0
14,99 €
(inkl. MwSt.)

Nicht lieferbar

In den Warenkorb
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783866123618
Sprache: Deutsch
Umfang: 352 S.
Format (T/L/B): 3 x 21.7 x 13.5 cm
Einband: kartoniertes Buch

Produktsicherheitsverordnung

Hersteller:
Piper Verlag GmbH
Mark Oliver Stehr
info@piper.de
Georgenstraße 4
DE 80799 München

Leseprobe

Freitag   Ich habe das Haus heute früher verlassen als gewohnt, und obwohl es nicht mehr ganz dunkel ist, ist es auch noch nicht hell. Der Wandsworth Common ist voller Geister und Schatten; wie eisengepanzerte, starre Gestalten ragen die Bäume in den Dunst der ersten Frühlingstage; die Sträucher und Brombeeren an den Eisenbahnschienen ein dicht verfilztes Gewirr: ein Paradies für finstere Gestalten, aber darüber mag ich gar nicht nachdenken. Ich nehme die gewohnte Route - über die Brücke und um die Fußballfelder herum, die matschig und aufgewühlt sind wie ein kabbeliges Meer. Da wo der Weg auf die Ecke trifft, ist es am dunkelsten, und einen unbehaglichen Augenblick lang ist man eingezwängt zwischen den Eisenbahnschienen auf der ­einen und dem Abenteuerspielplatz auf der anderen Seite. Ein blauer Anorak, der durchweicht über einem Pfosten hängt, verleiht diesem eine gruselig menschliche Gestalt, und ich beschleunige meine Schritte, bis der Weg über die offene Wiese zur Hauptstraße führt. Autoscheinwerfer streichen über den Bürgersteig - Pendler, die, falls das überhaupt möglich ist, noch früher zur Arbeit müssen als ich. Ein Schemen kommt fast lautlos auf mich zu, ein anderer Läufer, ein Aufblitzen von Kopfhörern und Lycra, verschwunden in einem Atemzug, zurück bleibt ein Hauch von Wärme und Schweiß. In London ist man nie allein, selbst mitten in der Nacht, selbst in der klirrenden Kälte vor der Morgendämmerung im März. Es besteht immer die Möglichkeit, dass einen jemand beobachtet, einem folgt, sieht, was man im Schilde führt. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt. Das Laufen hilft. Das Tempo, der Rhythmus, das Gefühl regelmäßiger Bewegung der Beine bringt Ordnung in meine Gedanken. Letzte Nacht habe ich nicht gut geschlafen. Selbst in den kurzen Phasen der Bewusstlosigkeit habe ich geträumt, ich sei wach. Am Ende musste ich aufstehen. Ich konzentriere mich auf das Atmen. Ein, aus. Ein, aus. Ich werde laufen und versuchen, den Kopf klar zu kriegen, und wenn ich zu Hause bin, gehe ich unter die Dusche, und um sieben