Beschreibung
Ingo F. ist ein Desperado, wie er im Buche steht - hauptsächlich interessieren ihn Koks, Alkoholika und die süßen Dinge des Lebens - beispielsweise Analverkehr. Um all dies zu ergattern, begibt er sich nach Mexiko City, doch statt der erhofften Genüsse warten Pein, Wahnwitz und Schrecken. Dann lernt er unvermittelt eine Tochter aus reichem Hause kennen - deren Familie jedoch alles daran setzt, den Nichtsnutz wieder loszuwerden. Und als er schließlich einen Job bei einem Busenmagazin an Land zieht, geraten die Dinge vollends außer Kontrolle.Alle von Wimmers Werken signiert und super-schnell erhältlich: auslieferung@blond-verlag.de
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Leseprobe
Der lange Weg nach Tlalocán 'Dann sagen Sie ihnen alles, Willard, alles was ich getan habe.'Apocalypse Now Majestätischer konnte man den Tag nicht beginnen. Es war zwölf Uhr mittags, und am Tresen standen nur die fanatischsten Getreuen des Centenario: Der Polizeifahnder Gaspar mit den ausgemergelten Wangen, dem Günter-Netzer-Schnitt und der Kellerporno-Brille; Humberto der Ex-Ringer, der jeden Gast aufgekratzt an seinen Brustkasten quetschte und mit 'Monsieur, welch große Ehre!' anredete; der kleinwüchsige Makler Pepe del Díaz, der in seinem gemütlichen, nordmexikanischen Dialekt am liebsten von den Schlägereien seiner Jugend erzählte und jeden einzelnen Leberhaken liebevoll detailliert nachstellte. Sie alle waren Menschen, die sich eher die Hand hätten abhacken lassen, als auch nur eine Stunde von den Öffnungszeiten des Centenario zu verpassen. Ich setzte mich an einen freien Tisch, zündete mir ein Zigarette an und pustete den Rauch zur Decke hoch, wo er sich mit der Qualmwolke vereinigte, die die anderen Gäste seit Stunden produzierten.'W-w-was t-trinkst du?', fragte der Geschäftsführer des Centenario. Sein Indianergesicht war wie immer lila angelaufen, die Augen von einer Schilddrüsenkrankheit aus den Höhlen getrieben. Vom Geschäftsführer des Centenario war bekannt, dass er keine - wie auch immer gearteten - Fähigkeiten besaß und sich in seine Position vermutlich hochgesoffen hatte. Normalerweise stand er in einem abgetragenen Anzug neben der Bar und kontrollierte die Kasse, doch heute hatten die Gäste die Ehre, von ihm persönlich bedient zu werden. Ich warf einen Blick auf die Preistafel an der Wand. Mit Steckbuchstaben stand da D-m-cq S-l-ra 30$ und C----s R-ga- 45$, was irgendwann einmal Domecq Solera und Chivas Regal geheißen haben mochte, aber so raffinierte Spirituosen bestellte im Centenario schon lange niemand mehr. Ich entschied mich für einen 'Bull' - ein Glas Bier mit einem Schuss Irgendwas, je nach Gusto des Barkeepers Zuckerrohrschnaps, Tequila, Rum, Brandy oder Anis, oft auch alles zusammen kombiniert.'B-B-BULL!', schrie der Geschäftsführer in Richtung Bar. Binnen Sekunden stand der Bull auf meinem Tisch, ich nippte am Glas und bekam eine Gänsehaut: Der Barkeeper war ein Freund der Kombination.Zur Mittagszeit herrschte im Centenario eine ganz besondere Atmosphäre: Das leise Klirren der Gläser, die Gedämpftheit der Geräusche, das intime Flüstern der Gäste - alles hatte etwas Unschuldiges, Jungfräuliches, Morgendliches. Außer den Trinkern am Tresen versammelten sich mittags vor allem Menschen, die sich durch Höflichkeit und Ruhe auszeichneten: Politiker aus den umliegenden Ministerien, die Dominosteine auf die Tische klopften und sich einander mit zuvorkommender, fast tuntiger Zärtlichkeit behandelten. Geschäftsmänner mit altmodischen Anzügen, die unter den Tischen die Händchen ihrer Sekretärinnen hielten und mit ihnen Cuba Libres und Brandy Colas vertilgten. Journalisten der angrenzenden Verlagshäuser, die das Weltgeschehen erörterten und sich beim Sprechen gegenseitig den Vortritt ließen. Liebenswürdigkeit, Eintracht und Streicheleinheiten, wohin man blickte. Und was das Bild