Beschreibung
Medien beeinflussen schon seit Jahrhunderten Wahrnehmungen und Wissen, Politik und Kultur, Freizeit und Kommunikation. Frank Bösch zeigt in diesem Studienbuch die historische Entwicklung und gesellschaftliche Bedeutung der Massenmedien in der Neuzeit - vom Buchdruck, dessen Geschichte bereits im 11. Jahrhundert in Asien begann, über Zeitungen und Zeitschriften bis hin zu Film, Funk, Fernsehen und Computer. Dabei verdeutlicht er die Rolle, die Medien für zentrale historische Prozesse gespielt haben, etwa für die Reformation, für Revolutionen, Kriege und Globalisierungsprozesse, für die Formierung sozialer Gruppen sowie die Diktaturen und die Demokratien des 20. Jahrhunderts. "Die vorliegende Mediengeschichte führt den aktuellen Stand der Forschung konzise zusammen und skizziert zusätzliche, gerade in der Geschichtsschreibung bisher zu wenig bearbeitete Forschungsfelder. Eine Einführung, die vorbehaltlos empfohlen werden kann." Archiv für Sozialgeschichte
Autorenportrait
Frank Bösch ist Professor für Europäische Geschichte des 20. Jahrhunderts an der Universität Potsdam und Direktor des Zentrums für Zeithistorische Forschung (ZZF).
Leseprobe
1.Wege zur Mediengeschichte Die gesellschaftliche Bedeutung von Medien lässt sich kaum überschätzen. Medien vermitteln, schaffen und speichern Informationen und beeinflussen so Wahrnehmungen, Wissen und Erinnerungen. Sie prägen Politik, Wirtschaft und Kultur, sind ein wichtiger Teil der Freizeitgestaltung und alltäglicher Gespräche. Außergewöhnliche Ereignisse wie Kriege und Revolutionen sind ebenso mit Medien verbunden wie langfristige Deutungsmuster und Entwicklungen - etwa des Nationalismus, weltanschaulicher Milieus oder der Geschlechterrollen. Medien sind dabei nicht einfach ein virtueller Spiegel von etwas 'Realem', sondern selbst Teil sozialer Wirklichkeiten. Die Familie vor dem Fernseher oder zeitunglesende Politiker sind ebenso real wie die Medien selbst, ihre Inhalte oder ihre Produzenten. Oft scheinen sie unsichtbar. Aber bereits der Glaube an die Macht der Medien kann dazu führen, dass Menschen ihr Handeln oder Sprechen verändern. Ihre große Bedeutung unterstreichen die Medien heute selbst regelmäßig, sei es in 'Medienseiten' in den Feuilletons, sei es in Berichten über ihre eigene Rolle bei Wahlen oder Kriegen. Medien haben nicht erst seit dem Internetzeitalter eine markante historische Bedeutung. Fasst man Medien im weiten Sinne als Mittler von Kommunikation, sind sie seit Beginn der Menschheitsgeschichte konstitutiv, da Zeichen, Sprache oder Schrift schon immer die menschliche Verständigung strukturieren. Aber selbst, wenn man 'nur' technische 'Massenmedien' betrachtet, spielen diese spätestens seit Einführung des Drucks eine entscheidende Rolle, da nun zahlreiche Menschen regelmäßig Zugang zu ähnlichen Kommunikationsangeboten erhielten. Die jeweils neuen Medien änderten Vorstellungen, Inhalte, Handlungen und Bedeutungen, da der gleiche Gedanke auf Pergament, auf einem Flugblatt oder im Fernsehfilm anders formuliert, verstanden und verarbeitet wird. Dieses Buch zeigt deshalb, wie neue Medien seit Erfindung des Drucks aufkamen, wie sie genutzt wurden und welchen Einfluss sie auf gesellschaftliche Entwicklungen hatten. Im Vordergrund steht die Sozial- und Kulturgeschichte der Medien, weniger eine Technik- und Ideengeschichte. Die deutsche Entwicklung wird dabei so weit wie möglich in international vergleichende und transnationale Perspektiven eingebettet, um gängige Thesen zu diskutieren und spezifische Medienkulturen auszumachen. Neben Westeuropa und den USA werden insbesondere China, Japan und gelegentlich Südamerika einbezogen. Das Buch soll so einen Überblick bieten und unterschiedliche Zugänge und Desiderate aufzeigen, um künftige Forschungen anzuregen. Die Reflexion über Medienentwicklungen hat eine lange Tradition. So häuften sich bereits im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts Studien über die Zeitung (Kurth 1944; Pompe 2004: 35?f.). Insbesondere Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden im Kontext der liberalen Bewegungen in vielen westeuropäischen Ländern umfangreiche Geschichten der Presse, die historisch deren Macht unterstreichen sollten: in Frankreich etwa aus der Feder von Léonard Gallois (1845) und Eugène Hatin (8 Bde. 1859/61), in England von Frederick Knight Hunt unter dem programmatischen Titel The Fourth Estate (1850), und in Deutschland von Robert Prutz, der den Journalismus als eines der 'vorzüglichen Werkzeuge' des 'demokratischen Prinzips der Geschichte' bezeichnete (1845: 84). Sogar eine frühe internationale