Beschreibung
Thomas Hobbes (1588-1679), dessen Denken von den europäischen Konfessions- und Bürgerkriegen des 17. Jahrhunderts geprägt war, steht für einen Paradigmenwechsel innerhalb der politischen Philosophie. Diese ging seit Platon und Aristoteles von der Opposition zwischen gerechtem und ungerechtem Gemeinwesen aus. Hobbes jedoch 'erfand' für sein Zeitalter eine neue Opposition: die von Herrschaftslosigkeit und Herrschaft. Chaos und Krieg sollten durch die Einsetzung eines absoluten Souveräns gebannt werden. Damit war Hobbes Wegbereiter einer neuen Regierungsform. Herfried Münklers bekannte Einführung in die Philosophie von Thomas Hobbes liegt nun in einer aktualisierten Neuauflage vor.
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Autorenportrait
Herfried Münkler ist emeritierter Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin.
Leseprobe
1 Einleitung Leo Strauss hat Thomas Hobbes als einen "unklugen, koboldhaften und bilderstürmerischen Extremisten" bezeichnet. Damit wollte er ihn keineswegs denunzieren und herabsetzen, denn er fährt in seiner Charakterisierung fort, Hobbes sei "wegen seiner fast jungenhaften Offenheit, seiner nie versagenden Menschlichkeit und seiner wunderbaren Klarheit und Nachdrücklichkeit ein [] genußreicher Schriftsteller". Was Strauss offenkundig zum Ausdruck bringen wollte, ist die frappante Gleichzeitigkeit von Radikalität und Ambivalenz in Hobbes' politischer Theorie, die sich gemeinhin ausschließen: Die Ambivalenz einer Theorie wird als Folge fehlender Radikalität begriffen, so wie umgekehrt die radikale Durchdringung eines Problems beansprucht, dessen ambivalente, mehrdeutige Erscheinungsweise in ihren Ursachen aufzuklären und eindeutig zu machen. Bei Hobbes ist dies anders: Der Mann, der in der Literatur übereinstimmend als revolutionärer Mitbegründer der politischen Philosophie der Neuzeit bezeichnet wird, wird zugleich von den einen als erster liberaler Politiktheoretiker angesehen, während andere ihn als denjenigen begreifen, der wie kaum ein anderer in dieser Eindeutigkeit das Erfordernis des starken, autoritären Staates zwingend nachgewiesen habe. Bemerkenswert an diesen widersprüchlichen Lesarten der Hobbes'schen Theorie ist, dass beide Seiten gute Gründe für die Richtigkeit ihrer jeweiligen Sichtweise geltend machen können. Im Falle der Hobbes'schen Theorie scheint Ambivalenz durch Radikaliät nicht getilgt, sondern gerade erst hervorgebracht worden zu sein. Um dieses Problem des Nebeneinanders und der Gleichzeitigkeit von argumentativer Klarheit und politischer Mehrdeutigkeit kreisen nahezu alle Interpretationen der Hobbes'schen Theorie; insofern ist es naheliegend, es zum Ausgangspunkt der Darstellung zu machen. Hobbes hat sich mehrfach und dezidiert von allen Traditionen des politischen Denkens abgesetzt und seine Theorie als revolutionären Neubeginn, ja als Beginn eines gründlichen politischen Denkens überhaupt bezeichnet. Verwissenschaftlichung der Politik, und zwar Verwissenschaftlichung nach den Vorgaben der Geometrie, sollte die Antwort auf die politischen Wirren seiner Zeit sein. In dem an den Earl of Devonshire gerichteten Widmungsbrief zu De cive schreibt Hobbes: "Wenn die Moralphilosophen ihre Aufgabe mit gleichem Geschick [wie die Geometer] gelöst hätten, so wüßte ich nicht, was der menschliche Fleiß darüber hinaus noch zum Glück der Menschen in diesem Leben beitragen könnte. Denn wenn die Verhältnisse der menschlichen Handlungen mit der gleichen Gewißheit erkannt worden wären, wie es mit den Größenverhältnissen der Figuren geschehen ist, so würden Ehrgeiz und Habgier gefahrlos werden, da ihre Macht sich nur auf die falschen Ansichten der Menge über Recht und Unrecht stützt, und das Menschengeschlecht würde eines beständigen Friedens genießen []. Wenn dagegen jetzt der Krieg mit den Schwertern und der Krieg mit den Federn kein Ende nimmt; wenn die Kenntnis des Rechts und der natürlichen Gesetze heute nicht größer ist als in alten Zeiten; wenn jede Partei ihr Recht mit Aussprüchen der Philosophen unterstützt; wenn dieselbe Handlung von dem einen gelobt und von dem andem getadelt wird, wenn derselbe Mensch heute das billigt, was er morgen verdammt, und wenn er die eigenen Taten anders beurteilt, sofern sie andere tun: so sind dies überaus deutliche Zeichen, daß die bisherigen Schriften der Moralphilosophen zur Erkenntnis der Wahrheit nichts beigetragen haben" (Civ. 61f.). Hobbes ist also der