Beschreibung
Egon Fabian liefert tiefe Einsichten in das Wesen und die Entstehung von Ängsten. Unser Umgang mit ihnen ist kulturabhängig und individuell verschieden: Jeder von uns hat seine eigene Angstgeschichte und eine dazu passende Bewältigungsstrategie entwickelt. Welche Ängste sind normal? Welche Bedeutung haben UrÄngste? Welche Ängste müssen therapiert werden? Angst ist ein fester Bestandteil des Menschseins. Uns allen ist sie gemeinsam: eine Ur-Angst. Nur durch Rückbesinnung kann es uns gelingen, mit ihr umzugehen und sie als Teil unseres Lebens zu akzeptieren. 'Ängste besiegen', 'Endlich frei von Angst und Panik' - so oder so ähnlich lauten die Heilsversprechungen einer wahren Flut von Ratgebern. Dabei ist es nicht nur ethisch bedenklich, sondern auch nicht ungefährlich, wenn sogar Fachleute die Angst zum besiegbaren Symptom erklären. Ein Leben ohne Angst ist gar nicht möglich. Keine Angst zu spüren ist gefährlich. Die Quelle aller Ängste ist die UrAngst. Die UrAngst können wir nicht besiegen, doch wir können lernen, mit ihr zu leben. Angst hilft, unser Leben zu vertiefen und mit anderen solidarisch zu sein. Angst ist fester Bestandteil des Menschseins: Nur wer Ängste spürt, ist empathiefähig.
Autorenportrait
Egon Fabian, Dr. med., Arzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapeutische Medizin, Psychoanalytiker und Lehranalytiker, war bis 2019 Chefarzt der Dynamisch-Psychiatrischen Klinik Menterschwaige in München. Er verstarb am 20.08.2019.
Leseprobe
Einleitung: Angst und der heutige Mensch Stefan Zweig schrieb in seiner Autobiographie 'Die Welt von Gestern. Erinnerungen eines Europäers' im Jahr 1944 über das Ende des 19. und den Anfang des 20. Jahrhunderts: 'In dem einen kleinen Intervall, seit mir der Bart zu sprossen begann und seit er zu ergrauen beginnt, in diesem einen halben Jahrhundert hat sich mehr ereignet an radikalen Verwandlungen und Veränderungen als sonst in 10 Menschengeschlechtern.' 'Mein Vater, mein Großvater, was haben sie gesehen? Sie lebten jeder ihr Leben in der Einform. Ein einziges Leben von Anfang bis zum Ende, ohne Aufstiege, ohne Stürze, ohne Erschütterung und Gefahr, ein Leben mit kleinen Spannungen, unmerklichen Übergängen; in gleichem Rhythmus, gemächlich und still, trug sie die Welle der Zeit von der Wiege bis zum Grabe. Sie lebten im selben Land, in derselben Stadt und fast immer sogar im selben Haus; was außen in der Welt geschah, ereignete sich eigentlich nur in der Zeitung und pochte nicht an ihrer Zimmertür.' 2 'Alles in unserer fast tausendjährigen österreichischen Monarchie schien auf Dauer gegründet und der Staat selbst der oberste Garant dieser Beständigkeit [.]. Dieses Gefühl der Sicherheit war der erstrebenswerteste Besitz von Millionen, das gemeinsame Lebensideal.' Und der Begründer der modernen Psychosomatik, Franz Alexander, aus der gleichen Monarchie stammend, charakterisiert die Zeiten, die darauf folgten in seinen Erinnerungen 16 Jahre später mit den Worten: 'Wir leben in einer sich rapide verändernden Welt. Die Geschwindigkeit dieser Verände rung hat seit der Industriellen Revolution vor 150 Jahren ständig zugenommen und hat während der letzten 50 Jahre ein beispielloses Tempo erreicht.' 4 Oft in der Geschichte fanden die Menschen, dass sie mit dem raschen Tempo der Veränderungen nicht mehr Schritt halten konnten, dass es die kurze Spanne ihres Lebens und ihre Wandlungsfähigkeit überforderte. Es ist dabei von Bedeutung, dass die Veränderungen, die wir seit einigen Jahrzehnten durchmachen, global sind: Kein Gebiet bleibt ausgespart. Der Wandel führt zu Unsicherheit, Desorientierung, Destabilisierung und zu einem Vakuum bezüglich ethischer Normen und Werte, besonders in unserer Jugend. Hinzu kommen die tief greifenden Folgen der Migration von Menschen aus armen Ländern und der weltweiten Globalisierung, die alte Traditionen und Werte verdrängt. Technologisierte Uniformität setzt sich überall dort durch, wo früher lokale kulturelle Bräuche tief verwurzelt waren. Damit verbunden ist der Abbau sozialer Verhaltensnormen und der Zerfall ethischer Werte zugunsten einer Pseudoethik des Wirtschaftlichen und des Hedonismus; ferner die weitere Abschwächung des Einflusses des Glaubens, der früheren sozialen Strukturen, sowie das weitgehende Fehlen von echten Vorbildern. Wie schon bemerkt, stellen die sozialen, technologischen und kulturellen Veränderungen, die während einer Lebensspanne seit Bestehen der Menschheit noch nie so rasant gewesen sind, die Anpassungsfähigkeit des Individuums auf eine harte Probe. Ältere Menschen müssen die neuen Medien und Technologien in raschem Tempo erlernen und mit den aufeinander folgenden Weiterentwicklungen Schritt halten, um in ihrer Arbeit und ihrem Beruf bestehen zu können, oft