des Friedens krönte: All diese Menschen tranken. Jeder hatte hochprozentige Gemische vor sich stehen, und jeder wirkte entschlossen, die nächsten Stunden stetig nachzubestellen. Während ich knappe Schlucke von meinem 'Bull' nahm, dachte ich an die grauenvolle Woche, die ich einmal in San Antonio, Texas, verbringen hatte müssen. Schon in der ersten Nacht hatte ich einen Kulturschock erlitten: In San Antonio trank niemand, egal zu welcher Uhrzeit und an welchem Wochentag. Ich klapperte dort jedes Pub, jede Bar und jedes Ale-House ab, doch nirgendwo saß ein Mensch, der einem beim Trinken Gesellschaft geleistet hätte. Nach zwei Tagen war ich so verzweifelt, dass ich schon das Telefonbuch auf der Suche nach Zechkumpanen durchblätterte und kurz davor stand, mir unbekannte Bürger wie Biersack Robert (Timberwild Drive 1001), Saufwein Ginna (Montford Road 622) oder Trinklein Timothy (Settlers Valley 2883) anzurufen, um sie zu einer Kneipentour zu beschwatzen.Mexiko dagegen wimmelte von Männern und Frauen, die ein klares, deutliches Ja zur Sucht Luis Miguel gerade aus der Musikbox sang? Es war der Waffenstillstand zwischen uns und dem Schmutz des Lebens, der den Centenario mittags so kostbar machte. Mittags im Centenario zu sitzen - das bedeutete das größtmögliche Einverständnis mit der Welt.Diese Wurstigkeit, die man hier spürte, war im selben Maß schon bei den Azteken und ihrer Jenseitsvorstellung zu finden. Die Bevölkerung von Tenochtitlán glaubte an drei verschiedene Bereiche für die Seelen der Toten. Die Zugangsberechtigung entschied sich dabei nicht durch das Verhalten im Leben, sondern allein durch die Todesart: Das Gros der Menschen siedelte nach dem Tod in eine obskure, ereignislose Geisterwelt über, in der man sein Dasein als Schatten fristete. Die Menschen, die a) im Krieg fielen, b) vom Gegner geopfert wurden oder c) als Spione starben, durften mit dem Gott Tezcatlipoca um die Sonne kreisen - ein ebenso elitäres wie langweiliges Vergnügen. Das wirkliche Paradies dagegen war das Unterweltreich Tlalocán, das der Regengott Tlaloc verwaltete. Es winkte denen, die am flüssigen Medium zugrunde gingen: Ertrunkene, vom Blitz Erschlagene und, so durfte man ergänzen, die Trinker des Centenario.Bei diesem Gedanken bestellte ich einen neuen Bull. Schwer vorstellbar, dass es während meines Aufenthalts in Mexiko einmal eine Zeit ohne den Centenario gegeben hatte. Und doch war das der Fall gewesen. Es hatte Monate gegeben - Monate der Düsternis! -, in denen ich vom Centenario noch nicht einmal etwas geahnt hatte. Auf diese bitteren Monate war eine Periode gefolgt, in der ich zwar schon von seiner Existenz wusste, aber noch nicht reif für die Mitgliedschaft war. Denn das Recht auf den Centenario musste erkämpft werden! Man musste sich freimachen von all den Mächten, die einen vom Centenario abhalten wollten! Man musste die vielfältigen Fallstricke zerhacken, die auf dem Weg zum Centenario auslagen! Man musste die Ketten sprengen, die einen wie in Platons Höhlengleichnis in einer Scheinwelt festhielten, in der der Centenario nicht die Hauptrolle spielte. Da gab es soziale Zirkel - hier schnaubte ich unwillig auf -, die alles verabscheuten, wofür der Centenario stand! Da existierten Institutionen wie die Universität, das Deutsche Konsulat oder der Deutsche Akademische Austauschdienst, die einem Leben im Centenario diametral entgegenstanden! Da lauerten alle Arten von verrückten Egozentrikern, die durchsetzen wollten, dass man IHNEN und nicht dem Centenario huldigte. Mit aller Sachlichkeit durfte ich sagen, dass ich mir den Weg in den Centenario Schlacht um Schlacht erfochten hatte. Wie zur Siegesfeier brachte mir der Geschäftsführer den neuen Bull, und mit dem überschwappenden Schaum malte ich gekreuzte Säbel und die Daten der Siege auf den Tisch:10. Juni 1998: Die Schlacht bei Mirtila, die früheste Prokla...