Beschreibung
Das Werk von Judith Butler übt seit zwei Jahrzehnten nachhaltigen Einfluss auf viele Debatten in den Sozial-, Kultur- und Geisteswissenschaften aus. Auch in den Feuilletons sowie in politischen Auseinandersetzungen ist sie immer wieder präsent. 1991 erschien ihr vieldiskutiertes Buch "Das Unbehagen der Geschlechter" mit der provokanten These, dass die Geschlechterdifferenz nicht biologisch, sondern performativ zu verstehen sei.Heute gilt Butler als eine der Begründerinnen der Queer Theory und als Philosophin, die sich an der Formulierung einer Ethik der Verletzbarkeit versucht. Diese überarbeitete und erweiterte Einführung stellt Butlers Werk in den Kontext der zeitgenössischen Diskussion, geht auf die kontroverse Rezeption ein und hilft beim Verständnis der komplexen Argumentationen.
Autorenportrait
Paula-Irene Villa ist Professorin für Soziologie an der Universität München.
Leseprobe
Einleitung
Kaum eine andere Autorin hat in der zeitgenössischen feministischenbzw. Geschlechter-Theorie sowie in allen Disziplinen, die darin involviertsind, für so viel Aufsehen gesorgt wie Judith Butler kaum eineandere Geschlechtertheoretikerin war, zunächst jedenfalls, derart umstritten.Der Streit hat sich im Laufe der Jahre zugunsten einersachliche(re)n und präziseren Rezeption gelegt, die in Teilen gleichwohlkritisch und kontrovers ist. Für viele ist heute womöglich nicht mehrnachvollziehbar, welches tatsächliche Unbehagen das 1991 im Deutschenerschienene Buch Das Unbehagen der Geschlechter ausgelöst hat,und zwar sowohl innerhalb der Geschlechterforschung als auch in denfeministischen Öffentlichkeiten. Judith Butler wurde im deutschsprachigenRaum zwar sofort nach Erscheinen ihres ersten deutschsprachigenBuches ausgesprochen breit rezipiert (was keineswegs selbstverständlichist), sie wurde dabei allerdings zunächst mit Skepsis, ja mitAblehnung bedacht. Geradezu erbost reagierte manch gestandene Wissenschaftlerinund manch arrivierter Wissenschaftler auf ihr Erscheinen.Davon zeugen die ersten Auseinandersetzungen um 1993, etwaCarol Hagemann-Whites Feststellung, bei Gender Trouble (so der Originaltitel)handele es sich um ein »höchst oberflächliches und ärgerlichesBuch« (Hagemann-White 1993, 69). Inwiefern dies zutrifft, müssen dieLesenden letztlich selbst entscheiden. Dieser Band will dazu beitragen,Vorurteile in Bezug auf die Texte Judith Butlers zu überwinden, auchindem eine Orientierung für das selbstständige Lesen der Primärliteraturgelegt wird.
Sicher ist, dass sich nicht erst, aber doch spätestens seit den ArgumentenButlers sowie ihrer ungeheuren Produktivität in theoretischerwie empirischer Hinsicht »Geschlecht« nur mehr in Anführungszeichen,als uneigentliche Eigentlichkeit verstehen lässt. Hierauf gehen dieKapitel 3 und 4 besonders ein. Butler gilt überdies nicht nur als Mitbegründerin der »Queer Theory« (vgl. Kapitel 5), sie steht auch für denlinguistic turn der Geschlechterforschung (vgl. Kapitel 1). Auch hattesie wie sich zeigen wird, nicht ganz zu Recht zunächst den Ruf einertypisch »postmodernen« Autorin, und sie gilt dies nun zu Recht alsausgesprochen »poststrukturalistische« Denkerin (vgl. Kapitel 1 und 2).Zunehmend sichtbar hat sich seit den frühen 1990er Jahren, nicht zuletztunter deutlicher Bezugnahme auf Judith Butlers Texte, ein neues,transdiziplinäres Feld etabliert, die Queer Studies (vgl. Hark 2005,Kraß 2009), das sich in der gleichzeitigen Abgrenzung wie Überschneidungzur feministischen bzw. Geschlechterforschung artikuliert. Dieskann durchaus als Echo auf die wenn auch nicht allein, so doch wesentlich durch Butler ausgelöste Destabilisierung der Grundkategorie(Gender) der Geschlechterforschung verstanden werden. Im Ganzenalso hat sie, besonders im deutschsprachigen Raum, vielfache Grundannahmender akademischen Geschlechterforschung nachhaltig in Fragegestellt, die bis weit in die 1990er Jahren dominant waren. Die Fokussierungauf Butler übersieht jedoch, hierauf geht Kapitel 7 kursorischein, dass so manche durch Butler formulierte Infragestellung so neu garnicht war und dass auch die deutschsprachige feministische bzw. Gender-Theorie keineswegs so homogen war wie im Nachhinein manchmalsuggeriert.
