Beschreibung
Es stehen zwei Wege der Selbsterforschung und Heilung im Fokus, die auf den ersten Blick nicht unterschiedlicher sein könnten: die Psychoanalyse, eine der Leitwissenschaften der westlichen Moderne mit dem zentralen Aspekt der Neurosenlehre auf der einen Seite, und Zen, jahrtausende alte Weisheitslehre des Ostens, auf der anderen. Die Autoren, ein Zen-kundiger Psychoanalytiker und ein psychotherapeutisch erfahrener Zen-Lehrer, beginnen ihren Dialog beim Grundsätzlichen: Psychoanalyse orientiert sich am Individuum, ZenBuddhismus hat die Loslösung von der subjektiven Identität im Auge. Ziel der Psychoanalyse ist die Linderung oder Heilung von Neurosen, die als Ausdruck einer gestörten Entwicklung verstanden werden; im ZenBuddhismus wird Krankheit als notwendiger Teil des menschlichen Lebens gesehen. Viele weitere Unterschiede ließen sich anführen und doch gibt es Annäherung und 'Verwandtschaft' zwischen beiden Richtungen, die in dem kenntnis- und erfahrungsreichen Dialog herauskristallisiert werden.
Autorenportrait
Gerald Weischede, Gestalttherapeut, Körpertherapeut, seit 30 Jahren Praxis in Zen-Buddhismus, Zen-Lehrer in Göttingen. Ralf Zwiebel, Prof. Dr. med., ist Lehranalytiker am Alexander- Mitscherlich-Institut Kassel (DPV, IPV), war Professor für Psychoanalytische Psychologie an der Universität Kassel. Er ist heute in eigener psychoanalytischer Praxis tätig.
Leseprobe
I. Vorwort und Einleitung Zen und Psychoanalyse stammen aus unterschiedlichen Zeiten, aus unterschiedlichen Kulturen und sie haben ganz unterschiedliche historische, sozio-kulturelle und geisteswissenschaftliche Hintergründe. Zen wird eher der Religion zugeschrieben, die Psychoanalyse der Psychologie und Wissenschaft, Letztere mit einem notorisch kritischen Verhältnis zur Religion. Im Zen steht das Schweigen im Mittelpunkt, in der Psychoanalyse die Rede. Im Zen geht es um einen 'Weg der Weisheit', eine soteriologische Disziplin, in der Psychoanalyse - vor allem auch in der heute üblichen klinischen Praxis - um eine Behandlungsmethode bei psychischen Problemen. So wundert es auch nicht, dass sich Zen und Psychoanalyse in der Regel doch mit einer erheblichen Skepsis, wenn nicht sogar Verleugnung oder Ablehnung gegenüberstehen und auch behandeln. Erst bei genauerem Studium wird deutlich, dass es seit Beginn der Psychoanalyse vor über 100 Jahren und mit dem Beginn der Ausbreitung des Buddhismus und insbesondere des Zen in der westlichen Welt immer wieder Versuche gab - und in den letzten Jahren vermehrt gibt -, einen Dialog zwischen diesen beiden Wegen zu entwickeln. Davon handelt dieses Buch. Die beiden Autoren lernten sich auf Seminaren des amerikanischen Zen-Meisters Richard Baker-Roshi vor über 15 Jahren kennen. Einer von ihnen ist ein enger Schüler von Baker (G. W.), der andere ein suchender Psychoanalytiker, der erst vor Kurzem auf die Zen-Meditation gestoßen war (R. Z). Vor einigen Jahren boten wir ein Seminar zum Thema 'Zen und Psychoanalyse' in der Universität Kassel an, das letztlich zum Ausgangspunkt unserer engeren Zusammenarbeit wurde. Wir stellten verschiedene Texte in einem Reader zusammen, der bei den Studierenden und auch anderen Interessierten Anklang fand. Ursprünglich entstand der Gedanke, diesen Reader in verbesserter Form herauszugeben. Dann zeigte sich jedoch, dass wir in unserem Dialog Feuer gefangen hatten und immer mehr den Wunsch verspürten, die komplexe Thematik