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Kein Platz an der Sonne

Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte

Erschienen am 25.09.2013, 1. Auflage 2013
49,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593398112
Sprache: Deutsch
Umfang: 524 S.
Format (T/L/B): 3.6 x 23.4 x 16.3 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Namibia gehört heute zu den beliebtesten Fernreisezielen der Deutschen - vielleicht auch deshalb, weil es einst als 'Deutsch-Südwestafrika' Kolonie war. Die Erfahrung von Tourismus und Globalisierung rückte in den vergangenen Jahren den europäischen Kolonialismus, der auch die deutsche Geschichte weit stärker als gemeinhin angenommen prägte, ins allgemeine Bewusstsein. Dieser Band legt eine Bilanz der Spurensuche nach Erinnerungsorten der oft unrühmlichen deutschen Kolonialgeschichte vor. In 30 Einzelbeiträgen präsentiert es Personen, Institutionen, Ereignisse und Vorstellungswelten: Albert Schweitzers Hospital Lambaréné, Hagenbecks Tierpark und die 'Hunnenrede' Kaiser Wilhelms II. zählen hierzu ebenso wie der Berg Kilimandscharo, den der Deutsche Hans Meyer als erster Europäer bestieg, Bernhard Grzimeks Film 'Serengeti darf nicht sterben' oder der 'Sarotti-Mohr'. Ein unentbehrliches Buch für alle, die am deutschen Kolonialismus und am deutschen kollektiven Gedächtnis interessiert sind!

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Autorenportrait

Jürgen Zimmerer ist Professor für die Geschichte Afrikas an der Universität Hamburg. Er ist Verfasser und Herausgeber zahlreicher Bücher und Aufsätze zur deutschen Kolonialgeschichte, zum Holocaust und zur Genozidforschung.