Auffassung, dass der Bürgerkrieg, der während der Niederschrift von De Cive in England offen ausgebrochen war und der auf dem Kontinent seit mehreren Jahrzehnten in Gestalt des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) die Länder und Staaten zerrüttete, vermeidbar gewesen wäre, wenn Moralphilosophie und politische Wissenschaft jene Fortschritte gemacht hätten, wie sie im Bereich der Naturwissenschaften zu verzeichnen waren. Die Gefährdungen der politischen Ordnung waren nach Hobbes' Urteil dieselben, die schon Thukydides und Platon ausgemacht hatten: Ehrgeiz und Habgier. Aber Moralphilosohie und politische Wissenschaft hatten auf diese Herausforderung bislang keine gültige Antwort gefunden. Was ihnen fehlte, war, so Hobbes, ein "geeigneter Ausgangspunkt" (commodum principium), und den glaubte er, wie er eingangs der zitierten Passage andeutet, darin gefunden zu haben, dass er "die Verhältnisse der menschlichen Handlungen" in derselben Weise zueinander in Beziehung setzte, wie dies die Geometrie mit den "Größenverhältnissen der Figuren" tat. Eine more geometrico verfahrende politische Theorie würde danach die Voraussetzungen dafür schaffen, dass der Bürgerkrieg beendet und eine stabile politische Ordnung begründet werden könnte. Dies sei jedoch nur möglich, wenn mit den überkommenen Formen politischen Denkens gebrochen werde, denn sie hätten sich als unfähig erwiesen, die Gesetze des Friedens zu entdecken. Was Hobbes damit verlangte, war die Abkehr von der aristotelischen Tugendlehre wie überhaupt die Abkehr des politischen Denkens von der praktischen Philosophie und seine Überführung in die theoretische Philosophie. Aristoteles hatte die Einordnung der Politik - neben Ethik und Ökonomik - in den Bereich der praktischen Philosophie damit begründet, dass sie es mit veränderlichen, von Zeitumständen und äußeren Gegebenheiten abhängigen Problemen zu tun habe und es in ihr darum neben dem richtigen Erkennen auf das rechte Handeln ankomme. Es ist die wissensystematische Zuordnung politischer Theorie zur praktischen Philosophie, gegen die Hobbes an der zitierten Stelle mit dem Argument angeht, sie habe dazu geführt, dass es im politischen Denken seit der Antike keinen Fortschritt gegeben habe, denn diese Art des Denkens sei aufgrund des fehlenden systematischen Ausgangspunktes nicht in der Lage, die Ordnung der Gesellschaft rational zu konstruieren und diesbezügliches Wissen zu akkumulieren. Was Hobbes vorschlägt, ist ein fundamentaler Bruch mit einer zweitausendjährigen Tradition politischen Denkens. Hobbes brach damit nicht nur mit der an den europäischen Universitäten nach wie vor hegemonialen Philosophie des Aristoteles, sondern verwarf auch das große Projekt des Renaissance-Humanismus, durch eine Rückbesinnung auf die Vorbilder der Antike zu einem Aufschwung von Kultur und Wissenschaft in Europa beitragen zu können. Die philologisch geschulte Neulektüre antiker Texte und die Orientierung am Vorbild der Römer sollten nach Auffassung der Renaissance-Humanisten dafür sorgen, dass die Menschen moralisch besser und politisch klüger würden. Aber weder Erasmus, der in seiner Institutio Principis Christiani auf die sorgfältige Erziehung eines christlichen Herrschers gesetzt hatte, noch Machiavelli, der in seinen Discorsi die Orientierung an den politischen Praktiken der Römer als Orientierungsmaßstab effektiven politischen Handelns ins Spiel gebracht hatte, waren für Hobbes Politiktheoretiker, an die man anknüpfen konnte und deren Überlegungen sich weiterführen ließen. Mit wenigen Ausnahmen, Thukydides etwa oder auch Platon, ließ sich aus der Tradition des politischen Denkens nach Hobbes' Auffassung nichts oder nur Falsches lernen. Also musste methodologisch ein radikaler Neuanfang gemacht werden, und dafür hat Hobbes die Übernahme mathematisch-naturwissenschaftlicher Verfahren in die politische Wissenschaft vorgesehen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass Hobbes in dem knapp ein Jahrzehnt später verfassten Widmungsbrief zu De corpore die Behauptung aufgestellt hat, politische Philosophie im exakten Sinne sei "nicht älter als das Buch, welches ich selbst unter dem Titel De cive verfaßt habe" (OL 12). Es dürften diese und ähnliche, die wissenschaftliche wie die politische Gelehrsamkeit vor den Kopf stoßenden Äußerungen gewesen sein, die Leo Strauss dazu veranlasst haben, Hobbes als "unklug" zu bezeichnen. So hat Hobbes seine Überzeugungen und Grun...