Beschreibung
Die 'Große Politik' steht im Vordergrund, findet aber nun als Reichspolitik - namentlich auf der gesamtstaatlichen Steuerungsebene des aufsteigenden Amtskaisertums, der Reichsinstitutionen und vor allem des sich verstetigenden Reichstags - einen Neuzugriff und eine ganz andere Bewertung. Von besonderem Interesse ist die Friedenswahrung nach innen, eine defensive Sicherheitspolitik in den Gefährdungen der europäischen Kriege und der Ausbau der Verfassungs- und Rechtskultur in dieser Epoche wie der Kultur überhaupt. Ausgehend vom Westfälischen Frieden bietet der Band eine analytische Erzählung von der institutionellen Vollendung des Reiches bis zu seiner notwendigen Neuorientierung im 18. Jahrhundert und bilanziert Leistungen dieses politischen Systems für die deutsche Geschichte. Mit Erscheinen von Band 11 ist die Epoche der Frühen Neuzeit (Bände 9 bis 12) abgeschlossen.
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Autorenportrait
Johannes Burkhardt, geboren 1943, studierte in Tübingen Geschichte, Philosophie und Germanistik. Nach wissenschaftlicher Tätigkeit in Stuttgart, Rom, Eichstätt, Bielefeld und Bochum hatte er von 1991 bis 2008 an der Universität Augsburg den Lehrstuhl für die Geschichte der Frühen Neuzeit inne und forscht am Institut für Europäische Kulturgeschichte.
Leseprobe
A. Reichsgeschichte 1648-1700: Verfassungsausbau und Sicherheitspolitik § 1 Die Bedeutung des Westfälischen Friedens für die deutsche Geschichte (1) Der Westfälische Friede ist das größte Friedenswerk der Frühen Neuzeit und einer der bedeutendsten Friedensschlüsse überhaupt.2 Dies nicht allein, weil es gelang, eine dreißigjährige Kriegskatastrophe zu beenden,3 und nicht nur wegen des dazu nötigen Verhandlungsaufwandes und immensen Regelungsbedarfs. Entscheidend ist auch nicht die Frage der Epochenzäsur, die nicht zu bestreiten, aber gerade im Blick auf Kontinuitäten der deutschen Geschichte doch zu relativieren ist.4 Vielmehr bündelt der Friede in einzigartiger Weise die staatsund religionspolitischen Probleme der Frühen Neuzeit, in deren Mitte er steht - zugleich eineinhalb Jahrhunderte zurück und nach vorn weisend. Denn um diesen 'Krieg der Kriege' zu überwinden,5 waren Probleme zu lösen, die seit Beginn der Neuzeit angefallen waren, und Lösungen dafür festzuschreiben. Aber der Friede gab auch das Programm vor, das die weitere Geschichte Europas wie die deutsche Geschichte bestimmte. Auszugehen ist bei seiner Betrachtung vom reichen wissenschaftlichen Ertrag des Jubiläums von 1998, das über die Verhandlungsergebnisse im einzelnen hinaus 6 gerade die vorwärtsweisende ordnungspolitische Bedeutung dieses Friedens für Europa und das Reich erschlossen hat, durch die er zur Grundlage der nachwestfälischen Geschichte wurde. a) Europäische Staatsbildung und deutsche Doppelstaatlichkeit - die konstruktive Grundentscheidung Der Westfälische Friede hat für die europäische Staatsbildung Weichen gestellt.7 Von diesem europäischen Hauptresultat her gesehen erscheint der Dreißigjährige Krieg geradezu als 'Staatsbildungskrieg'.8 Der ganze frühneuzeitliche Staatsbildungsprozeß hatte sich bisher zwischen zwei konstruktiven Grundmöglichkeiten abgespielt: einer einstaatlichen oder einer mehrstaatlichen Organisation Europas. Einstaatlichkeit, also ein Staat für ganz Europa, konnte an das überkommene Ideal einer politischen Einheit der Christenheit, die Tradition universaler Gewalten wie Papst und Kaiser und an hierarchischgradualistische Ordnungsideale anknüpfen, nach denen ein Herrscher die europäische Spitzenposition einnehmen müsse. Gestützt auf den noch lange weiterwirkenden Programmbegriff 'Monarchia universalis ' haben vor allem die Habsburger länderübergreifend Staat zu organisieren versucht, vorwärtsweisend nach neuer Einsicht vor allem Karl V. und dynastisch modifiziert in kooperativer Arbeitsteilung die spanische und deutsche Linie noch einmal gemeinsam im Dreißigjährigen Krieg. Aber ein solches europäisches Organisationskonzept erwies sich für die Herstellung eines staatlichen Gewaltmonopols und die wachsenden frühneuzeitlichen Staatsanforderungen als zu groß dimensioniert, wurde von anders staatsbildenden Sezessionen bedroht (böhmische Erhebung, niederländischer Unabhängigkeitskrieg) und ließ sich vor allem gegen universalistische Konkurrenten (so nach neuerer Einsicht das französische Hegemoniestreben und nach der weitestgehenden Ansicht zeitweise der schwedische Großgotizismus) nicht durchsetzen. Als der Kaiser 1648 Frieden schloß, Spanien aber allein weiterkämpfte, war der habsburgische Universalismus am Ende. Aber auch Frankreich und Schweden mußten für einen Friedenskompromiß von ihren Maximalzielen abrücken; sie gewannen