Beschreibung
Im Jahr 1936 sitzt der Schüler Fritz Mandelbaum in einem Wiener Kino und wartet auf den Beginn eines amerikanischen Films. Fritz kann den Film nicht zu Ende sehen, da es für das jüdische Kind nicht ratsam ist, nach Einbruch der Dunkelheit noch auf der Straße zu sein. Im Jahr 1939 muss die Familie Mandelbaum Wien verlassen, eine lange Reise beginnt, die über London nach New York führt. Frederic Morton, wie Fritz Mandelbaum heute heißt, erzählt uns sein Leben in zehn Tagen - die berührende Autobiographie des New Yorker Bestsellerautors ("Die Rothschilds").
Autorenportrait
Frederic Morton, geboren 1924 als Fritz Mandelbaum in Wien, emigrierte 1939 über England in die USA, wo er als Bäcker arbeitete und studierte, bis ihm als Schriftsteller der internationale Durchbruch gelang. Seine Rothschild-Biographie war als Musical am Broadway ein großer Erfolg, Morton wurde mehrfach für den National Book Award nominiert, er lebte in New York. Er starb am 20.04.2015 während eines Besuchs in Wien. Bei Deuticke lieferbar sind: Die Rothschilds (1992/2004), Crosstown Sabbath (1993), Geschichten aus zwei Welten (1994), Ewigkeitsgasse (1996/2011), Ein letzter Walzer (1997), Wetterleuchten (1998) und Das Zauberschiff (2000).
Leseprobe
wien 1936 Fred und ich Er wird kommen, wie Er kommen soll - allmählich, zur rechten Zeit. Die Langsamkeit ist Teil der Spannung. So wie der leichte Druck auf meiner Haut, wenn ich mich hinsetze, um auf Ihn zu warten. In meinem Rücken spüre ich das Holz so hart und kalt und kribbelnd, wie ich das nur von den Stühlen des Lux-Kinos in unserem Wiener Außenbezirk kenne, aus der Mitte der Dreißiger Jahre. Die Ventilatoren werden sich erst zu drehen beginnen, wenn alle Platz genommen haben. Die drei Glühbirnen über mir, die bereits das letzte Mal ausgebrannt waren, sind immer noch nicht ersetzt worden. Drei Lusterarme krümmen sich immer noch nach oben, nackt und rußig, ohne Licht. Das macht den Wandel von der gegenwärtigen Schäbigkeit zu Seiner strahlenden Erscheinung nur noch spannender. Eigentlich ist es besser, wenn es nicht so hell ist, denn so bin ich weniger den Leuten ausgesetzt, die meine Kleidung anstarren. Im LuxKino tragen fast alle anderen Kinder in meinem Alter grobe Lodenjacken und speckige Lederhosen, die männlich wirken. Ich muss in meinem geschniegelten Matrosenanzug dasitzen. Natürlich wissen die Kinder, die mich anstarren, nicht, dass meine Lederhose genauso derb und speckig ist wie ihre. Sie haben keine Ahnung, dass an diesem Matrosenanzug das Café Landtmann Schuld ist; dass ich nur ins Kino darf direkt nach der heißen Schokolade mit der Familie im noblen Landtmann in der Inneren Stadt, wo die Manschettenknöpfe der Herren aufblitzen, wenn sie einer Dame die Hand küssen, und ich für Tante Emma Beispiele meiner Schreibkünste auf eine ausgefranste Papierserviette malen muss. Die Kinder im Lux wissen nicht, dass die Tante nicht aufhört, Witze über meine chinesischen Buchstaben zu machen, und dass Onkel Karl hinter vorgehaltener Hand endlos nervöse Interpretationen der letzten Rede aus Berlin zum Besten gibt. Die Kinder im Lux wissen nicht (und es wäre ihnen wohl auch egal), dass ich auf diese Weise bis nach vier Uhr Nachmittag gefangen gehalten werde und so keine Möglichkeit habe, mir meine Lederhose anzuziehen: Ich habe nur knapp zweieinhalb Stunden Zeit für Ihn im Lux, inklusive der Wegzeit, denn ich muss zum Abendessen wieder zu Hause sein, um Punkt sieben, mit gewaschenen Händen, und derzeit sogar noch vorher, weil die Sonne früher untergeht. Mein Vater hat sich von der Nervosität Onkel Karls anstecken lassen und angeordnet, dass ich in Zeiten wie diesen nicht mehr nach Einbruch der Dunkelheit draußen sein darf. Deshalb muss ich mich, immer noch in meinem schrecklichen Matrosenanzug gefangen, wie ein Verrückter beeilen, um vom Landtmann zum LuxKino zu kommen und Seinen Auftritt um fünf Uhr zu erreichen. Wie soll ich das alles den Leuten erklären, die mich anstarren? Oder ihnen erklären, dass ich fast alleine in dieser teuren Reihe vorne sitze, nur weil ich nicht einmal mit meiner Brille in der Lage wäre, Ihn von weiter hinten aus deutlich zu sehen? Da meine Verbindung zu Ihm weniger außergewöhnlich wäre, wenn ich sie jemandem verraten würde, erzähle ich meiner Mutter nie auf irgendeine gefühlsbetonte Weise von Ihm. Ich erinnere sie nur an das Kopfweh, das ich bekomme, wenn ich meine Augen anstrengen muss - und presto! spuckt sie die extra 50 Groschen für einen Platz aus, der näher bei der Leinwand ist. Und sie ist auch immer für die 30 Groschen mehr gut, die das Programm kostet, das sich nur wenige andere im Publikum gegönnt haben. Für mich ist das Programm äußerst wichtig, da es eine Unzahl von Portraits und Offenbarungen über Ihn enthält. Für meinen Vater ist das wieder einmal die Art von Nachgiebigkeit, mit der man ein Kind verwöhnt. Doch meine Mutter setzt sich immer durch mit ihrer Theorie über meine Filmprogrammsammlung: Das ist vielleicht nicht so konstruktiv wie Briefmarken sammeln, aber wenigstens fördert es die Disziplin, und die brauche ich dringend, wenn ich jemals bessere Noten bekommen soll. Noten, Lerngewohnheiten, Politik. das ganze Zeug verschwindet jetzt, als der Luster erlisc Leseprobe