Beschreibung
"Wer Traum und Tatsachen verwoben mag und sich gerne Jahrhunderte zurückversetzen möchte, dem bietet Andreas Gößling perfekte Unterhaltung." Main-Presse "Sinnlich, mysteriös und bis zur letzten Seite fesselnd." Gisbert Haefs über "Die Maya-Priesterin" "Ein Buch, für das man zwei mit Lesen durchwachte Nächte reserviert halten sollte." Prager Zeitung zu "Der Alchemist von Krumau"
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Autorenportrait
Andreas Gößling, geboren 1958, lebt und arbeitet als freier Autor in Coburg. Der promovierte Literatur- und Kommunikationswissenschafter beschäftigt sich seit vielen Jahren mit mythen- und kulturgeschichtlichen Themen, insbesondere mit der alten Maya-Kultur, mit Drachenmythen und der Voodoo-Religion. Neben Romanen für erwachsene und junge Leser hat er auch zahlreiche mythen- und kulturgeschichtliche Sachbücher publiziert.
Leseprobe
Kaum hatten sie die Autobahn hinter sich, da veränderte sich das Licht. Der Himmel auf einmal schimmelgelb, mit einem Stich ins giftig Grüne. "Das kommt von den Moorgasen", sagte Linda. Die Straße wand sich durch eine Landschaft wie im Horror-Game: links und rechts dunkles Gewässer, fast schwarz. Hier und dort Baumleichen, die hager aus dem Sumpf aufragten. "Wow", sagte Marian. "Hier hat der alte Marthelm gewohnt?" Seine Mutter nickte. "Sein Leben lang, soweit ich weiß." Weit und breit war niemand außer ihnen unterwegs. Nur ein paar plumpe schwarze Vögel, die über den toten Bäumen kreisten. Eine Welt wie nach dem Ende der Welt. Marian kurbelte die Scheibe auf seiner Seite herunter, aber die Sicht blieb trüb. Als wollte schon der Abend dämmern, dabei war es noch nicht mal fünf, ein wolkenloser Augusttag. Aber hier im Moor hing über allem dieser gelbliche Schleier, der die Umrisse verschwimmen ließ. Der Straßenbelag wurde löchrig, die Stoßdämpfer stöhnten. "Unser Auto passt jedenfalls schon mal gut hierher", sagte Linda und grinste ihn von der Seite her an. "Du meinst, weil es mindestens so alt ist wie Onkel Marthelm?" Zärtlich streichelte Linda über das Lenkrad. "Armer, greiser Golf. Das hast du nicht verdient." Womit sie recht hatte: Das Auto war erst 15 - genauso wie Marian. Urgroßonkel Marthelm Hegendahl aber war unwahrscheinliche 115 Jahre alt, als er sich letzte Woche zum allerletzten Mal schlafen legte. "Klimaanlage wäre trotzdem nicht schlecht", sagte Marian. Warmer Wind wirbelte durch den Wagen, zerzauste ihm die Haare und trug einen stechenden Geruch herein - nach Schwefel oder solchem Zeug, wie in der Chemiestunde. "Vielleicht vererbt uns Marthelm ja wirklich was." "Ganz bestimmt tut er das." Seine Mutter ließ kurz das Lenkrad los, um beide Hände zu Fäusten zu ballen. "Das heißt, falls wir rechtzeitig zu seiner Beerdigung ankommen." Sie trat auf die Bremse und kam genau auf einer Kreuzung zum Stehen. Vier Möglichkeiten, null Hinweisschilder. Linda schaute nach links, dann nach rechts. "Ich habe nicht die geringste Ahnung", sagte sie, "wie wir jetzt fahren müssen." "Na toll." Marian schnaufte. "Denkst du an ein Navi, wenn du demnächst unseren neuen Luxusschlitten kaufst?" Kannte er irgendjemanden, dessen Eltern ein Auto ohne Aircondition oder Navigationsgerät fuhren? Von elektrischen Fensterhebern ganz zu schweigen. Er überlegte, aber es fiel ihm niemand ein. Nicht, dass ihm solche Dinge besonders wichtig gewesen wären - er machte sich auch wenig aus all dem angesagten Kram, für den viele in seinem Alter Unmengen von Geld ausgaben. Aber manchmal nervte es ihn schon, dass seine Eltern ständig knapp bei Kasse waren. Was seine Mutter in dem kleinen Reisebüro in Starnberg verdiente, reichte gerade mal so, damit sie das Nötigste kaufen konnten. Und Christian, sein Vater, war zwar ein großartiger Video- und noch besserer Lebenskünstler, aber praktisch immer pleite. Seit er aus seinem Studio geflogen war, weil er mindestens ein Jahr lang keine Miete mehr gezahlt hatte, lebte Daddy Chris eben in einem Bootshaus. Fast jeden Tag fuhr er auf den Starnberger See hinaus - und sein Segelboot war bestimmt fast genauso alt, wie Urgroßonkel Marthelm angeblich geworden war. Wer wird schon 115? "Ich schätze, wie müssen nach rechts." Linda brütete über dem Autoatlas. "Oder sind wir vielleicht erst hier?" Mit dem Zeigefinger fuhr sie über einen grauen Fleck auf der Karte, der von einem Gespinst aus schwarzen Strichen durchzogen war. "Dann müssten wir erst noch ein Stück geradeaus." Marian spürte plötzlich ein Kribbeln im Magen - sich in dieser Einöde zu verirren, wäre keine besonders gute Idee. Die Straßen waren schmal und kurvig, die Ränder glitschig und steil. Wenn sie vom Weg abkämen, könnten sie die Fenster bestimmt nicht schnell genug runterkurbeln, um sich aus dem Wagen zu befreien, ehe der vom Moor verschluckt worden wäre. Um die Schatten der Baumleichen waberten schimmelgelbe Schleier. Lichtpfützen phosphoreszierte