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Im Kampf gegen Nazideutschland

Die Berichte der Frankfurter Schule für den amerikanischen Geheimdienst 1943-1949, Frankfurter Beiträge zur Soziologie und Sozialphilosophie 22

Erschienen am 18.02.2016, 1. Auflage 2016
39,95 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593503455
Sprache: Deutsch
Umfang: 812 S.
Format (T/L/B): 5.1 x 23.2 x 16.4 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Während des Zweiten Weltkriegs arbeiteten Franz Neumann, Herbert Marcuse und Otto Kirchheimer, die in den 1930er Jahren vor der nationalsozialistischen Verfolgung ins Exil in die USA geflohen waren, für das Office of Strategic Services, den Vorläufer der CIA. Zwischen 1943 und 1949 versorgten sie die Amerikaner mit umfangreichen Dossiers über das politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in der NS-Diktatur, über Hitlers Kriegsstrategien und die Rolle des Antisemitismus. Darüber hinaus entwarfen sie Pläne für den Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft nach dem Zusammenbruch des 'Dritten Reichs'. So spielten sie bei der Entwicklung der alliierten Nachkriegspolitik, den Entnazifizierungsprogrammen und der Vorbereitung der Nürnberger Prozesse eine maßgebliche Rolle.

Autorenportrait

Franz Neumann (1900 - 1954), gilt als einer der Begründer der Politikwissenschaft in Deutschland; er lehrte seit 1948 als Professor an der Columbia University in New York. Herbert Marcuse (1898 - 1979) zählt zu den Hauptvertretern der Kritischen Theorie der Frankfurter Schule; 1964 wurde er Professor an der University of California in San Diego. Otto Kirchheimer (1905 - 1965) lehrte ab 1955 Politikwissenschaft an der New School for Social Research in New York. Raffaele Laudani ist Professor für die Geschichte der politischen Theorie an der Universität Bologna.