von Zen und Psychoanalyse aus unserer ganz eigenen, persönlichen Sicht darzustellen - oder besser: zur Diskussion zu stellen. Denn wie ja an dem Umfang unseres Buches erkennbar ist, entfaltet diese Thematik doch eine enorme, wie wir aber finden, stimulierende Eigendynamik und Tiefe. Ermutigt hat uns ein ähnliches Buch des indischen Yogalehrers T. K.V. Desichakar und des Psychoanalytikers H. Krusche, das zwar anders aufgebaut ist, aber ein ähnliches Anliegen verfolgt, nämlich einen Dialog zwischen unterschiedlichen Heilungswegen zu eröffnen (Desichakar und Krusche 2007). Das menschliche Verstehen scheint uns einer unaufhebbaren Dynamik von Gelingen und Scheitern zu unterliegen. Dies beginnt bereits bei dem Selbstverstehen: Oft genug bleibt unklar, ob das eigene Erleben und die eigenen Handlungen und ihre Begründungen auf einem angemessenen Verstehen beruhen oder doch Erklärungen sind, die man zusammengefasst als Rationalisierungen bezeichnen könnte. Jedenfalls ist bereits das Selbstverständnis oft genug von Missverständnissen, Selbsttäuschungen und Illusionen durchsetzt. Dies gilt natürlich in gleicher Weise für das intersubjektive Verstehen. Es ist vielfach beschrieben und analysiert worden, und wir wollen hier nur darauf hinweisen, dass intersubjektives Verstehen keineswegs die Regel ist, sondern dieses sich immer erst wieder durch das Überwinden von Missverständnissen erarbeiten lassen kann. Daher ist es kein Wunder, dass wir dies auch in professionellen und wissenschaftlichen Diskussionen erleben. Diskutieren beispielsweise Psychoanalytiker einen klinischen Fall, so besteht die gesamte Diskussion im Grunde in dem Versuch, eine gemeinsame Sprache und ein gemeinsames Verständnis zu finden, das man in keinem Fall voraussetzen kann. Nicht selten stellt man erstaunt fest, dass vertraute Begriffe von den Kollegen ganz unterschiedlich verstanden und interpretiert werden. Gibt es diese Verstehensprobleme also schon unter Psychoanalytikern einer 'Schule', so werden diese Probleme noch größer, wenn es um Diskussionen zwischen verschiedenen psychoanalytischen Auffassungen geht oder sogar um Diskussionen zwischen verschiedenen Psychotherapierichtungen. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass diese zum Teil erheblichen Hindernisse der Verständigung nur durch intensive und persönlich engagierte Dialoge partiell überwunden werden können; im Sinne des von D. Bohm entwickelten Dialog-Gedankens ist es notwendig, die Diskussion - in der es immer um Positionen und damit auch um Macht geht - in einen echten Dialog zu überführen, der von einem genuinen Interesse und von Respekt geprägt ist (D. Bohm 2001). Entscheidend ist es nach diesen Vorstellungen, die eigenen, oft impliziten Grundannahmen wahrzunehmen, infrage zu stellen und immer wieder zu überprüfen, um damit auch die eigenen Überzeugungen 'in der Schwebe zu halten' und notfalls auch zu revidieren. Nur dann kann man wahrscheinlich etwas wirklich Neues lernen. Wenn es also dieses Grundproblem der Verständigung gibt, das sich schon bei sich relativ nahestehenden Personen zeigt, umso mehr muss der Versuch des folgenden Buches erstaunen, in dem zwei Menschen über zwei Selbsterforschungs und Heilungswege in einen Dialog zu kommen versuchen, die auf den ersten Blick kaum gegensätzlicher erscheinen mögen. Der Leser mag entscheiden, ob uns dies gelungen ist. In einem ersten Teil des Buches geben wir einen Überblick über