worden waren. Der Oberleutnant räusperte sich, um auf sich aufmerksam zu machen, und sagte dann in einem verqueren Deutsch: "Ich bin von Görz daeben gekomen, für meine Freundin Francesca zu sehen." Lächelnd erwiderte die junge Angestellte: "Sie können Ihre Italienisch reden. Ich verstehen Italienisch wie Sie reden Deutsch." "Um so besser", meinte der Offizier erleichtert. "Wieso sind Sie eigentlich noch bei der Arbeit?" Franziska erschrak bei dieser Frage, die möglicherweise von einem noch dazu nicht mehr jungen Vorgesetzten kam; sie erhob sich, packte die Papiere zusammen und machte Ordnung auf dem Schreibtisch, wobei sie versicherte: "Jetzt auch ich fertig und marsch nach Hause." "Ich bin nicht gekommen, um Sie zu vertreiben. Schüchtere ich Sie denn ein?" beeilte sich der Oberleutnant zu erwidern und nahm seine Mütze ab, so daß die ausladende Stirn und das oben noch dichte schwarze Haar sichtbar wurden. Am meisten beeindruckten das Mädchen die durchdringenden dunklen Augen; sie hatten etwas Unstetes, Erregtes, Mißtrauisches an sich, aber auch etwas absolut Gütiges. Sie überging seine Frage und fragte statt dessen ihrerseits: "Woher Sie kennen meine Namen?" "Wir haben uns in San Daniele gesehen. Erinnern Sie sich nicht?" Der Eindruck dieses Zusammenstoßes hatte die Erinnerung an die Person ausgelöscht. Jetzt tauchte auch sie wieder im Gedächtnis auf und fand ihren präzisesten Anhaltspunkt in der ausgeprägten Stirn. "Doch", erwiderte sie, halb überrascht und halb verärgert. "Damals Sie mir haben viele Angst gemacht." "Sie dagegen haben mir außerordentlich gefallen. Deswegen bin ich auch hier und weiß noch Ihren Namen, und natürlich nicht nur ihn. Allerdings habe ich nicht gehofft, Sie in Triest wiederzusehen." Franziska hatte sich zum Fortgehen fertiggemacht, und das half ihr, sich abwehrend zu verhalten. "Sie haben Kaserne in Görz?" erkundigte sie sich höflich. "Nicht mehr", antwortete der Offizier vergnügt. "Mit dem heutigen Abend fängt mein Triestiner Leben an. Sehe ich Sie wieder?" Sie waren auf den Korridor hinausgetreten, Franziska hatte das Licht gelöscht und das Büro zugesperrt. "Hier ich arbeite und ich sehe alle Kollegen." Nino Ferrari neigte den Kopf zum Zeichen des Abschieds und blickte ihr nach, während sie sich entfernte. Wie ihre blonden Haare selbst in der Dunkelheit leuchteten, und wie imposant ihre Figur wirkte. Doch sie war entschieden zu jung für ihn, zu frisch und zu unreif. Als Franziska an diesem Abend im Bett lag, horchte sie auf das Hin und Her der Züge, ihr Ankommen und Abfahren. Und sie sagte sich, wie tröstlich es sei, diese vertraut gewordenen Geräusche und Töne im Haus zu haben. Leseprobe

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