Leseprobe

Vorwort Zum traditionellen Bild der Frankfurter Schule gehört die Vorstellung, dass es sich dabei um einen Kreis von jüdischen Linksintellektuellen gehandelt hat, der sich aufgrund seiner skeptischen Einschätzung politischer Handlungsmöglichkeiten auf die bloße Analyse der Strukturwandlungen der kapitalistischen Gesellschaftsordnung beschränkte; zwar mochten einzelne Mitglieder des Kreises von dieser Einschätzung ausgenommen werden, weil sie der einen oder anderen Fraktion der Arbeiterbewegung angehörten, aber im Großen und Ganzen war man doch über einen langen Zeitraum hinweg der Überzeugung, dass sich die Vertreter des Instituts für Sozialforschung in ihrem selbstgewählten Elfenbeinturm recht wohlgefühlt haben. Dass dieses Bild falsch ist, weil es anders gelagerte, praktisch-politisch gerichtete Stränge der Schule sträflich vernachlässigt, haben in den letzten Jahrzehnten bereits nachdrücklich eine Reihe von Studien bewiesen - eine zureichende Vorstellung von Adorno ist, wie wir heute wissen, nur zu erhalten, wenn man in ihm auch den um die Demokratisierung Westdeutschlands bemühten Intellektuellen wahrzunehmen bereit ist (zum Beispiel Demirovi? 1999; Freyenhagen 2014). Für die am Institut für Sozialforschung beschäftigten Juristen und politischen Wissenschaftler muss gelten, dass sie kontinuierlich am Kampf der Arbeiterbewegung um Verbesserungen der Lebensbedingungen des Proletariats beteiligt waren (exemplarisch Luthardt 1976; Scheuerman 1997 [1994]). Ein vollständiges Bild dieser anderen, politisch aktiven Seite der Frankfurter Schule ist jedoch wohl erst zu gewinnen, wenn man das Buch zur Kenntnis nimmt, das wir hiermit in unserer Reihe veröffentlichen: Es enthält die bislang identifizierten Berichte, die Herbert Marcuse, Franz Neumann und Otto Kirchheimer im Zeitraum zwischen 1943 und 1949 für die Research and Analysis Branch des in Washington beheimateten Office of Strategic Services (OSS) im Abwehrkampf gegen das nationalsozialistische Deutschland verfasst haben. Die äußerst schwierige Aufgabe, anhand von unterschiedlichen Indikatoren aus der Unmasse der anonymisierten Geheimdienstberichte des OSS diejenigen herauszufiltern, die von diesen drei Mitgliedern des ins Exil getriebenen Instituts für Sozialforschung als Auftragsarbeiten verfertigt wurden, ist dem italienischen Ideenhistoriker Raffaele Laudani gelungen; mittels aufwendiger und mühevoller Recherchen in den US-National Archives in College Park, Maryland, wo die zum Zweck der Bekämpfung Nazideutschlands erstellten Berichte nach 1975 öffentlich zugänglich gemacht wurden, hat er am Ende 31 Schriftstücke identifizieren können, die mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit der Autorenschaft entweder von Herbert Marcuse, Franz Neumann oder Otto Kirchheimer zugerechnet werden können. Mit seiner Herausgabe dieser Geheimdienstberichte hat Laudani nach jetzigem Kenntnisstand die äußerst verdienstvolle Arbeit vorerst einmal vollendet, die Alfons Söllner (1986a und 1986b) und Peter-Erwin Jansen (Marcuse 1998) mit ihren jeweiligen Auswahlbänden von Beiträgen der drei beim OSS tätigen Vertreter der Frankfurter Schule schon vor geraumer Zeit begonnen hatten. Als das von Laudani herausgegebene Buch mit den von Kirchheimer, Marcuse und Neumann in geheimer Mission geschriebenen Analysen 2013 in der Princeton University Press erschien, sorgte das sofort für große Aufmerksamkeit in der intellektuellen Öffentlichkeit der USA; schwarz auf weiß war hier zu lesen, welchen Beitrag zumindest eine Untergruppe des stets als ein wenig versponnen und überdies als dogmatisch-marxistisch angesehenen Zirkels der Frankfurter Schule zum Kampf der Alliierten gegen den nationalsozialistischen Kriegsgegner geleistet hatte (vgl. Scheuerman 2013). Zur Paradoxie der Wirkungsgeschichte dieses Theoriezirkels gehört es, dass die in mittelmäßigem Englisch geschriebenen Geheimdienstberichte nun für unsere Veröffentlichung erst in die Sprache zurückübersetzt werden mussten, die ihre Autoren zu schreiben gelernt hatten und die ihnen stilistisch daher immer wieder in die Parade fuhr; in ihren kurzen Anmerkungen berichtet die Übersetzerin von den Schwierigkeiten, vor die sie die daraus resultierenden Hybridgebilde in Syntax und Semantik bei ihrer Arbeit regelmäßig gestellt haben. Dass die umfangreiche Übersetzung vom Institut für Sozialforschung aber überhaupt gestemmt werden konnte, verdankt sich einer großzügigen Spende der Hamburger Stiftung zur Förderung von Wissenschaft und Kultur; schon an dieser Stelle möchte ich mich ganz herzlich bei Jan Philipp Reemtsma bedanken, der vor knapp zwei Jahren schnell und unkompliziert meiner Bitte nachgekommen ist, uns bei dem unsere ökonomischen Möglichkeiten weit übersteigenden Vorhaben finanziell unter die Arme zu greifen. Was dank dieser Hilfe entstanden ist, stellt ein in die Muttersprache der Verfasser rückübersetztes Dokument dar, das ein einzigartiges Kapitel in der verschlungenen Geschichte des seit 1930 von Max Horkheimer geleiteten Instituts für Sozialforschung bildet. Auch wenn die drei Autoren nicht im Auftrag des Instituts gehandelt haben, als sie im Jahr 1943 der Einladung des OSS folgten, ihre intellektuellen Fähigkeiten und Deutschlandkenntnisse dem geheimdienstlichen Kampf gegen das nationalsozialistische Deutschland zur Verfügung zu stellen, spiegelt sich in ihren zu diesem Zweck verfassten Berichten doch dessen Geist und Arbeitsweise aufs Genaueste. Marcuse, Neumann und Kirchheimer, die in Hinblick auf akademische Herkunft, theoretische Ausrichtung und politische Orientierung zunächst wenig miteinander teilten, waren auf sehr unterschiedlichen Wegen zum Kreis um Max Horkheimer gestoßen: Marcuse war bekanntlich Doktorand von Heidegger in Freiburg gewesen, bevor er sich in bitterer Enttäuschung über die nationalsozialistische Gesinnung seines Lehrers an das bereits nach Genf umgesiedelte Institut wandte, um an der Ausarbeitung der philosophischen Grundlagen einer kritischen Gesellschaftstheorie mitzuarbeiten; Neumann, der Rechtswissenschaften, Philosophie und Ökonomie studiert hatte, war als für die SPD tätiger Arbeitsrechtler schon 1933 zur Flucht nach London gezwungen gewesen, von wo aus er drei Jahre später auf Anraten von Harold Laski dem Institut seine Dienste anbot, dem er als juristisch informierter Fachmann für die Strukturanalyse des sich wandelnden Kapitalismus zur Verfügung stehen wollte; und Kirchheimer, vormals Doktorand von Carl Schmitt an der Universität Bonn, nahm seine Kooperation mit dem Institut im Pariser Exil auf, wohin er mit Hilfe eines Stipendiums der London School of Economics 1933 geflohen war, weil er als sozialistisch orientierter Jurist unter der beginnenden Diktatur der Nazis verfolgt zu werden drohte. So unterschiedlich die Wege zum Institut für Sozialforschung für die drei Wissenschaftler mithin auch gewesen sind, man fand sich dann schließlich im New Yorker Exil zusammen, wo Max Horkheimer für sein Unternehmen eine vorläufige Bleibe an der Columbia University gefunden hatte. Wie es dort zu einer engeren Verbindung zwischen Marcuse, Neumann und Kirchheimer hat kommen können, die ja dann nach 1943 gemeinsam als Team für das OSS tätig werden sollten, ist im Rückblick kaum mehr auszumachen; die drei Exilanten trafen zu verschiedenen Zeiten in New York ein, verfolgten weit auseinanderliegende Forschungsinteressen und übernahmen überdies am Institut auch höchst unterschiedliche Aufgaben, für die als gemeinsamer Nenner nur gelten kann, dass sie eher an der Peripherie als im Zentrum der bald wieder aufgenommenen Forschungstätigkeit angesiedelt waren. Derjenige unter ihnen, der die größte Befähigung mitbrachte, die Eigenart der sich im fernen Deutschland etablierenden Nazidiktatur zu analysieren, war ohne Frage Franz Neumann; insofern darf er auch als die Person gelten, durch die das 1941 durch Dekret von Präsident Roosevelt gegründete Office of Strategic Services auf die brachliegenden und zukünftig zu nutzenden Kompetenzen der ...

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