verdrängt von den Jüngeren, die mit diesen Medien aufgewachsen sind. Bei den Jugendlichen haben die neuen Medien, die Fernsehfilme, Spielautomaten und elektronischen Apparate das Märchenerzählen, oft auch das Lesen und die alten Spiele ersetzt. Die soziale Kommunikation wird formalisiert, Vereinsamung wird durch die elektronischen Massenmedien beschleunigt. Aufgrund der rapiden Veränderungen, der 'radikalen Enttraditionalisierung der Lebensformen', 5 die die Menschheit noch nicht ausreichend integrieren kann, wird die Frage der Identität des heutigen Menschen zu einem wesentlichen Problem unserer Zeit. Die in immer schnellerem Tempo, quasi exponentiell zunehmende Veränderung um uns hat psychologische Folgen. Sie betreffen unsere Beziehungen zur Welt und zu den Menschen, unser Gefühl der eigenen Identität und unsere Ängste. Alexander sprach von einer Krise des 'integrierten Selbst', die zu einem zentralen Problem unserer Zeit wird. 6 Sie berührt den Alltag, die menschlichen Beziehungen, die Erziehung, soziale Probleme, Wirtschaft und Politik, die Wissenschaft, die Medizin und nicht zuletzt auch die Psychotherapie. Die psychotherapeutische Arbeit zeigt, dass der Einfluss der globalen Probleme potenziert wird durch den Zerfall traditioneller familiärer Strukturen und des Gruppenzusammenhalts, mit dem Ergebnis einer wachsenden Isolation des Individuums. Darüber hinaus sind das häufige Fehlen des Vaters als Identifikationsfigur und die Seltenheit echter Vorbilder in der nationalen und Weltpolitik Faktoren, die die Entwicklung der Persönlichkeitsstörungen und Psychosen begünstigen. Identitätsprobleme neigen da zu, die existenzielle Angst zu vergrößern. Natürlich lebten die Menschen auch in anderen Zeiten mit ihren Ängsten: Die Lebenserwartung war kürzer, Krankheiten, Seuchen, Kriege, Armut bedrohten die Menschen. Jedes Zeitalter hatte 'seine' Ängste, die mit der besonderen Geschichte der Zeit verbunden waren. Unsere Ängste hängen stark mit den Verunsicherungen, den Bedrohungen unserer Zeit, mit dem Nachlassen oder dem Untergang traditioneller Strukturen, den rapiden Veränderungen der Technologie und ihren Gefahren, mit der identitätsmäßigen Unsicherheit zusammen. Haben wir heute spezifische Ängste, die andere Epochen nicht oder weniger kannten? Der bekannte Schweizer Psychiater und Psychoanalytiker Raymond Battegay schreibt dazu: 'Die Angst hat die Menschen zu allen Zeiten beschäftigt. Sie scheint aber noch nie so dominant wie heute gewesen zu sein. Der moderne Mensch, obschon er kaum einen Ort findet, an dem er für sich selbst sein kann, fühlt sich zutiefst vereinsamt. Allein steht er oft seinen Lebensaufgaben gegenüber. Angst bemächtigt sich deshalb seiner.' Wir sind zum ersten Mal in der Geschichte für unsere Ängste selbst verantwortlich, wir haben sie größtenteils selbst heraufbeschworen. Zum ersten Mal in der Geschichte sind es Bedrohungen von Menschenhand, die unsere existenziellen Ängste schüren. Der frühere Mensch fürchtete sich vor Blitz und Donner, vor der Pest; er brachte diese 'Strafen' in Verbindung mit seinen Sünden und suchte Gnade und Vergebung bei den Göttern, die es zu beschwichtigen galt. Jeder konnte sein Leben tugendhafter gestalten, seinen Glauben stärken. In unserem Zeitalter sind dieser Glaube und die damit verbundene Hoffnung nicht mehr Teil unserer Welt. 'Die Angst [ist] längst nicht mehr ein Problem des einzelnen: Sie ist zur Krankheit unseres [des 20.] Jahrhunderts geworden. Sie äußert sich nicht nur im Leben des Individuums, sondern im Kollektiv, in der Gesellschaft.' 9 In Anlehnung an ein Gedicht von W. H. Auden, 'The Age of Anxiety', 10 spricht man von einem Zeitalter der Angst, die in Kunst, Literatur und Philosophie mehr und mehr im Mittelpunkt steht. Freilich hätten Kafkas Romane und Erzählungen nicht den Popularitätsgrader reicht, den sie heute besitzen (trotz der einzigartigen literarischen Qualitäten seiner Schriften), wenn sie nicht dieses Empfinden einer vagen, unerklärlichen, unheimlichen Angst für viele Leser ausdrücken würden. Die Angst vor der Leere, vor der Begegnung mit sich selbst kommt auch zum Ausdruck, quasi als Symptom, in der all-gegenwärtigen akustischen Füllung, die uns allenthalben begegnet: in Restaurants, auf den Flughäfen, in öffentlichen Gebäuden. Die Jugendlichen (und die vielen jugendlichen Erwachsenen) müssen sich durch ohrenbetäubende Musik in Discos, Autos und durch Ohrenstöpsel vor der Leere und Langeweile schützen; ihre Popmusik, der genuinste Ausdruck ihrer inneren Welt und ihrer Not, drückt Wut, oft blinde Revolte und Verzweiflung aus, die Suche nach einem Sinn in Liebe oder Sex. Sie scheinen in einen Teufelskreis zu geraten, der sie auf der Flucht vor der Angst...
Schlagzeile
Verlieren Sie die Angst vor der Angst!