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Italiens Fahrt in die Moderne

Seekriegsführung und Staatsbildung im Kontext des Risorgimento, Krieg und Konflikt 8

Erschienen am 18.12.2019, 1. Auflage 2020
39,95 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783593511184
Sprache: Deutsch
Umfang: 356 S.
Format (T/L/B): 2.6 x 22 x 15 cm
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Die nationalstaatliche Einigung Italiens vollzog sich Mitte des 19. Jahrhunderts - wie in Deutschland - im Gefolge dreier Kriege. Anders als nördlich der Alpen erwies sich dabei allerdings das Militär nicht als ein modernes und effizientes Werkzeug der Politik. Im letzten dieser Kriege, 1866 gegen das Kaiserreich Österreich, erlitt die italienische Armee trotz deutlicher Überlegenheit schwere Niederlagen. Besonders die Seeschlacht vor der kroatischen Adria-Insel Lissa am 20. Juli 1866 wurde in Italien als katastrophale Demütigung empfunden. Arne Karsten untersucht Vorgeschichte, Verlauf und Folgen des nationalen Traumas 'Lissa', und zeigt dabei, auf welche Weise eine heute weitgehende vergessene Seeschlacht zu den verborgenen Hintergründen der Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs zählte.

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Autorenportrait

Arne Karsten, Dr. phil., ist Akademischer Oberrat und Dozent für Geschichte der Neuzeit am Historischen Seminar der Universität Wuppertal.

