Beschreibung
Nicht nur viele Lebensjahre trennen das Liebespaar in diesem Roman, auch ihr jeweiliger Platz in der Zeitgeschichte könnte nicht unterschiedlicher sein: er, der durch den Krieg von seiner Lebensbahn abgelenkte Ex-Offizier, sie, die Medizinstudentin Dor, mitten in den Möglichkeiten einer neuen Zeit der Emanzipation. In so zurückgenommener wie schöner Sprache erzählt Borée von der Gesellschaft, in der die beiden leben, von der Natur, in die es sie immer wieder zieht, von großen und kleinen Momenten der Liebe, vom Verstehen und Nicht-Verstehen und vom Zusammenstoß der Wünsche mit der Realität. Davon war nicht nur das gesamte Feuilleton der Weimarer Republik begeistert, sondern auch so unterschiedliche Autorenkollegen wie Vicky Baum oder der Schriftsteller Oskar Baum aus dem Kafka-Kreis. Aber vor allem fand sich eine ganze Generation junger Frauen in diesem Buch wieder und machte es zu einem Bestseller, der über 30 Jahre lang in vielen Auflagen lieferbar blieb und mehrfach übersetzt wurde.
Autorenportrait
Karl Friedrich Borée wurde 1886 in Görlitz geboren, studierte Jura, war Offizier im Ersten Weltkrieg und danach in den Stadtverwaltungen von Schöneberg und Königsberg sowie als Jurist tätig. Ende 1930 erschien "Dor und der September" als Romandebüt des 44-Jährigen. Sein zweiter Roman, "Quartier an der Mosel" (1935), wurde als Antikriegsroman verboten, allerdings konnte Borée weiter veröffentlichen. Nach 1945 arbeitete er aktiv am Aufbau eines demokratischen Literaturlebens mit. Er schrieb für den Berliner Tagesspiegel, war der erste Vorsitzende des Westberliner Schriftstellerverbands und Generalsekretär der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Herausragende Werke der Nachkriegszeit sind die Romane "Ein Abschied" (1951) und "Frühling 45" (1954) sowie das Erinnerungsbuch "Semiten und Antisemiten" (1960). Borée starb 1964 in Darmstadt.
Leseprobe
Obwohl es schon spät war, ging ich, als ich mit dem Koffer fertig war, noch einmal auf die Straße. Morgen früh 8 Uhr 30 ging der Zug. Ich würde einen Tag fahren, eine Nacht und noch einmal einen halben Vormittag, und dann sollte Dor auf einem Bahnsteig warten, vor dem der Zug hielt. Ich mußte noch einmal stille stehen, ehe das Rad zu laufen begann -. Es war in keiner Weise vorauszusehen, was dies werden könnte: eine Gemeinschaft ungestörter Tage mit ihr, Tage, in die Nächte und wieder Tage hinüberfließen würden, ohne Wände einer Trennung. Berge erhoben sich wie phantastische Gipfel blendender Sommerwolken, die plötzlich beschreitbar geworden sind, festes irdisches Material. Ich lief im Laternenlicht an den Häuserfronten, den herabgelassenen Läden der Schaufenster, den geschlossenen Kellertüren, den Firmenschildern und Reklamekästen entlang, wie einer, dem glaubhaft für den nächsten Tag der Niederstieg der Gottheit in diese höchst mechanisierte Welt verkündet worden ist.