Zeitungsgeschichte mit deskriptivem Überblick lässt sich in dieser Zeit finden (vgl. Coggeshall 1856; vgl. Hinweise im Internet unter www.campus.de). Seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert folgen zahlreiche Studien zu verschiedenen Medien aus Disziplinen wie der Nationalökonomie, der Geschichtswissenschaft, der Soziologie oder den Philologien. Zugleich ist die historische Auseinandersetzung mit Medien etwas Neues. Das gilt insbesondere für die Geschichtswissenschaft, die sich erst seit den 1990er Jahren intensiver mit deren Bedeutung auseinandersetzt, aber auch für die Medienwissenschaft, deren Forschung nun erst stark expandierte. Das verstärkte historische Interesse an Medien erklärt sich aus ihrer Allgegenwart im Internetzeitalter. Computer und Internet trugen zur Historisierung der nunmehr 'alten' Medien als Forschungsgegenstände bei. Zudem verstärkte der Cultural Turn den Blick auf die Kommunikation, durch den sowohl die Populärkultur in den Blick der Forschung geriet als auch Wahrnehmungen und Diskurse, die wiederum, was Michel Foucault noch kaum bedachte, medial grundiert sind. Ebenfalls recht jung ist der heutige Begriff 'Medien'. Er etablierte sich erst in den 1960er Jahren im öffentlichen Sprachgebrauch, um Kommunikationsmittel mit massenhafter Reichweite zu beschreiben. Wort und Bedeutung wurden dabei aus dem amerikanischen Begriff Mass Media übertragen, der bereits in den 1920er Jahren aufkam. Auch in der Forschung sprach man zunächst von Publizistik oder Kommunikation. So benannte sich die 1957 gegründete 'International Association for Mass Communication Research' erst 1996 in 'International Association for Media and Communication Research' (IAMCR) um. Ein Handbuch, das den Bedeutungswandel von kommunikationshistorischen Grundbegriffen klärt, liegt bislang leider noch nicht vor. Wie der Begriff 'Medien' definiert wird und mit welchen Methoden und Schwerpunkten man Medien historisch untersuchen sollte, ist gerade in der deutschen Forschung sehr umstritten. Angelsächsische Mediengeschichten sind deutlich pragmatischer: Meist verzichten sie auf Begriffsdiskussionen und setzen die alltagssprachliche Bedeutung von Medien im Sinne von 'Massenmedien' voraus, die dann auch im Mittelpunkt ihrer Media History stehen (vgl. Chapman 2005; Williams 2010; Briggs/Burke 2010). In Deutschland firmiert dagegen unter den Begriffen 'Medien' und 'Mediengeschichte' je nach Forschungsdisziplin sehr Unterschiedliches. Dabei lassen sich vor allem die Ansätze der Sozial- und Kommunikationswissenschaften von denen der Kultur- und Medienwissenschaften unterscheiden. Von außen gesehen erstaunt, wie wenig diese Disziplinen ihre medienhistorischen Arbeiten gegenseitig wahrnehmen und getrennte Fachorgane, Vereinigungen und Tagungen pflegen. Die medienhistorischen Ansätze der Geschichtswissenschaft wiederum stehen oft zwischen und neben den Zugängen dieser Disziplinen. Die Kommunikationswissenschaft ist die Disziplin, die sich am längsten mit der Geschichte von Medien auseinander gesetzt hat. Sie formierte sich in den 1920er Jahren in den USA, um sozialwissenschaftlich die Funktionsweise der Public Opinion zu untersuchen. Vor allem die Propaganda der europäischen Diktaturen führte im folgenden Jahrzehnt zur empirischen Medienwirkungsforschung, wobei Paul F. Lazarsfelds Arbeiten zum Radio und zur Meinungsforschung wegweisend waren. In Deutschland etablierte sich hingegen zur gleichen Zeit die eher geisteswissenschaftlich ausgerichtete Zeitungswissenschaft an einigen Universitäten. Auch Verleger und der Reichsverband der deutschen Presse unterstützten sie, da sie sich eine praxisnahe Ausbildung erhofften. Zugleich scheiterten Versuche, das Fach für eine gemeinsame Analyse anderer Medien zu öffnen, sodass Studien zum Film und Radio zunächst eher in benachbarten Fächern wie der Soziologie entstanden. Beginnend mit den 1960er Jahren griff die westdeutsche Zeitungswissenschaft zunehmend amerikanische, eher sozialwissenschaftliche Ansätze auf und nannte sich von da an Kommunikationswissenschaft. Bis heute dominiert bei ihr ein enger Medienbegriff, der Medien vor allem als jene technischen Mittel fasst, 'die zur Verbreitung von Aussagen an ein potentiell unbegrenztes Publikum geeignet sind (also Presse, Hörfunk, Film, Fernsehen)' (Wilke 2008: 1; ähnlich Stöber 2013: 20). Insofern konzentrieren sich auch ihre wichtigsten medienhistorischen Studien vor allem auf die Druckmedien seit dem 16. Jahrhundert und die elektronischen 'Massenmedien'. Ihre Betonung des Begriffs 'Kommunikationsgeschichte' unterstreicht, dass es weniger um das t...