Beschreibung
Ein Prosapoem wie eine Welle. Bedeutung schwillt an, glitzert und wirft sich zurück in den riesigen und chaotischen Gedankenfluss. Nichts bleibt. Die Mechanik des Geistes läuft weiter. 'Hochbranden' ist ein Buch voller Bewegung: der Bewegung des Geistes, der Zeit und der Erinnerung. Es zeigt eine alte Dichterin zu Hause, nachts, wie sie durch ihre Erinnerungen an lang gestorbene oder sterbende Freunde durchquerte oder durch verlorene Landschaften streift. Sie sinniert über unlösbare Ideen, die unzählige schlaflose Nächte lang am Rande der Wahrnehmung schwankten. Anstatt den Mangel an Wahrnehmungssicherheit zu beklagen, lässt Adnan einen planetarischen Nebel aufwallen, in dem man sich treiben lassen kann. Ihr Schreiben gibt uns einen Ort, an dem wir eintauchen und uns selbst und einander in Frage stellen können. Etel Adnans langes Prosagedicht ist auf eine solche Bewegung hin gestimmt, demütig gegenüber den Kräften jenseits einer singulären Subjektivität. Dem Text 'Hochbranden' sind die 'Gespräche mit meiner Seele I, II und III' zur Seite gestellt sowie ein aus verschiedenen Interviews und Texten zusammengefügtes imaginäres Gespräch zwischen Etel Adnan und ihrer langjährigen Übersetzerin und Freundin Klaudia Ruschkowski.
Autorenportrait
Etel Adnan (1925-2021), geboren in Beirut als Tochter einer christlichen Griechin und eines muslimischen Syrers, lebte im Libanon, in Paris und Kalifornien. Ihren Durchbruch als Malerin erlebte sie 2012 auf der dOCUMENTA (13), seitdem sind ihre Bilder weltweit in den wichtigsten Museen und Galerien zu sehen. 2021 wurde ihr der Lichtwark-Preis der Stadt Hamburg verliehen. Parallel zu ihrem bildnerischen Werk hat sie zahlreiche literarische Texte veröffentlicht. In der Edition Nautilus erschien zuletzt 'Die Stille verschieben' (2022). Am 14. November 2021 ist Etel Adnan im Alter von 96 Jahren in Paris verstorben.
Leseprobe
Das Paradies ist sehr wahrscheinlich langweilig, es sei denn, es ist noch immer ein Garten. Einsamkeit führt nicht zu besserem Denken. Leider. Sie kann die Luft eindicken, ja, das kann sie. Kommt man der Sonne nah, entsteht Angst, furchtbare Angst. Lassen wir die Fenster offen, um das Leid zu lindern, das die Möbel ausstrahlen. Das Meer wirft seine Wellen sehr hoch. Salz für die Erde. Oh, in die Realität vorzudringen wie ein Boot in die Nacht! Verständlichkeit hat nichts zu tun mit dem Realen. Napoleon war wirklich der Weltgeist, wie Hegel ihn sich gewünscht hatte, der Geist ihrer stets jugendlichen Gewalt, und Megawaffen folgten, und Sterben verlor die Bedeutung. Wir erleben die Nacht als das Ergebnis der Entführung des Lichts, ein Zuhause für Verzweiflung. Tausend Seelen in einem Körper, in einer Seele Körper und Seele sterben zu verschiedenen Zeiten, mit verschiedenen Geschwindigkeiten. 'Zeit gibt nur das, was sie hat, und sie hat nur das, was sie selbst ist' - H.