Beschreibung
Öffentliche Soziologie, wie sie mit dem Konzept der "Public Sociology" in die Diskussion gebracht worden ist, zielt auf den Dialog und engen Austausch zwischen Wissenschaft und Zivilgesellschaft. Indem gesellschaftlich drängende Fragen auf die soziologische Agenda gesetzt werden und wissenschaftliche Erkenntnisse öffentlich diskutiert werden, schlägt sie eine Brücke zwischen Alltags- und Gesellschaftskritik. Der Band stellt das Konzept vor, zeigt beispielhaft, wie öffentliche Soziologie international praktiziert wird und welche Aufgaben, Versprechen und Herausforderungen sich im Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zeigen.
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Autorenportrait
Brigitte Aulenbacher ist Professorin für Soziologie an der Universität Linz. Michael Burawoy ist Professor für Soziologie an der University of California, Berkeley. Klaus Dörre ist Professor für Soziologie an der Universität Jena. Johanna Sittel ist dort wissenschaftliche Mitarbeiterin.
Leseprobe
Vorwort Mit einiger Verspätung nimmt die Debatte um public sociology, die in der in-ternationalen scientific community seit einem guten Jahrzehnt geführt wird, auch im deutschsprachigen Raum allmählich Fahrt auf. Mit dem vorliegenden Band beabsichtigen die Herausgeberinnen, die Diskussion nicht nur fortzuführen, sondern auch um eine wichtige Dimension zu erweitern. Können sich Gesellschaften, die eine große, krisenhafte Transformation durchlaufen, eine Wissenschaft von der Gesellschaft leisten, die vornehmlich um sich selbst kreist und auf einen Dialog mit der Öffentlichkeit verzichtet? So lautet die implizite Frage an die Autoren des Bandes, die unterschiedlich und teilweise kontrovers beantwortet wird. Das Buch dokumentiert Teil- und Zwischenergebnisse zu einem Metathema der DFG-Kollegforschungsgruppe "Post-wachstumsgesellschaften", die am Institut für Soziologie der Friedrich-Schiller-Universität Jena angesiedelt ist. Den Anlass für das Buch bot eine Tagung zu "Public Sociology - Wissenschaft und gesellschaftsverändernde Praxis", die das Kolleg in enger Kooperation mit der Johannes Kepler Universität Linz im Januar 2015 durchgeführt hat. Die Geschichte des Buchs reicht aber noch weiter zurück. Sie beginnt mit einer Konferenz zu precarious societies in Johannesburg, als deren Schirmherr Michael Burawoy fungierte, an der Klaus Dörre als Referent teilnahm und die, gewissermaßen im Beiprogramm und unter dem unmittelbaren Eindruck der blutigen Ereignisse von Marikana, ein überaus inspirierendes Treffen mit der public-sociology-Arbeitsgruppe Johannesburg ermöglichte. Es folgten Besuche von Michael Burawoy und Eddie Webster, SWOP Johannesburg, in Jena, an denen auch Brigitte Aulenbacher und Johanna Sittel beteiligt waren. Aus diesen Treffen erwuchs die Idee zur Konferenz und auch zu dem vorliegenden Band. Das Buch ist, so können wir sagen, Produkt einer internationalen, Konti-nente übergreifenden Zusammenarbeit. Beflügelt hat uns die außeror-dentlich positive Resonanz seitens der Teilnehmerinnen an der Jenaer Konferenz. An der Buchproduktion waren ebenfalls zahlreiche Köpfe und Hände beteiligt. Elisabeth Franzmann hat sich bei der Korrespondenz mit den Autorinnen, der Koordination und dem Redigieren der Buchbeiträge besonders verdient gemacht. Ihr sind wir zu besonderem Dank verpflichtet. Großer Dank gilt Cora Puk und Anna Mehlis sowie Sophie Bose, Julia Haas, Greta Hartmann, Heidemarie Schütz und Rebecca Sequeira für die Bearbeitung und Formatierung der Texte. Jan-Peter Herrmann und Marek Höhn haben bei der Übersetzung englischer und spanischer Beiträge hervorragende Arbeit geleistet. Alle Genannten haben zur Entstehung eines Buches beigetragen, dessen implizite Leitfrage eines Tages, so hoffen wir jedenfalls, mit einem Achselzucken quittiert werden wird: Benötigt eine Wissenschaft von der Gesellschaft gesellschaftliche Öffentlichkeit? Ja, was denn sonst! Brigitte Aulenbacher, Michael Burawoy, Klaus Dörre und Johanna Sittel, Berkeley, Linz, Jena und Populonia im Dezember 2016 Zur Einführung: Soziologie und Öffentlichkeit im Krisendiskurs Brigitte Aulenbacher, Michael Burawoy, Klaus Dörre und Johanna Sittel Es liegt noch kein Vierteljahrhundert zurück, als Francis Fukuyama in einem inzwischen weltbekannten Buch (Fukuyama 1992) das Ende der Geschichte verkündete und damit nicht nur die Soziologie, sondern auch die Sozialwissenschaften insgesamt mit einer doppelten Herausforderung, man könnte auch sagen: