Beschreibung
'Über-die-Ebene-fließendes-Wasser', ein Indianermädchen, dessen Familie zusammen mit ihrem gesamten Stamm getötet wurde, schlägt sich alleine und ziellos durch die Prärie. Hier trifft sie auf eine Siedlerfamilie, die sich auf den beschwerlichen Weg in den Westen gemacht hat, um dort ihr Glück zu suchen. Bald schließen sich weitere Abenteurer dem Treck an, und ein praller Western mit wilden Schießereien vor spektakulären Landschaften und voller extremer Charaktere nimmt seinen unerbittlichen Lauf. Céline Minard hat mit diesem Überraschungserfolg eine neue Art des Western erfunden: weiblich, humorvoll, leichtfüßig und funkelnd literarisch. Eine große Autorin, die wie nebenbei auch das männlichste aller Genres, das des wilden Westerns, souverän beherrscht.
Autorenportrait
Céline Minard, 1969 in Rouen geboren, lebt als freie Schriftstellerin in Paris. Ihre Bücher wurden mit wichtigen Preisen ausgezeichnet, unter anderem dem Franz-Hessel-Preis für So Long Luise (20011) und mit dem Prix Virilo (2013) und dem Prix du Livre Inter (2014) für faillir être flingué.
Leseprobe
Die Türen des Saloons öffneten sich alle fünf Sekunden im Rhythmus der Schüsse. Holzsplitter flogen auf die Straße. Einige Schützen zielten so genau, dass die Kugeln erst gegen die Wand prallten, bevor sie mit Schwung in die Bar zurückflogen. War die Trommel leer, wurde sie wieder geladen. Sally hatte eine Stiefelette auf das Flechtwerk des Hockers gestellt, die andere berührte den Boden nur mit der Fußspitze. In der Hand hielt sie eine schmale gerade Pfeife, die sie regelmäßig paffte, während sie zusah, wie die Männer sich amüsierten. Sie standen am Tresen Schlange und warteten, bis sie an der Reihe waren, ihren Posten einzunehmen, ihre sechs Schuss auf die Saloontüren zu feuern und sich dann wieder anzustellen. Bei jeder Salve wurden die vor ihnen aufgereihten Gläser aufgefüllt. Sally hatte als Regel verkündet, dass jeder Spieler ausscheiden müsse, bei dem auch nur ein Schuss neben die Tür ginge. Acht saßen schon im Aus und tranken weiter, wobei sie das Finale lebhaft kommentieren. Vier waren noch im Rennen und hatten an diesem Punkt des Wettkampfs allerlei Schwierigkeiten, ihre Pistolen nach ihrem Angriff wieder zu laden. Die leeren Kammern waren winzig klein, man musste schon genau zielen und ein Auge zukneifen, um die Kugeln überhaupt hineinzubekommen. Die Spieler durften sich am Tresen festhalten, aber nur mit einer Hand, und wer nicht mehr alleine stehen konnte, war gezwungen aufzugeben. So lauteten die Regeln und Sally war eine ebenso strenge wie unangefochtene Schiedsrichterin. Ein kleiner Blondschopf mit spärlichem Bartwuchs bemühte sich, seine Waffe aus dem Gürtel zu ziehen. Er schien sich auf sie zu stützen wie auf eine Krücke, während seine linke Hand die Kupferstange am Tresen umklammert hielt, was jedoch nicht reichte, um ihn im Lot zu halten. Er schwankte wie auf hoher See, und die lauten Ermutigungsrufe seiner Konkurrenten rollten wie weitere Wellenberge auf ihn zu. Als es ihm endlich gelang, seine Waffe zu zücken, wanderte sie erst dreimal durch den Saal, sodass Sally sich für einen Moment lang Sorgen um den Spiegel und die Flaschen hinterm Tresen machte, doch in dem kurzen Augenblick, da die Waffe zum Halten kam, bevor sie in einer zufälligen Bewegung zurück in den Halfter schlingerte, durchsiebte sie die beiden Saloontüren in einem plötzlichen Windstoß mit sechs streng symmetrisch gesetzten Schüssen. Dieses Bravourstück löste eine Flut von Pfiffen und Jubelrufen aus, die den Spieler mitriss, bevor er auf allen Vieren wieder ans Ende der Schlange krabbelte.