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Polarisierte Städte

Soziale Ungleichheit als Herausforderung für die Stadtpolitik

Erschienen am 07.11.2013, 1. Auflage 2013
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593399744
Sprache: Deutsch
Umfang: 351 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 21.4 x 14 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Seit Längerem polarisiert sich die Sozialstruktur in den entwickelten westlichen Ländern, so auch in Deutschland. Vor diesem Hintergrund behandelt der Band die wachsende soziale Ungleichheit in den Städten und deren Folgen für die sozialräumliche Struktur der Stadt. Dem stehen kulturelle, politische und ökonomische Potenziale gegenüber, auf die die gegenwärtige und zukünftige Stadtpolitik zurückgreifen kann: etwa die Rekommunalisierung privatisierter Dienste oder die Entwicklung in benachteiligten Quartieren, hier besonders die Schulpolitik. Die Beiträge - bezogen auf deutsche, europäische sowie amerikanische Städte und Politikansätze - bündeln die Fragen der aktuellen Stadtforschung und Stadtpolitik.

Autorenportrait

Martin Kronauer ist Professor für Gesellschaftswissenschaften an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Walter Siebel ist Professor i.R. für Soziologie an der Universität Oldenburg. Zusammen mit Hartmut Häußermann hat er bei Campus das Buch "Stadtsoziologie" (2004) publiziert.