Leseprobe

Einleitung 'Leicht gesagt: verkehrte Politik. Wann verkehrt? Heute? Nach zehn Jahren? Nach einem Jahrhundert?' Gottfried Benn Zu Beginn des Jahres 1873 berichtete der Italienkorrespondent der 'Times' von der parlamentarischen Antrittsrede des neuen italienischen Marineministers Simone Pacoret di Saint-Bon im römischen Palazzo Montecitorio. Schon nach wenigen Sätzen erinnert der Artikel mit ein-dringlichen Worten an ein erst wenige Jahre zurückliegendes historisches Geschehen: 'Es gibt kein anderes Ereignis in den kurzen Annalen des noch jungen italienischen Königreichs, das dem Herzen seiner Einwohner eine tiefere Demütigung zufügt als das Desaster von Lissa; die Italiener würden kein Opfer scheuen, um durch ihre Seerüstungen künftig die Voraussetzung zu schaffen, die Schande dieses unglückseligen Treffens auszulöschen; und doch gibt es nichts, in das sie weniger Vertrauen hätten, als in die gegenwärtige Leistungsfähigkeit ihrer Kriegsmarine bzw. in die Möglichkeit, sie in eine bessere Verfassung zu bringen.' Wie präsent die Erinnerung an die Niederlage war, welche die italienische Flotte am 20. Juli 1866 vor den Küsten der kleinen dalmatinischen Insel Lissa, dem heutigen Vis, erlitten hatte, tritt wenige Zeilen später noch deutlicher zu Tage, wenn es heißt: 'Seit Lissa sind die Italiener ebenso überzeugt von der Notwendigkeit, so etwas wie Ordnung in ihr Marineministerium zu bringen, wie von der nahezu vollständigen Unmöglichkeit, dieses Ziel zu erreichen. Die häufigen politischen Krisen las sen selten genug fähige Minister an die Spitze der Ressorts gelangen, in der Marine jedoch niemals. Die Dinge in der Marine verschlechtern sich kontinuierlich, und die Hoffnung, die italienischen Seeleute könnten irgendwann einmal die Ehre wiedererlangen, die sie bei Lissa verloren haben, sinkt von Tag zu Tag.' Die langfristig traumatisierende Wirkung, die der britische Journalist der Seeschlacht bei Lissa zuschreibt, könnte insofern erstaunen, als sich die materiellen Ergebnisse des Treffens im Juli 1866 auf dem Papier so marginal ausnahmen, dass italienische Stimmen immer wieder dafür plädierten, 'Lissa' gar nicht den Rang einer Schlacht zuzuerkennen, sondern lediglich als ein Scharmützel zu bezeichnen. Rein formal gesehen lassen sich dafür auch gute Gründe anführen. Denn der Kampf zwischen dem italienischen Adria-Geschwader, das vier Tage vor der Schlacht zur Eroberung der kleinen Insel aufgebrochen war, und der österreichischen Kriegsflotte war kurz. In einem Gefecht, dessen entscheidende Phase keine zwei Stunden dauerte, verlor die italienische Flotte lediglich zwei ihrer 34 Schiffe, der österreichische Gegner kein einziges. Und auch wenn die Menschenverluste der Italiener mit 620 Toten und 181 Verwundeten deutlich höher waren als diejenigen der Österreicher, die 138 Tote und Verwundete zu beklagen hatten, wird man dennoch feststellen müssen, dass die Zahlen als solche nicht erkennen lassen, weshalb die Seeschlacht bei Lissa ein epochales Ereignis darstellte. Der Aufbau der Arbeit Dennoch war sie es, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Dabei sollen die militärischen Ereignisse des 20. Juli 1866 eingebettet werden in einen größeren zeitlichen Rahmen einerseits, in allgemeine politische und gesellschaftliche Kontexte andererseits. Die Chronologie von Vorgeschichte, Verlauf und Folgen der Schlacht prägt die Struktur der vorliegenden Studie, deren erster Hauptteil untersucht, welche Entwicklungsumstände dazu führten, dass sich die italienische Kriegsflotte vor Lissa einem auf dem Papier weit unterlegenen Gegner geschlagen geben musste. Im zweiten Teil wird es dann darum gehen, die Folgen der Schlacht sowohl im engeren, militärischen Sinn als auch und vor allem ihre politischen und gesellschaftlichen Auswirkungen für die Entwicklung Italiens in den Blick zu nehmen. Die Flotte, auf der bei Beginn des 'Dritten Italienischen Unabhängigkeitskriegs' am 20. Juni 1866 die Hoffnungen der italienischen Patrioten ruhten, konnte auf keine lange Tradition zurückblicken, war sie doch erst im Zusammenhang mit der Ausrufung des Königreichs Italien am 17. März 1861 entstanden. Zusammengeführt wurde sie im Wesentlichen aus den Kriegsflotten Sardinien-Piemonts und derjenigen des im Jahr zuvor untergegangenen Königreichs beider Sizilien. Die Art und Weise, wie dieses Königreich untergangen war und welche Rolle die Kriegsflotten sowohl Sardinien-Piemonts als auch diejenige Neapels bei diesem Untergang gespielte hatte, sollte sich für die weitere Entwicklung der italienischen Kriegsmarine als folgenreich erweisen. Deshalb ist dieser Vorgeschichte, die mit der Invasion Garibaldis und seiner 'Mille' auf Sizilien im Mai 1860 beginnt, ein eigenes Kapitel gewidmet. Daran anschließend folgt die Schilderung der Flottenentwicklung in der Zeit zwischen der Gründung des Königreichs Italien und dem Ausbruch des Kriegs von 1866, in dem die italienische Armee an der Seite des preußischen Verbündeten gegen Österreich-Ungarn ins Feld zog. Dabei geht es zunächst um den Ausbau der jungen Flotte durch den Erwerb jener modernen gepanzerten oder 'kürassierten' Dampfschiffe, die just in jenen Jahren in Verbindung mit dem Einsatz gezogener Hinterlader als Schiffsartillerie die Seekriegsführung strategisch wie taktisch revolutionierten. Doch bedurften diese maritimen Spitzenprodukte des technischen Fort schritts einer Vielzahl von Voraussetzungen, um wirksam eingesetzt werden zu können; Voraussetzungen, die zu schaffen der militärischen und politischen Führung des Landes oblagen, weshalb es darum gehen wird, die Tätigkeit des italienischen Marine-Ministeriums und der verantwortlichen Politiker der regierenden 'destrastorica' in diesen Jahren genauer zu untersuchen. Dass deren Tätigkeit keineswegs dazu angetan war, die hochfliegenden Hoffnungen der italienischen Öffentlichkeit auf triumphale Erfolge der Flotte im Krieg von 1866 in Erfüllung gehen zu lassen, deutete sich schon bald nach Kriegsausbruch an. Denn bereits am Tag nach der Eröffnung der Feindseligkeiten am 24. Juni erlitt das zahlenmäßig weit überlegene italienische Heer bei Custoza eine bittere Schlappe. Für den Ausgang des Krieges schien diese Niederlage zwar bald nebensächlich, weil nur zehn Tage später die österreichische Hauptarmee bei Königgrätz dem preußischen Verbündeten der Italiener unterlag. Doch die öffentliche Meinung Italiens war alarmiert. Konnte es sein, dass der Sieg gegen den verhassten Erzfeind in Wien allein durch die fremden Verbündeten errungen worden war? Das erschien für die Durchsetzung der weitgespannten territorialen Forderungen, die man erhob, ebenso katastrophal wie für das militärische und politische Prestige des Landes und seiner Führungselite. Unter diesen Umständen forderte nicht nur die öffentliche Meinung den Einsatz der Kriegsflotte, galt doch der österreichische Gegner als zur See hoffnungslos unterlegen. In materieller Hinsicht war er das auch, doch sollte sich nach dem Auslaufen der italienischen Flotte und dem Angriff auf Lissa am 20. Juli 1866 erweisen, dass es dem österreichischen Geschwaderkommandanten Wilhelm von Tegetthoff gelungen war, diese materielle Unterlegen heit soweit auszugleichen, dass es die Österreicher verstanden, sich nicht nur im Gefecht zu behaupten, sondern den Gegner zum Rückzug auf den Flottenstützpunkt Ancona zu zwingen. Der zweite Hauptteil der Arbeit ist sodann den Folgen der Schlacht gewidmet. Dabei soll zunächst die Darstellung und Bewertung der Ereignisse in der Tagespresse untersucht werden. Denn wenn bereits die Vorgeschichte der Schlacht bei Lissa in hohem Maße aufschlussreich ist im Hin blick auf die wachsende Macht der 'öffentlichen Meinung' im 19. Jahrhundert, so gilt dies in noch weit stärkerem Maße für die Reaktionen auf die Schlacht. Entsprechend der erkenntnisleitenden Fragestellung der Untersuchung wird der Schwerpunkt dabei auf die Berichterstattung in den italienischen Medien gelegt werden, doch sollen auch ausländische Blätter zur Sprach...