Beschreibung
Der Band enthält u. a.: die frühe Sammlung 'Gehirne', Benns Aufsätze zum Problem des Schöpferischen, seine Beiträge zu den Debatten um die zeitgenössische Literatur ('Kunst und Staat', 'Totenrede für Klabund', 'Rede auf Heinrich Mann') und, als einen Höhepunkt, den Aufsatz 'Goethe und die Naturwissenschaften'. Abgedruckt sind darüber hinaus sechs Texte, die in den bisherigen Ausgaben des Bennschen Werks fehlten.
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Autorenportrait
Gottfried Benn, 1886 2. Mai in Mansfeld geboren. 1905-1910 Medizinstudium in der Kaiser-Wilhelm-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen in Berlin. Approbation. 1912 Veröffentlichung des ersten Gedichtheftes als Lyrisches Flugblatt: Morgue und andere Gedichte. 1913 Übernimmt die Leitung des Pathologischen Instituts am Städtischen Krankenhaus in der Sophie-Charlottenstraße. 1914 Zieht als Militärarzt ins Feld. Nimmt an den Kämpfen in Belgien teil. 1915-1917 Oberarzt im Militärgouvernement Brüssel. Entlassung aus der Armee. 1917 Die gesammelten Gedichte erscheinen im Verlag der Aktion unter dem Titel: 'Fleisch'. Gottfried Benn läßt sich als Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten in Berlin nieder und führt hier seine Praxis bis 1935. 1922 Die Gesammelten Schriften erscheinen im Erich Reiss Verlag in Berlin. 1932 Benn wird Mitglied der Preußischen Akademie der Künste, Abteilung Dichtung. 1933-1934 Vorübergehend im Bannkreis der nationalsozialistischen Ideologie. 1935 Benn verläßt Berlin und läßt sich als Oberstabsarzt in Hannover reaktivieren. Es erscheinen die Ausgewählten Gedichte, Benns letzte Publikation in der Nazizeit. Schwere Angriffe gegen Benn in 'Das Schwarze Korps' und im 'Völkischen Beobachter'. 1937-1945 Benn wird nach Berlin versetzt. Tätigkeit im Militärischen Versorgungswesen als Gutachter in Fürsorge- und Rentenfragen. Ausschluß aus der Reichsschrifttumskammer und Schreibverbot. 1943 als Oberarzt nach Landsberg a.d. Warthe. 1945 Rückkehr nach Berlin. 1946-1948 Praxiseröffnung. Veröffentlichungsschwierigkeiten. 1951 Verleihung des Büchner-Preises in Darmstadt durch die Akademie für Sprache und Dichtung. 1953 Benn gibt die ärztliche Praxis auf. 1956 7. Juli. Tod Gottfried Benns in Berlin.
Leseprobe
'Plagiat' Durch die Zeitungen gehen Bemerkungen, daß sich ein literarischer Skandal von seltener Spannung zutrage. Ein Plagiatfall. Von dem so schnell berühmt gewordenen Roman: 'Das verlorene Kind' der Frau Rahel Sanzara wird behauptet, daß die Verfasserin große Teile gar nicht ihr geistiges Eigentum nennen dürfe. Sie seien im einzelnen und im allgemeinen entlehnt, auch die Quelle wird angegeben: 'die Jahreszahl der entlehnten Begebenheit des neuen Pitaval hat Frau Sanzara wohlweislich und bezeichnenderweise ausgemerzt, während sie es andererseits nicht für der Mühe wert hielt, die vorkommenden Handlungsorte zu verändern.' Also auch so inkonsequent. Frau Sanzara, die, um es gleich zu sagen, mir persönlich und außerhalb ihres Romans völlig unbekannt ist, hat also nicht nur plagiiert, sondern es auch noch träge und tolpatschig getan und gleichzeitig noch herausfordernd, da sie es nicht der Mühe für wert hielt, die Namen zu verändern. Dies wird festgestellt und behauptet von einer 'Reihe bekannter literarischer Persönlichkeiten' - sonderbare Persönlichkeiten müssen das wohl sein, sonderbare Vorstellungen müssen sie beherrschen über Stoff und Dichtung, sonderbare Gefühle, sonderbare Nerven müssen sie mitbringen für die Eindrücke, die sich ergeben aus dem Verhältnis von Material und Form! Denn es ist ja keine Frage der Gesinnung oder des Rechts, die durch Vergleichen, Silbenzählen, Interpunktionsmusterung, Namen- und Zahlenkontrolle sich beantworten ließe, sondern es ist eine Frage ganz ausschließlich des literarischen Urteils, der affektiven Impression, der persönlichen Überwältigung, die das Buch ausübt oder nicht. Wer nur bis Zahlen und Namen kommt, dem wird die Gabe fehlen, sich überwältigen zu lassen selbst von diesem Buch, dessen Berückungsmacht ganz unvergleichlich ist in seiner Einheitlichkeit von Sprache und Gefühl, die keine Lücke läßt, in seiner Geschlossenheit persönlicher Struktur, die etwas Fremdes zu dulden sich gar nicht in der Lage sieht. In der Tat, mir scheint, die Behauptung, in diesem Buch sei irgend etwas unverarbeitet liegengeblieben, quellenmäßig übernommen, entlehnt oder gestohlen, entspringt einem Mangel an Gaben. Es wäre genauso richtig und genauso sinnlos zu sagen, das Auge habe das Protoplasma bestohlen oder die Träne die Elemente, weil sie Chlornatrium enthält. Jeder Ursprung ist schließlich materieller Art, aber was den neuen Pitaval angeht, so kommt er in diesem Buch schlecht weg: wo immer in ihm das Thematische sich nähert, wird es aufgelöst in den konstruktiven Affekt, das Authentische des Vorbilds in die Ordnung eines transzendent Notwendigen, wo immer man die Seiten aufschlägt, tragen sie den Schein einer Schönheit, die ohne Makel, und die Gesetzmäßigkeit eines Ablaufs, die die volle Wahrheit ist. Was heißt demgegenüber Entlehnung, was Plagiat oder Herkunft des Materiellen, man vergesse doch nicht, daß diese Begriffe in Sphären liegen, die ohne Raum und ohne Atem sind. Seit es Welten gibt, wo immer sich Reiche des Geistigen bildeten, gab es nur eine einzige Sphäre, in der alle Begriffe des Seelischen Maß und Halt, Verurteilung oder Rechtfertigung enthielten, die Sphäre des Schöpferischen, die Kunst. Man sollte also nicht diese Begriffe an das Buch, sondern dies Buch an jene Begriffe anlegen und, wenn sie sich als albern oder langweilig herausstellen, sollte man sie abbauen oder übergehen. Begriffe wie Menschen, alles was nicht fühlt, daß dieses Buch jenseits der Nachprüfung steht und aller literarischen Intellektualismen. Daß von ihm jene erregende Sicherheit ausgeht, daß sich etwas Notwendiges und Neues unausweichlich auf einen zubewegt, jenes 'Lawinengefühl', wie ich es nennen möchte, das aufsteigt aus der großen amerikanischen Epik, sei es 'Segen der Erde' oder dem russischen Roman. Ob dabei die Namen aus dem Pitaval oder aus dem Nibelungenlied stammen, das tritt wohl ganz vor dem zurück, daß jeder Ruf und jeder Zug durchatmet und durchströmt wird von dem Herzen einer großen Schöpferin.