Gebiete, aber nicht die Herrschaft über Europa. Die Idee einer Staatsbildung aus dem universalen Erbe Europas war diskreditiert, Universalmonarchie wandelte sich zum Scheltwort.9 Ein anderes Modell war angesagt. Europa verzichtete auf eine politische Gesamtorganisation und setzte von da an auf die Mehrstaatlichkeit. Auch diese alternative Staatsbildung im Plural hatte einen Vorlauf und wurde von Staats- und Völkerrechtlern wie Bodin und Grotius theoretisch vorbereitet und begleitet. Aber erst mit dem Westfälischen Frieden verlagerte sich das Schwergewicht auf diese Seite und wurde das Nebeneinander souveräner Staaten zur Norm.10 Die potentiellen Herrscher über Europa selbst - Kaisertum, französische und schwedische Krone - waren die vertragschließenden Parteien der Friedensschlüsse und erkannten sich damit in reduzierter Form als gleichberechtigte Partner an. Die erfolgreichen Sezessionisten aber wurden 1648 unabhängig - die Generalstaaten in aller Form mit einem eigenen Vertrag, die Schweiz eher unauffällig mit einem interpretationsbedürftigen Vertragsartikel11 - und rückten in den Kreis souveräner Staaten ein. Die europäische Staatsbildung war damit nicht abgeschlossen - reduzierte Universalmächte wie Frankreich wurden rückfällig, neue Staaten wie Preußen stiegen auf -, aber die Grundentscheidung für die Mehrstaatlichkeit Europas war gefallen und erwies sich als irreversibel. Zwar hielt der Friede alles andere als 'ewig', wie das Vertragsformular erhoffte, aber die weiter notwendig werdenden Friedensschlüsse der hier zu behandelnden Epoche setzten in der Tat ausdrücklich den Westfälischen Frieden und damit die 1648 ausgehandelte politische Ordnung der Mehrstaatlichkeit immer wieder in Kraft und bauten sie weiter zu einem System gleichrangiger souveräner Staaten aus. Dieses Staatensystem, international als 'Westphalian System' bezeichnet,12 bestimmte die Geschichte Europas und die internationalen Beziehungen bis an die Schwelle der Gegenwart mit. Es gab aber auch noch einen dritten Weg staatlicher Organisation: neben Einstaatlichkeit und Mehrstaatlichkeit die beides vereinende Doppelstaatlichkeit.13 Diesen dritten Weg hat die hier darzustellende deutsche Geschichte entdeckt und damit eine prinzipiell andere Lösung für dasselbe konstruktive Problem gefunden. Denn einerseits hatten die Deutschen mit Kaiser und Reich selbst Anteil gehabt an den universalistischen Traditionen und dem großhabsburgischen Staatsbildungsexperiment. Noch im Dreißigjährigen Krieg hat das mit Spanien und katholischen Konfessionalisierungskräften vereinte Kaisertum zeitweise ein monarchisches Übergewicht erlangt, das den einstaatlichen Weg für die deutsche Geschichte zu ermöglichen schien. Auf der anderen Seite aber hat auch im Reich auf der territorialen Ebene eine Staatsbildung im Plural stattgefunden. Große Fürstenstaaten wie Sachsen und Bayern, die antagonistischen Sonderbünde einzelner Reichsglieder und die den Reichsnexus schon lockernden Schwedenbündnisse hätten noch im Dreißigjährigen Krieg andere Optionen gehabt und wie die am Rande des Reiches abspringenden nieder- und alpenländischen Bundesstaaten in das europäische System der Mehrstaatlichkeit einrücken können. Die deutsche Geschichte folgte aber weder dem einen noch dem anderen Modell, sondern hat mit Hilfe einer anderen konstruktiven Grundidee die vermeintlich ausschließliche Staatsbildungsalternative überwunden. Dem Reich nämlich gelang es, das einstaatliche und das mehrstaatliche Ordnungsprinzip in ein einziges politisches System zu integrieren und universale wie partikulare Elemente einzubinden. Auf der oberen Ebene war der europäische Universalismus auf ein verträgliches Maß zu reduzieren, dabei war aber seine integrative Kraft für die Errichtung einer deutschen Gesamtstaatlichkeit zu nutzen. Das gewählte Reichsoberhaupt wurde zu einem deutschen Amtskaisertum verstaatlicht, dessen Kompetenzen durch Wahlkapitulationen geregelt waren, und dem gesamtreichische Institutionen wie Reichstag und Reichskammergericht zur Seite standen. Auf der unteren partikularen Ebene haben die deutschen Landesstaaten wichtige administrative Aufgaben übernommen, blieben aber durch das Lehensrecht und den parallelen Aufbau der Reichsinstitutionen, in denen sie als Reichsstände selbst vertreten waren und das Reich mitsteuerten, dem Gesamtsystem eng verbunden. Staatsleistungen und Staatsausbau wurden also in Deutschland auf zwei Ebenen erbracht, die manchmal miteinander konkurrierten, aber einander auch ergänzten und organisatorisch miteinander vernetzt waren. Während für das mehrstaatliche Europa damals ...
Schlagzeile
Die Epoche nach dem Westfälischen Frieden ist die revisionsbedürftigste der deutschen Geschichte.