0

Antike Welten

Kultur und Geschichte, Historische Einführungen 18

Erschienen am 09.11.2017, 1. Auflage 2017
22,00 €
(inkl. MwSt.)

Lieferbar innerhalb 1 - 2 Wochen

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593507927
Sprache: Deutsch
Umfang: 315 S.
Format (T/L/B): 2.2 x 20.6 x 13.4 cm
Einband: Paperback

Beschreibung

Knossos, Troja, Athen, Rom, Pompeji, Palmyra Einführungen in die Geschichte der Antike orientieren sich auch heute noch oft an politischen Ereignissen und den Taten "großer Männer". Beate Wagner-Hasel stellt in diesem Studienbuch dagegen die Kultur- und Religionsgeschichte, die Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie die Geschlechtergeschichte der antiken Welt ins Zentrum ihrer Darstellung, die chronologisch vom minoisch-mykenischen Griechenland bis in die römische Kaiserzeit reicht. Entlang von Umbrüchen der politischen Systeme - der Entstehung der griechischen Polis, dem Sturz der Tyrannis, dem Aufkommen der attischen Demokratie, der Gründung und Krise der römischen Republik und der Ausbildung des Prinzipats - entfaltet sie ein farbiges Bild einer Epoche, deren kulturelle und soziale Praktiken uns heute fremd geworden sind, die für die Identität Europas aber unabdingbare Anknüpfungspunkte bietet.

Autorenportrait

Beate Wagner-Hasel ist Professorin für Alte Geschichte an der Universität Hannover. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Wirtschafts- und Sozialgeschichte sowie die Geschlechtergeschichte der griechischen und römischen Antike.

