Beschreibung
In leuchtenden, konzentrierten Szenen blättert sich ein Jahrhundertleben auf: Das Mädchen Seka aus Sarajevo reitet mit dem Vater in bosnische Bergdörfer. In den 1930er Jahren trifft sie als junge Journalistin in Zagreb auf den deutschen Emigranten, einen Mann vom Theater mit einem Krokodil. Ado ist der jüngste Sohn einer adligen, kaisertreuen Landratsfamilie, aber ein Rebell und Kommunist. Sie verlieben sich, zwei Kinder werden geboren. Als deutsche Truppen in Zagreb einziehen, verschlägt es sie ins Kriegsberlin und weiter in den Norden an die kühle Ostsee. Seka und Ado verlieren einander, sie findet ihn im KZ-Außenlager Leuna wieder und schleust ihn unerschrocken gegen eine Packung Zigaretten für eine Nacht nach draußen. Nach Kriegsende richten sie ihre Hoffnungen auf die DDR. Sie gehen nach Weimar, um eine freie, moderne Theaterschule aufzubauen. Doch die Familie wird erschüttert. Eine Rückkehr nach Zagreb scheitert, Seka findet sich im Westen wieder. Im belagerten Sarajevo der 1990er sehen Tochter und Sohn Jugoslawien blutig zerfallen. In Deutschland wird Seka noch lange leben und immer wieder jene finden, die wie sie die Verhältnisse ändern wollen. Sie ist die Mutter der Autorin, die mit dem wundersamen Erzählstrom der Eltern aufwuchs und die hier ein farbenprächtiges Mosaik des Lebens auslegt, ein poetisches Tableau, mit dem Grundton des Staunens.
Produktsicherheitsverordnung
Hersteller:
Edition Nautilus GmbH
Katharina Picandet
info@edition-nautilus.de
Schützenstraße 49a
DE 22761 Hamburg
Autorenportrait
Marina Achenbach, geboren 1939 in Zagreb, ist in der DDR aufgewachsen. Sie hat Slawistik in München, Tübingen und Moskau studiert und als Übersetzerin für Russisch und Serbokroatisch sowie für den polnisch-deutschen Kulturaustausch gearbeitet. Für den WDR hat sie Dokumentarfilme gedreht und 1990 in Berlin die Wochenzeitung Der Freitag mitbegründet und sie mit ihren Reportagen geprägt. Marina Achenbach lebt in Berlin. Buchveröffentlichungen: Auf dem Weg nach Sarajevo (Berlin, Elefanten Press, 1994), Echoraum: Umbrüche 1989-2000 (Berlin, Edition Der Freitag, 2009); Fasia. Geliebte Rebellin (Oberhausen, Asso Verlag, 2004).
Leseprobe
Ado schaut in den Spiegel. Eine Reporterin des Zagreber Abendblatts ist ihm angekündigt. Seka steigt in die Straßenbahn. Der Februartag ist grell vom weißen Sonnenlicht auf frischem Schnee. Die 20-jährige Reporterin hat ihrem Chef ein Interview mit dem Flüchtling aus Hitlers Deutschland abgerungen. Zuletzt nimmt sie die Steinstufen in die Oberstadt. In ihr bilden sich die ersten Sätze, ganze Dialoge, doch sie weiß nur eines: Dieser Deutsche wird dem Zagreber Zoo ein Krokodil zum Geschenk machen. Als seine Tür aufgeht, sieht sie den Mann mit Rasierschaum im Gesicht. Und er sieht, dass die Journalistin sehr jung ist. Sie schätzt ihn auf vierzig. Ihr Blick ist ernst unter hohen Augenbrauen, ihr geschminkter Mund ist fein geschnitten. Er entschuldigt sich vergnügt, spielt Verlegenheit und bietet ihr Platz auf einer Couch an. Sie setzt sich und wartet. Sie fühlt sich benommen. Vor ihr baut sich ein Hund auf, seine Brust hell, Spucke hängt in Fäden links und rechts aus der breiten Schnauze, er starrt sie vor Erwartung schnaufend an. Etwas drückt von unten hart gegen ihr Bein. Unter der Couch schiebt sich ein Krokodilskopf hervor. Sie schreit nicht auf. Ado tritt aus dem Bad und sieht sie aufmerksam das anderthalb Meter große Krokodil beobachten, das sich auf seine Beine erhoben hat und vorantappt, hin zur angelehnten Balkontür. Als wäre Seka in einem Märchen auf die Probe gestellt worden: Würde die verirrte Wanderin furchtsam um Hilfe rufen? Dann hätte sie die Probe nicht bestanden und müsste zurück in den Wald, in dem sie verloren gegangen ist. Doch wenn sie angstlos ist, was in Wirklichkeit heißt, reinen Herzens, wird ihr die Spur gezeigt, auf der sie den purpurfarbenen Vogel wiederfinden kann, der ihr als Kind entflogen ist. Es ist das Jahr 1938.