Viele Missverständnisse (die ja auch ausgesprochen produktiv seinkönnen) bei der Aneignung der Texte Judith Butlers, insbesondere imdeutschsprachigen Raum, waren bzw. sind ihrer Disziplinen übergreifendeAusrichtung geschuldet: Judith Butler ist von Hause aus Philosophinund lehrt als Professorin für Rhetorik und Literaturwissenschaftan der University of California in Berkeley sowie als Gastprofessorin(2012/13) am Department für Englisch und Vergleichende Literaturwissenschaftender University of Columbia in New York. Ihre Überlegungenleben jedoch vom produktiven Blick über den disziplinären Tellerrandund von der Zusammenführung oft getrennter, disziplinär eingehegterDebatten: Psychoanalyse, Philosophie, Sprachtheorie, Geschichteund Sozialwissenschaften, politische Theorie, Ethik wie auch lesbische,feministische, queere, race und postcolonial studies sowie politisch-intellektuelleEngagements spielen in Butlers Texten eine zentrale Rolle.Mehr noch: Diese Stränge und Konstellationen werden in bisweilen undisziplinierterWeise miteinander verknüpft, was gerade im deutschsprachigenKontext zu vielfachen Irritationen führen kann. Diese Transdisziplinarität nötigt ihr Publikum, sich entsprechend (fort) zu bilden.Soziolog_innen sind möglicherweise psychoanalytische oder ethischphilosophischeTerminologien nicht vertraut, und dies wirkt sich als anstrengendeHürde bei der Lektüre aus. Literaturwissenschaftler_innenwerden womöglich bei den politiktheoretischen Ausführungen vonButler das entsprechende Buch genervt beiseite legen, und manche Feminist_innen, die sich Impulse z. B. für die netzpolitische Praxis erhofften,geben bei den diffizilen Überlegungen zur Subjekttheorie resigniertauf. Positiv lassen sich diese Erfahrungen aber wenden als undramatischeEffekte spezifischer Lesarten einer ungemein vielseitigen und entsprechendbreit rezipierten Autorin. Anders gesagt: Man muss zwarnicht alle Feinheiten aller Bezugnahmen im Butlerschen OEuvre nachvollziehen,um wesentliche Aspekte zu verstehen. Doch sollte man sichauf unter Umständen zunächst fremde (und befremdliche) Begriffe sowieArgumentationen einlassen wollen. Vor diesem Hintergrund mögedas vorliegende Buch gelesen werden als Einladung und Anleitung zumSelbststudium.
Inhalt
InhaltSiglen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7Vorwort zur zweiten Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Alles nur Text? Diskurs und Sprache . . . . . . . . . . . . . . . . 192 Postsouveräne Subjekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 Intelligible Geschlechter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 594 Materielle Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 795 Queer Politics, Queer Theory . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 996 Verletzbarkeit, Trauer, Anerkennung Ethik und Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1217 Rezeption und Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173Biografische Daten mit ausgewählten Buchpublikationen . . 177
Schlagzeile
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