Leseprobe

Einleitung: Antiquierte Antike? Vom Nutzen der Alten Geschichte "Antiquierte Antike?": Mit dieser rhetorischen Frage überschrieb 1971 der Tübinger Altphilologe und Rhetorikprofessor Walter Jens seine Rede zur 350-Jahr-Feier des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Heilbronn, um mit dem Untertitel zugleich die Antwort zu geben: "Perspektiven eines neuen Humanismus". Autonomie bewahren zu können, einen geistigen Raum zu erhalten, in dem kritisches Überschreiten, Opposition und Absage sich entfalten könne, all dies sollte die Beschäftigung mit der Antike ermöglichen (Jens 1971, 57). Er spielte dabei mit der Doppelbedeutung von Antike als Wert- und Epochenbegriff. Antike kommt vom lateinischen antiquus, anticus ("alt", "ehrwürdig", "überkommen") und wurde erst im 17. Jh. zum Epochenbegriff erhoben (Settis 2005). Indem Jens die Erziehung zur Kritikfähigkeit zur Leitlinie seines gerade nicht antiquierten Antikenverständnisses machte, bot er der kritischen Generation der "1968er" ein ihr zeitgemäßes Antikenbild an, das dem Glauben an die Wandelbarkeit von Normen und Werten Rechnung trug. Damit setzte er sich von seinem älteren Kollegen, dem Tübinger Gräzisten Wolfgang Schadewaldt, ab, einem Verfechter des sogenannten Dritten Humanismus der 1930er Jahre. Zeitlose Geltung von Maß, Ordnung und Schönheit, vor allem aber der Vorrang eines abendländischen Menschenbildes gehörten zum Credo der Vertreter des Dritten Humanismus (Hölscher 1989, 4-6). Sie sahen sich in einer jahrhundertealten Tradition, die bis in die Renaissance und in das Zeitalter der Aufklärung zurückreichte. Bis ins 19. Jh. hinein dienten antike Werke als ein allgemeines Verständigungsmittel über politische und moralische Wertvorstellungen. Als es beispielsweise im 18. Jh. in Nordamerika darum ging, sich für eine bundesstaatliche oder eine zentralistische Ordnung zu entscheiden, bezogen sich die Gründungsväter der Vereinigten Staaten Amerikas in ihren politischen Reden auf antike Beispiele. Die Antiföderalisten bewunderten die antiken Bürgerheere und verwarfen den Vorschlag der Federalists, eine dauerhafte Armee zu unterhalten, wie dies Römer und Perser getan hätten. Sie hielten dies angesichts des antiken Vorbildes der Spartaner für überflüssig. Diese hätten einst mit nur wenigen Kriegern ihr Land gegen eine Million persischer Sklaven verteidigt (Richard 1994, 79). Auf historische Richtigkeit kam es dabei nicht an. Denn die Klasse der Spartiaten, von der hier die Rede ist, bildete eine gut trainierte Kriegerkaste; sie waren quasi-professionelle Krieger, nicht Bürger, die im zivilen Leben einem anderen Beruf als dem des Soldaten nachgingen. Geschichte diente hier als Schule der politischen Moral. Aus den Schriften antiker Historiker bezog man die Vorbilder für politische Tugenden und Regierungsmodelle. George Washington sah sich selbst als neuer Cato Uticenis, der einst die römische Republik verteidigt hatte (Richard 1994, 58); französische Revolutionäre bezogen sich auf Cicero, dessen Redegewandtheit sie sich zum Vorbild nahmen, und riefen zum Sturz der Monarchie auf (Dahlheim 62002, 671-734). Der Glaube, Aussagen antiker Autoren seien ohne Berücksichtigung des zeitlichen Abstands und des gesellschaftlichen Umfelds ihrer Entstehung ungebrochen verstehbar, wurde erst infrage gestellt, als die Beschäftigung mit der Antike verwissenschaftlicht wurde. War die Antike bis ins 18. Jh. Teil universalgeschichtlicher Betrachtungen, so bildeten sich im Laufe des 19. Jhs. unter dem Dach der "Altertumswissenschaft" einzelne Fachdisziplinen wie Klassische Philologie, Archäologie und Alte Geschichte mit jeweils eigenen Methoden und Fragestellungen heraus. Mit ihr ging eine quellenkritische Hinterfragung der Glaubwürdigkeit antiker Autoren einher, die einer Reflexion des historischen Kontextes, in dem antike Werke standen, und damit einer Relativierung der in ihnen fassbaren Wertvorstellungen Vorschub leisteten. Manche antike Ideale entpuppten sich bei näherer Betrachtung als Missverständnisse. So wurde das Ideal einer ästhetisch vorbildhaften, in hellem Marmor schimmernden antiken Kunst, das mit dem Namen Johann Joachim Winckelmann verbunden ist, bereits im 19. Jh. durch archäologische Forschungen von Alexander Conze oder dem Architekten und Kunsttheoretiker Gottfried Semper erschüttert. Diese hatten in ihren Werken auf die Farbigkeit antiker Statuen und Bauwerke verwiesen, was im übrigen auch Winckelmann wusste und was inzwischen durch neue wissenschaftliche Methoden zweifelsfrei bewiesen ist (Brinkmann/Wünsche 2004). Dass die Antike diese prominente Rolle als Bezugsrahmen für Wertvorstellungen spielen konnte, liegt nicht zuletzt an der Vorherrschaft des humanistischen Gymnasiums, das dem Erlernen der alten Sprachen, Latein und Griechisch, in allen europäischen Nationen Vorrang vor modernen Sprachen einräumte. Wer im 19. Jh. die Universität besuchte, kannte seine alten Griechen und Römer. Karl Marx (1818-1883), der Analytiker der Wirkungsweisen des Kapitals, schrieb seine Dissertation über den griechischen Philosophen Epikur. Max Weber (1867-1920), Gründervater der Soziologie, wurde mit einer Arbeit über die römische Agrargeschichte promoviert. Erst mit der Gleichstellung des Realgymnasiums und der Oberrealschule mit dem humanistischen Gymnasium, die in Deutschland um 1900 erfolgte, begann die Antike ihre prägende Kraft zu verlieren (Stroh 2013, 271-289). Dies rief wiederum jene eingangs erwähnte Re-Idealisierung der Antike im Dritten Humanismus hervor. Inzwischen sind die Natur- und Technikwissenschaften zu Leitwissenschaften geworden; die Antike hat ihre normative Bedeutung endgültig verloren. Die einst unumschränkte Rolle der altertumswissenschaftlichen Fächer als Deutungswissenschaften für die Gegenwart gilt nicht mehr. Und eben deshalb stellt sich heute mehr denn je die Frage nach dem gesellschaftlichen Nutzen der Beschäftigung mit der Antike. Zwei konträre Antworten seien dem folgenden Überblick über die antike Welt vorangestellt: Identitätsangebot versus Fremdheitsverstehen. Antike als Epochenbegriff Christophorus Cellarius (1708) unterteilte die Historia universalis in drei Perioden: Historia antiqua, Historia medii aevi, Historia nova. Letztere umfasste das 16. und 17. Jh.; das Mittelalter dauerte von der Herrschaft des römischen Kaisers Konstantin bis zur Eroberung von Konstantinopel durch die Osmanen. Die Historia antiqua, die "Alte Geschichte" bzw. "das Altertum", beginnt bei Cellarius mit dem Assyrerreich und endet mit dem Tod des ersten christlichen Kaisers Konstantin am Ende des 3. Jhs. n. Chr. (Cobet 2011, 878). Seitdem haben sich die Koordinaten der Epocheneinteilungen immer wieder verschoben; nur die Reihenfolge blieb bestehen. Unter Antike verstehen wir heute eine Epoche, die vom 2. Jahrtausend v. Chr. bis in die Zeit um 500 n. Chr. reicht und sich auf die griechischen und römischen Mittelmeerkulturen bezieht. An die Vorstellung von der normativen Geltung der Antike knüpft der 1995 gegründete Verein Alte Geschichte für Europa (AGE) an. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, den Bedarf an Vorbildern jenseits der nationalstaatlichen Geschichte zu befriedigen, der mit der Gründung der Europäischen Union entstanden ist. In der Gründungserklärung des Vereins werden überzeitliche Werte wie etwa antike Bürgerstaatlichkeit (bzw. Demokratie) oder die Geltung des Römischen Rechts im modernen Recht betont. Nach Auffassung des Vereins könnten antike Traditionen das Fundament eines neuen Europas bilden. Denn viele der heute in der Europäischen Union versammelten Staaten waren einmal Teil des Römischen Reiches und bildeten "in der Antike für mindestens fünfhundert Jahre bei vielerlei regionalen Besonderheiten doch eine riesige politisch-kulturelle Einheit, in welcher eine kaum überschaubare Vielzahl von Nationalitäten friedlich nebeneinander existierte, in einem Gebiet gut viermal so groß wie die heutige EU" (Girardet 1998, 26). Der Saarbrücker Althistoriker Klaus Martin Girardet verneint die impe...