Leseprobe

Drei Perspektiven stadtsoziologischer Forschung In den Städten verdichten sich die emanzipatorischen Möglichkeiten, aber auch die Problemlagen und zerstörerischen Wirkungen moderner, kapitalistischer Gesellschaften. Über die Lebensqualität in der Gesellschaft entscheidet der Umgang mit den Fremden, die die Städte bevölkern, der Umgang mit den sozialen Ungleichheiten innerhalb der Städte und zwischen ihnen und der Umgang mit den ökologischen und sozialen Folgen von Wachstum und Schrumpfen der Städte. Zwar ist die Stadt heute nicht mehr als "unabhängige Variable" (Häußermann/Siebel 2004: 100) zu denken. Verstädterung und Urbanisierung haben den Stadt-Land-Gegensatz zunächst abgeschwächt und schließlich überwunden (Häußermann 2006: 257). Wohl aber wirken die Städte "als Katalysator, Filter oder Kompressor gesellschaftlicher Entwicklungen" (Häußermann/Siebel 2004: 100). Dies gilt insbesondere für gesellschaftliche Ungleichheit. Ungleichheiten der Klassenlage und Einkommen, des Geschlechts, der Lebensstile und Lebensphasen manifestieren sich in den Sozialräumen der Städte, ihrer Ausstattung mit Infrastruktur und Wohnraum, der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit ihrer öffentlichen Plätze. Städte erzeugen diese Ungleichheiten nicht, aber sie können sie verstärken oder auch abschwächen und ihre problematischen Folgen mehr oder weniger kompensieren. Eine enge Koppelung von Arbeitsmärkten und Wohnungsmärkten zum Beispiel verschärft die Ungleichheit dadurch, dass sie die sozialräumliche Segregation verstärkt. Einkommensschwache konzentrieren sich dann in Quartieren mit schlechterer Wohnqualität, oft auch mit einer schlechteren Versorgung mit öffentlichen und privaten Dienstleistungen und einem schlechten Ruf, der sich etwa bei der Arbeitssuche bemerkbar macht. Auf diese Weise können negative Nachbarschaftseffekte, die die Lebensqualität und Lebenschancen zusätzlich beeinträchtigen, wirksam werden (Häußermann/Kronauer 2009). Städte können aber auch durch einen sozialen Wohnungsbau, der ohne Diskriminierungen alle Wohngebiete einbezieht, derartige Effekte abschwächen oder vermeiden. Sie können überdies durch die Bereitstellung von Dienstleistungen zu erschwinglichen Preisen und von öffentlichen Gütern oder auch als öffentliche Arbeitgeber dazu beitragen, Einkommensungleichheit und deren Folgen zu vermindern. Sie sind dabei allerdings auf eine nationale Gesetzgebung angewiesen, die ihnen lokale Verantwortlichkeiten und Kompetenzen überträgt, vor allem aber auf Einkommensquellen (eigenständige Finanzquellen, Länder- und Bundesmittel, europäische Gelder und auf die Standortentscheidungen von Unternehmen), die sie nur begrenzt beeinflussen können. Stadtforschung muss folgerichtig immer eingebunden sein in die Analyse gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen. Beispielhaft dafür seien die demographischen Veränderungen genannt (Häußermann/Siebel 1987), die Prozesse der Deindustrialisierung und die Entwicklung der "Dienstleistungsgesellschaften" (Häußermann/Siebel 1995). Dabei interessieren aber nicht allein deren Auswirkungen auf die Städte, vor allem was die Ungleichheiten betrifft, sondern ebenso die Bearbeitung der gesellschaftlichen Entwicklungen durch die Städte, vor allem ihre Potenziale zur Bewältigung und Eindämmung von sozialen Ungleichheiten. Das von Häußermann häufig gebrauchte Bild der Stadt als "Integrationsmaschine" (z.?B. Häußermann 2006: 257) bringt dies prägnant zum Ausdruck. Er bezeichnete damit Strukturmerkmale europäischer Städte einer bestimmten Epoche, die am Ende des 19. Jahrhunderts einsetzte, in den dreißig Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zur bisher vollsten Entfaltung kam und seither einen Niedergang erlebt, ohne dass bereits entschieden wäre, welche Epoche sie ablöst (siehe hierzu auch den Beitrag von Préteceille in diesem Band). Ende des 19. Jahrhunderts waren die europäischen Städte, konfrontiert mit den dramatischen Folgen der Industrialisierung und der sie begleitenden und vorantreibenden Klassenspaltung, zum Experimentierfeld sozialstaatlicher Maßnahmen geworden, noch ehe überhaupt von einem Sozialstaat im engeren Sinn die Rede sein konnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wirkten sie als "Integrationsmaschinen" arbeitsteilig und im Rahmen expandierender, lokal ebenso wie regional und national organisierter Sozialstaaten. Mit der Bereitstellung kollektiver Güter, der Ausweitung sozialer Dienste und dem sozialen Wohnungsbau trugen sie dazu bei, die Ungleichheiten in den Lebensbedingungen zu verringern, Aufstiegsmobilität zu fördern und die Lohnabhängigen "vor Ort" in die bürgerliche Gesellschaft einzubinden (Häußermann 2006: 258) - all dies unter der Voraussetzung hoher ökonomischer Wachstumsraten und relativer, weitgehend auf die erwerbstätigen Männer beschränkter Vollbeschäftigung. Die wieder zunehmende Arbeitslosigkeit und Armut in den Städten sowie deren sozialräumliche Verdichtung, aber auch die Finanzknappheit der Städte zeigten seit den 1980er Jahren an, dass die "Integrationsmaschine" ins Stocken geraten war. Beides, die Analyse gesellschaftlicher Entwicklungen mit Blick auf ihre Manifestationen in den Städten und das Aufspüren der Potenziale, mit denen die Städte die Entwicklungen verarbeiten können, verbindet sich in einer gesellschaftlicher Aufklärung verpflichteten Stadtsoziologie mit einem Dritten, dem politischen Impetus, mittels der eigenen Forschungen zu intervenieren. Stadtpolitik ist gleichermaßen Untersuchungsgegenstand (Häußermann u.?a. 2008) wie Betätigungsfeld, Intervention eine notwendige Konsequenz der eigenen Erkenntnisse, sie muss aber immer auch von der kritischen Distanz wissenschaftlicher Erkenntnis geleitet sein. Die drei Perspektiven, die Hartmut Häußermanns Arbeit angeleitet haben, sind für fruchtbare stadtsoziologische Forschung wegweisend und unverzichtbar. Die Beiträge des vorliegenden Bandes sind deshalb diesen Perspektiven zugeordnet: der Analyse aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen sozialer Ungleichheit und ihrer Manifestationen in den Städten (I); den Potenzialen, die Städte bereithalten, um die daraus resultierenden Konflikte auszutragen und auszuhalten, die Ungleichheiten einzudämmen oder gar zu überwinden (II); der Stadtpolitik, die seit einiger Zeit eine ambivalente Aufwertung erfährt (III). Gelten diese Beiträge im Wesentlichen den Versuchen einer Gegenwartsdiagnose, so werden wir im Abschnitt IV offene Forschungsfragen für die Zukunft formulieren, die den gleichen drei Perspektiven verpflichtet sind und an die vorliegenden Beiträge anknüpfen.

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