die Beziehung von Zen und Psychoanalyse. Der mit der Thematik nicht vertraute Leser kann sich über beide Richtungen in eher groben Zügen informieren und bekommt auch einen ersten Eindruck über Konvergenzen und Divergenzen. In einem zweiten Teil geht es dann um eine Vertiefung dieser Thematik. Nach einer kurzen Literaturübersicht, die vor allem zeigen wird, dass es doch einen zunehmend bedeutsamen Dialog zwischen Zen und Psychoanalyse - vor allem auch in den angelsächsischen Ländern - gibt (III, 2), werden wir zuerst die Praxis des Zen und dann die Praxis der Psychoanalyse detaillierter beschreiben. Die Kapitel über die Praxis des Zen beziehen sich vor allem auf die meditative Praxis und ihre damit verknüpften Grundannahmen, im Besonderen über das Selbst und über Geist und Bewusstsein. Diese werden wir dann am Ende des jeweiligen Kapitels aus psychoanalytischer Sicht kommentieren. Dabei wird es vor allem auch um zentrale Aspekte der psychoanalytischen Praxis gehen, etwa der freien Assoziation, der gleichschwebenden Aufmerksamkeit und der Bedeutung des Unbewussten (III, 3.1 - 3.3). In einem weiteren Kapitel wird es um die Problematik des Leidens gehen, das aus buddhistischer und psycho-analytischer Perspektive besprochen wird. In einem gesonderten Kapitel werden wir einen zentralen buddhistischen Begriffgenauer diskutieren, den Begriffder Leerheit, der als die zentrale Grundauffassung des Mahayana-Buddhismus angesehen werden kann (III, 3.5). Die Kapitel über die Praxis der Psychoanalyse stehen vor allem unter dem Motto der Arbeitsweise des modernen Psychoanalytikers. Es werden in den unterschiedlichen Kapiteln Thematiken des 'analytischen Paares', der affektiven Regulierung in der analytisch-therapeutischen Beziehung, des Allein-Seins in der Gegenwart des Anderen und die Dynamik von Gelingen und Scheitern detailliert besprochen und diese wiederum aus der Zen-Perspektive reflektiert (III, 4.1 - 4.4). Alle diese Überlegungen suchen und finden immer wieder einen gemeinsamen Nenner, der in dem Begriffdes 'Anfänger-Geistes' eine prägnante Formulierung gefunden hat. Das zusammenfassende Schlusskapitel steht dann unter dem Motto von 'Präsenz und Reflexion': Dies betrachten wir als ein komplementäres Paar, das aber im Sinne einer 'coincidentia oppositorum' (Cusanus) eine einheitliche Haltung beschreibt, die für einen Heilungsweg, der zu Einsicht, Empathie und auch Weisheit führt, unabdingbar ist. Es geht uns nicht darum, einen einheitlichen Heilungsweg vorzuschlagen, sondern einen interkontextuellen Dialog zu eröffnen... Leseprobe
Inhalt
I. Vorwort und Einleitung II. Zen und die Praxis der Psychoanalyse - ein Überblick III. Zen und die Praxis der Psychoanalyse - Vertiefungen 1. Eine kurze Einführung 2. Literaturübersicht 3. Praxis des Zen 3.1 Grundlagen der Praxis 3.2 Über das »Selbst« 3.3 Über Geist und Bewusstsein 3.4 Über das Leiden 3.5 Zum Begriffder Leerheit 4. Praxis der Psychoanalyse 4.1 Über die psychische Arbeit des analytischen Paares: Verarbeiten - Durcharbeiten - Nacharbeiten 4.2 Die affektive Regulierung der therapeutischen Beziehung am Beispiel des Weinens 4.3 AlleinSein in der Gegenwart des Anderen: Die Praxis des lebendigen analytischen Kontaktes 4.4 Gelingen und Scheitern: Dilemmata heutiger psychoanalytischer Praxis IV. Zur Dynamik von Präsenz und Reflexion: Abschließende Überlegungen Danksagung Literatur
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