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Tuschtiens Wolken und Karthlis Untergang

Von der Schönheit und Zerstörung einer Kulturlandschaft am Rande der bewohnten Welt, Essay 7 - Gegenwarten 14

Erscheint am 27.11.2024, 1. Auflage 2024
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783946392439
Sprache: Deutsch
Umfang: 120 S.
Lesealter: 16-99 J.
Einband: gebundenes Buch

Beschreibung

Im Spätsommer 2017 bricht der Historiker und Kaukasiologe Philipp Ammon zu einer ungewöhnlichen Reise auf: 200 Jahre, nachdem die ersten deutschen Siedler in Georgien ankamen, reitet er auf Spuren der deutschen Forschungsreisenden und Geographen Gottfried von Merzbacher und Gustav von Radde durch das tuschetische Hochland im Hohen Kaukasus. Er und seine Mitreisenden, der Ethnologe Giorgi Zozanidse, der Maler Gotscha Ghulelauri und der Schriftsteller Artschil Kikodse, erkunden zu Pferd diese einzigartige, an Tschetschenien angrenzende Region: Eine Reise, in der sich die vernarbte archaische Schönheit der Landschaft und der Traditionen ihrer Einwohner ebenso zeigt wie die existentielle Gefährdung ihrer Lebensweise. Der Text führt ein in die tragische georgische Kulturgeschichte und in die Traditionen der Widerständigkeit. Georgische Europasehnsucht werden ebenso aufgezeigt wie das ambivalente Verhältnis zur einstigen russischen Schutzmacht. Am Ende ist man gebannt vom Zauber einer uralten Kultur und der Schönheit eines in jeder Hinsicht gefährdeten einzigartigen Landes am südöstlichen Saum Europas.

Leseprobe

21. August - Morgens ein Eisbad im Samqwirnwe. Um zwei Uhr erreichen wir den Samzornopaß auf 3300 Meter Höhe, den höchsten Punkt unserer Reise, hinter dem Kachetien beginnt. Giorgi dsia dankt dem mgsawrth angelosi, dem Engel der Reisenden. Am Abend erreichen wir Diqiani auf 1200 Meter Höhe. Zur Rechten erstreckt sich das Pankissi-, zur Linken das Alasanital. Erste Eichen. Lawrence von Arabien schreibt, die Beduinen haßten die Wüste. Sie liebten die Oase. Ob sich die tuschischen Hirten nach Wochen und Monaten im kahlen Hochgebirge mit seinen Schiefergesteinshalden beim Anblick der Eichen ebenso fühlen, wenn sie ins Tal absteigen? Die Luft ist weicher. Auch die Silhouetten am Horizont. Wem Gott will rechte Gunst erweisen. Ein Grashüpfer steigt auf mein vom langen Ritt angeschwollenes Bein. Noch einmal den Tankstellengeruch des Spirituskochers atmen. Die Nacht bricht ein. Im Tal Dörfer und Städtchen wie Leuchtkäfer. Wie schön ist alles von oben. Noch ist es nicht finster. Die Sternbilder sind noch schwächer. 22. August Ein Morgen in weicher Sommerluft. Schwalben schwirren durch die Luft, nicht mehr Mauersegler. Das Tal ist nah. Beim Morgenkaffee ein Gespräch über die 1990er. Damals Entführungen durch Tschetschenen, Drogenhandel im Pankissital, Zusammenarbeit von Kriminellen und georgischer Polizei. Noch unter Dudajew hing ein Plakat in Grosny: Dobrowolzy w Abchasiju! Freiwillige nach Abchasien! Das Zusammenleben von Georgiern und Tschetschenen ist nach wie vor nicht reibungslos. Vor einigen Jahren kam es zu einem Zusammenstoß nach einem doghi, einem Pferderennen im Pankissital, nachdem die Georgier gewonnen hatten. Es gab keine Toten. Ritt bis Storis cheoba, der Storischlucht. Wir reiten bergab durch den Sapuris-Gori-Wald. Auf dem Weg Bärenlosung, darin Brombeeren. Beiderseits des Weges diqi, Riesenbärenklau, oft mannshoch, den im 19. Jahrhundert von europäischen Botanikern als Kaukasischen Bärenklau (Heracleum giganteum seu pubescens seu caucasicum) in ihre Heimat brachten und dort ansalbten. Man vermutete in ihm eine Bienenweide, versprach sich Schutz von Böschungen und Wild. Tatsächlich wird der Nektar der Bienentrachtpflanze eher von Mist- als von Honigbienen gesogen. Die Pflanze gilt mittlerweile als unerwünschter Neophyt. Wir erreichen die Autostraße im Tal. Schweren Herzens verabschieden wir uns von unseren klugen Pferden. Und von Lascha, der sie heimführt. Wir steigen in einen Kleinbus. Der Fahrtwind im Gesicht ist angenehm. Du verrätst Dein Pferd, sagt Gotscha.

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