Beschreibung
Skeptisch und nur auf Drängen von Freunden reist der legendäre Schriftsteller Huysmans nach Lourdes, und was er dort antrifft, hat in der Tat nur noch wenig mit der unberührten Idylle der Grotte am Flüsschen Gave zu tun, wo 1858 der vierzehnjährigen Bernadette Soubirous mehrfach die Jungfrau Maria erschienen sein soll. Es herrscht ein Riesenauflauf: Menschenhorden fluten den Ort, darunter viele bedauernswerte Wesen mit den schauerlichsten Krankheiten. Glaubenskitsch der billigsten Art ist ebenso allgegenwärtig wie der medizinische Betrieb für die kranken Pilger und der routinierte Ablauf der zahllosen Messen und Prozessionen. Bei all dem Ablenkenden, Irritierenden und oft auch Oberflächlichen aber entdeckt Huysmans nach und nach auch das Tiefmenschliche, das Schöne und das Berührende, und er beschließt, über das Phänomen Lourdes zu schreiben. Es wird sein letztes Buch - ein Zusammenklang von einfühlsamer Sprachkunst und kritisch beobachtender Reportage.
Autorenportrait
Joris-Karl Huysmans, geboren 1848 in Paris, schuf mit seinem 1884 erschienenen Roman "À rebours" (deutsch meist: "Gegen den Strich") ein Hauptwerk der sogenannten Dekadenz, das zum Kultbuch vieler Generationen geworden ist: von Mallarmé und Oscar Wilde bis zu Tocotronic und Houellebecq. Unter den nachfolgenden Werken zeigen vor allem die Romane um sein literarisches Alter Ego Durtal in der von Huysmans entwickelten Form eines "spirituellen Naturalismus" die Suche des Helden nach geistiger Erlösung: "Là-bas" (1890, dt.: "Tief unten"), "En route" (1895, dt.: "Auf dem Weg"), "La Cathédrale" (1898, dt.: "Die Kathedrale") und "L'Oblat" (1903, dt.: "Der Oblate"). Huysmans war der Sohn eines holländischen Künstlers und einer französischen Mutter und wurde nach dem Schulabschluss Beamter im Innenministerium, wo er bis 1898 in Dienst war. Er gelangte nicht nur als Schriftsteller, sondern auch als Literatur- und Kunstkritiker zu großer Bedeutung. 1900 wurde er Laienbruder (Oblate) im Benediktinerorden, 1903 und 1904 hielt er sich jeweils mehrere Wochen in Lourdes auf; sein Lourdes-Buch erschien 1906 (Originaltitel: "Les Foules de Lourdes"). 1907 starb er im Alter von 59 Jahren an Krebs.
Leseprobe
Die Zeit der großen internationalen Wallfahrten ist gekommen; die von allen Seiten belagerte Stadt beginnt zu wanken; die Pilger aus Lothringen, der Champagne, der Provence, der Normandie, der Rouergue und dem Berry sind da. Eine Armee Belgier ist gestern eingefallen, macht sich auf der Esplanade breit und durchstreift die Straßen. Ich gehe hinunter, um der Ankunft der Gläubigen aus Finistère und Morbihan beizuwohnen; die Straßen der alten Stadt und die Brücke laufen über; man benötigt seine Ellenbogen, um durchzukommen. Die träge Herde der Bretonen, von ihren Priestern im Zaum gehalten, die sie wie Hütehunde antreiben, dreht sich um sich selbst und kommt kaum vom Fleck. Die Frauen sind wie hypnotisiert von den Auslagen der Geschäfte mit ihrem frommen Kitsch, sodass man sie am Arm ziehen und im Rücken schieben muss, damit sie sich weiterbewegen. Müde und verwirrt, mit einem Blick, als wären sie aus einem Traum erwacht, schleppen sie schwere Körbe und Feldflaschen, während die meisten Männer wortkarg und mit schlenkernden Armen gehen, stumpfsinnig wie Rindvieh irgendetwas wiederkäuend. Die Priester mit dem Aussehen von Bauern und Fischern werden ungeduldig, weil sie ihre Schäfchen nicht gemeinsam vorwärtsbringen können, aber wie sie sich auch abmühen und tadeln, die Frauen laufen auseinander. Eine von ihnen bleibt mitten auf der Brücke stehen, um sich die Schuhe putzen zu lassen. Sie diskutiert mit dem Schuhputzer, der zwei Sous verlangt, obwohl sie doch nur einen schuldig sei, wie sie sagt, denn sie habe ja keine großen Füße.