Abwertung, konfrontierte. Einerseits hatte der Kollaps des staatsbürokratischen Sozialismus die große Mehrzahl der Soziologen überrascht, was zu öffentlichen Zweifeln an der Prognosefähigkeit der Disziplin führte. Andererseits schien nunmehr die Zeit der großen Erzählungen endgültig vorbei. Wenn die Zukunft der kapitalistischen Moderne nur eine - vielleicht ein wenig modifizierte - kapitalistische Moderne sein konnte, so war, wie viele meinten, in der Soziologie und in den Sozialwissenschaften allgemein Bescheidenheit angesagt. Da ohnehin nicht viel mehr blieb, als den Dschagannath-Wagen der Moderne (Giddens 1995) in seiner unaufhaltsamen Fahrt hin und wieder ein wenig in der Richtung zu beeinflussen, konnte die Soziologie Ansprüche, zur "Besserung von Gesellschaft" (Eßbach 2014: 33) bei-tragen zu wollen, getrost ignorieren und sich stattdessen der Ausdifferenzierung ihrer Forschungsgegenstände und Methoden widmen. Als Krisenwissenschaft wurde sie offenbar nicht mehr gebraucht und für die Einlösung des sozialtechnokratischen Steuerungsanspruchs, der nach der Revolte von 1968 in vielen Ländern zu einer Expansion des Fachs geführt hatte, fehlten ihr schlicht die Partner in Politik und Zivilgesellschaft. Derart sich selbst überlassen, war die Frage nach geeigneten Öffentlichkeiten für ihre Forschungen aus Sicht zahlreicher Soziologinnen schlicht irrelevant. Wer nicht gebraucht wurde, musste nach Öffentlichkeit nicht streben, und wer es dennoch tat und seine wissen-schaftliche Reputation nutzte, um im öffentlichen Raum präsent zu sein, war häufig - Ausnahmen bestätigen die Regel - auf Distanz zu praktischen Verwendungszusammenhängen bedacht. 1. The (Sociological) Revolution Can (Not?) Be Televised Spätestens seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008/09 tragen solche Grundhaltungen nicht mehr. Das spüren viele im Fach, doch auch und gerade in Deutschland fällt es offenbar schwer, disziplinäre Weichenstellungen und Wissenschaftstraditionen zu verändern. Als Immanuel Wallerstein, Michael Mann, Randal Collins, Georgi Derluguian und Craig Calhoun - allesamt anerkannte Größen im Fach - ihren "Weckruf an die Sozialwissenschaften" veröffentlichten (Wallerstein u.a. 2013), verhallte dieser in Deutschland weitgehend ungehört. Dabei schien das, was die Autoren des "Weckrufs" zu sagen hatten, nach soziologischer Debatte geradezu zu schreien, und in konstruktiver Kontroverse deuteten sie an, welche Fragen in einer solchen Diskussion zu klären wären. Wallerstein und Collins interpretieren die Zäsur von 2008/09 als Vorspiel für den unumkehrbaren Niedergang des gesamten kapitalistischen Weltsystems. Eine große Systemkrise erwarten die beiden Autoren in der Zeit zwischen 2030 und 2050. Mann und Calhoun widersprechen mit guten Argumenten, halten eine Revitalisierung des Kapitalismus für möglich, wissen sich mit ihren Kontrahenten aber darin einig, dass wir uns inmitten einer bereits im Gange befindlichen großen gesellschaftlichen Transformation befinden, die auch das Selbstverständnis von Wissenschaft allgemein und von Soziologie im Besonderen berührt. Sieht man von prominenten Ausnahmen wie etwa Wolfgang Streeck (2015) ab, so wird das im Fach selbst öffentlich aber kaum thematisiert. Sicher, auch in Deutschland können Soziologen nach langer Zeit das K(apitalismus)-und-K(risen)-Vokabular wieder benutzen, ohne gleich schädliche Folgen für die wissenschaftliche Karriere fürchten zu müssen. Mehr noch, Kapitalismus- und Gesellschaftskritik sind wieder hoffähig geworden und haben Eingang auch in die Feuilletons der Qualitätspresse gefunden. Man kann als Soziologin und Sozialwissenschaftlerin öffentlich über das vermeintlich bevorstehende Ende des Kapitalismus räsonieren oder gar behaupten, dass wir uns längst auf eine andere, eine nachkapitalistische Gesellschaft zubewegen - all das bleibt aber zumeist merkwürdig konsequenzlos. Mitunter gewinnt man den Eindruck, als überbiete sich die akademische Kapitalismuskritik im ständigen Ringen um Originalität geradezu in (schein)radikalen Posen. Doch ihr Schicksal ist häufig genug dasjenige, welches Revolutionäre in der Rock- und Popmusik seit langem beklagen. "Revolution can not be televised", verkündete Gil Scott-Heron, der Urvater des Hip-Hop seinerzeit optimistisch. "The Revolution will be televised", schallt es vom jüngsten Album des Blues-Gitarristen Jeff Beck (gemeinsam mit Carmen Vandenberg und Rosie Bones) zurück. Weit davon entfernt, den Mainstream des Fachs zu bestimmen, ...