Leseprobe

Straßenumbenennungen: Schwarze Deutsche statt Kolonialheroen Straßenumbenennungen gehören neben Denkmalssetzungen und Denkmalsstürzen zu den auffälligsten und alltäglichsten erinnerungspolitischen Korrekturen. Gerade die deutsche Geschichte im 20. Jahrhundert kennt unzählige Beispiele. Fast ebenso wichtig wie der Name, der entfernt wird, ist derjenige, der ihn ersetzt, und die Debatten, die sich dabei entwickeln. Hier ist die Umbenennung des Berliner Gröbenufers in May-Ayim-Ufer 2010 von besonderem Interesse. Wie aus dem Beitrag von Clara Ervedosa in diesem Band hervorgeht, wurde mit May Ayim eine junge deutsche Frau geehrt, die nicht nur schon aufgrund ihrer Lebensdaten (1960-1996) jeder Verbindung zum formalen Kolonialismus des Deutschen Kaiserreiches unverdächtig ist, sondern auch für das Fortdauern kolonialer Strukturen in der (west)deutschen Nachkriegsgesellschaft sowie den Kampf dagegen steht. Sylvia Brigitte Gertrud Opitz, die sich selbst (später) May Ayim nannte, war Literatin und Aktivistin, u. a. der afro-deutschen Bewegung. Als Tochter eines ghanaischen Vaters und einer Weißen deutschen Mutter musste sie erleben, wie sie aufgrund ihrer Hautfarbe stigmatisiert und trotz ihrer Geburt und ihres Aufwachsens in Deutschland sowie ihres literarischen Schaffens in deutscher Sprache nie als richtig deutsch angesehen wurde. Gerade sie zur Namensgeberin an Stelle desjenigen preußischen Offiziers zu setzen, der mit der Gründung der brandenburgischen Station Groß-Friedrichsburg an der Küste des heutigen Ghana nicht nur zum Vorreiter deutscher Kolonialreichsgründung wurde, sondern auch den Startschuss zur offiziellen preußischen Beteiligung am Sklavenhandel gab, ist nicht nur späte Genugtuung einer zeitlebens durch die deutsche Mehrheitsgesellschaft Zurückgewiesenen, sondern auch ein Statement dafür, dass die Beteiligung Deutscher am Kolonialismus lange vor der ersten offiziellen Koloniegründung 1884 begann und auch nicht mit dem Verlust der überseeischen Kolonien im Frieden von Versailles (1919) oder dem Ende der "Ostkolonisation" 1945 endete: Rassismus gegen Schwarze Menschen ist historisch mit dem Kolonialismus verbunden und Zeugnis der Langlebigkeit kolonialer rassistischer Stereotypen. Bemerkenswert an dieser Namensänderung ist jedoch nicht nur, wer neu geehrt wurde, sondern auch, dass es gegen die Umbenennung und zur Verteidigung des alten Namens langjährige Debatten gab, in der nicht nur aus praktischen Gründen gegen die Umbenennung polemisiert, sondern auch der Versuch unternommen wurde, Otto von der Gröben zu verteidigen. Manche Motive mögen auch ihre Berechtigung gehabt haben, nämlich das als Gröbenufer bekannte Terrain als Erinnerungsort der deutschen Teilung zu erhalten, aber dass sich ein namhafter Historiker wie Götz Aly (*1947) dazu verstieg, den Gründungsakt eines offiziellen preußischen und damit deutschen Einstieges in den Sklavenhandel als "Minikolonie" bzw. "Koloniechen" zu verharmlosen, ist Beleg nicht nur für die weite Verbreitung der kolonialen Amnesie, sondern wohl auch für eine zumindest unterschwellige Romantisierung und Verharmlosung des Kolonialismus. Keiner käme wohl auf die Idee, etwa das erste nationalsozialistische Konzentrationslager in Dachau ein "KZchen" zu nennen, nur weil es noch mörderischere Lager gegeben hat. Die kleine Hexe und die jüngste Debatte um das N-Wort Eine noch weit stärkere Initiative zur Beibehaltung rassistischer und kolonialer Traditionen lässt sich seit Ende 2012 beobachten. Eine nicht geringe Zahl von Menschen engagiert sich seitdem für die Beibehaltung des N-Wortes in Kinder- und Jugendbüchern. Auslöser der Debatte war ein Interview von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (*1977), in dem sie erklärte, sie würde beim Vorlesen für ihre Tochter etwaig auftauchende N-Wörter "synchron" durch andere ersetzen. Kurz darauf hatte der Thienemann Verlag angekündigt, künftig bei Neuauflagen von Kinderbüchern wie dem Klassiker Die kleine Hexe von Otfried Preußler (1923-2013) das N-Wort und etwaige Komposita durch unverfängliche Begriffe auszutauschen. Dieser Entscheidung vorausgegangen war ein Brief des Journalisten Mekonnen Mesghena, der sich und seine Tochter durch Die kleine Hexe beleidigt fühlte und das dem Thienemann Verlag auch mitteilte. Dieser reagierte und nutzte eine sowieso notwendig gewordene Neuauflage zur Beseitigung der diskriminierenden Ausdrücke. Was eigentlich als eine - in Deutschland - längst überfällige Reaktion und Korrektur rassistischer Bilder und Sprache auf breite Zustimmung hätte stoßen müssen, hatten sich durch das N-Wort Beleidigte doch seit Jahren dagegen verwahrt, rief nun aber einen Sturm der Entrüstung hervor. Unter dem Titel "Höher Gebildete gegen Streichung von Neger" resümierte etwa die Wochenzeitung Die Zeit, dass 85 Prozent der "befragten Volksschüler ohne Lehre für eine Anpassung der Texte" sei, aber nur "37 Prozent der Deutschen mit Hochschulreife". Die 892 (Stand: 3. Mai 2013) überwiegend gegen eine sprachliche Anpassung argumentierenden Kommentare sowie die Vielzahl von in unterschiedlichen Medien und diversen Blogs erschienenen Artikeln (wiederum nebst Kommentaren) geben Zeugnis für eine erstaunliche Mobilisierung gegen "Bücherschänder", "politisch korrekte Desinfizierung" oder "eine neumodische Bücherverbrennung". Für viele andere Belange, etwa den Kampf gegen Rassismus, kann man sich ein derartig breites Engagement nur wünschen. Argumentiert wurde von den Gegnern der Wortstreichung unter anderem mit der Werktreue, in der ein unverfälschter Text die Jahrzehnte überdauern müsse. Dabei ignorierten sie völlig, dass Kinderbücher oftmals sowieso Adaptionen je nach Lesealter darstellen, es sich um Übersetzungen aus anderen Sprachen handelt, wie etwa Astrid Lindgrens (1907-2002) Pippi Langstrumpf, über das immer wieder ähnliche Debatten geführt wurden, und dass Kinderbücher in jedem Fall regelmäßig sprachlich modernisiert werden, um sie dem eingeschränkteren Sprachschatz ihrer jüngeren Leserschaft anzupassen. Ob der Heftigkeit der Attacken überrascht, versucht der Thienemann Verlag defensiv sein Verhalten zu rechtfertigen und zu versichern, dass er sich nicht einem unbotmäßigen Zeitgeist beuge: "Wir wollen keine Texte gendern oder Begriffe absurd, aber politisch korrekt, austauschen. In jener Szene, in der das Wort Neger auftaucht, wird Fasching gefeiert. Otfried Preußler ist dabei wichtig, diese Tradition darzustellen. Die Kinder verkleiden sich auf verschiedene Weise und darunter muss nicht notwendig eine Verkleidung als Neger sein. Der Inhalt der Szene, der Witz und die Intention werden nicht verändert, wenn eine andere, nicht ethnische Verkleidung gewählt wird. Dies ist ein Beispiel für eine behutsame Veränderung, ohne dass dabei die Geschichte verfälscht oder unsinnig gemacht wird." Dass man sich für eine eindeutig gegen Diskriminierung gerichtete Maßnahme entschuldigen muss, überrascht. Will man all die für das N-Wort auf die Barrikaden gehenden (Vor-)Leserinnen und Leser nicht pauschal des Rassismus zeihen, was für einen Teil allerdings zutreffen dürfte, etwa wenn anonyme Kommentatoren davon faselten, sie beteten darum, "dass irgendwann die politisch Unkorrektesten [sic!] wieder an die Macht kommen und dann mit all dem Gutmenschentum abrechnen", so bleibt als Erklärung wohl nur eine tiefgreifende Ignoranz gegenüber der Geschichte und der stigmatisierenden Aufladung des N-Wortes und seiner Komposita, und damit gegenüber der Geschichte des Kolonialismus als sozialer Praxis und mentaler Disposition. Denn ohne den europäischen Kolonialismus - zu der ja auch die Geschichte der transatlantischen Sklaverei gehört - hätten die Vorurteile gegenüber Schwarzen Menschen nie den Widerhall gefunden, den sie teilweise bis heute haben. Indem die N-Wort-Debatte diese - im besten Fall - Ignoranz offenbart, zeigt es den Preis, der für die Verdrängung des Kolonialismus aus dem öffentlichen Bewusstsein zu zahlen ist. Dass das NWort nie ein wertneutraler Ausdruck...

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