Beschreibung
Subjektive Betrachtungen über den Mann von heute mit einem objektiven Vorwort von Alice Schwarzer - der Glossenband von Harald Martenstein Ob Harald Martenstein vor wachsender Rinderfeindlichkeit in Deutschland warnt, oder ob er erläutert, wie man Steuerverwaltungen in den Wahnsinn treiben kann, indem man statt 94 Cent 49 Cent überweist - immer trifft der Egon-Erwin-Kisch-Preisträger ins Herz deutscher Empfindsamkeit. 52 notwendige Abschweifungen über das alltägliche Leben am Beginn des 21. Jahrhunderts - nicht nur für die eingefleischten Martenstein-Fans.
Leseprobe
Meine Begegnung mit Martenstein Es wäre "ihm eine große Ehre und ein großes Vergnügen zugleich", schreibt der Verlag, "wenn Sie das Vorwort schreiben würden".Ich? Da steckt doch was dahinter! Will der Martenstein etwa testen, ob Feministinnen Humor haben? (Was bekanntermaßen nicht der Fall ist.) Will er bei seinen emanzipierten Freundinnen punkten? (Sein Verhältnis zu Autos scheint ja neuerdings entspannter als das zu Frauen.) Beschleicht ihn der Verdacht, dass seine Redaktion ihm zu häufig eine Montagsproduktion durchgehen lässt, statt ausschließlich Martenstein from his best zu drucken, und sucht er deshalb eine strengere Chefredakteurin? (Tja, das ist der Preis des Ruhms, wenn alles gedruckt wird.) Oder ist die Idee etwa von seiner cleveren Literaturagentin? (Wg. schnöder Auflage.)However. Dass ich zu der Millionenschar seiner Fans und Fäninnen gehöre, weiß Martenstein. Nicht nur, weil ich ihn auch schon mal erfolgreich zu einer Glosse für EMMA überredet habe. Auch, weil ich jüngst bei einer seiner Lesungen war. Nein, nicht der Glossen, des Romans. Den habe ich aber nicht gelesen. Aus Prinzip. Ich missbillige es nämlich, wenn gute JournalistInnen Romane schreiben; schließlich gibt es viele Romanschreiberinnen, aber nur wenige gute Journalistinnen.Meine Teilnahme an der Martenstein-Lesung war einer glücklichen Fügung zu verdanken. Anlässlich eines Besuchs bei Freundinnen auf dem Land verkündeten die mit verhaltenem Stolz: Heute Abend liest der Martenstein in W. Martenstein? Na, das ist doch die Gelegenheit, sich den Mann mal anzusehen!Wir zogen zu dritt los. in der kleinen, feinen Buchhandlung waren die Stühle schon enger gerückt. Ich landete in der zweiten Reihe. Vor mir nicht nur geneigte Köpfe, sondern auch drei faustgroße Holzwollschafe und ein Immergrün in weißer Porzellanschale auf dem Bord zwischen dem Autor und mir. Dahinter, neben der Kasse, wo sonst die Buchhändlerin sitzt, der Dichter aus der Hauptstadt.Ich musste mich die ganze Lesung über recken, denn schließlich war ich ja auch gekommen, um etwas zu sehen. Was aber niemanden gestört hat, denn hinter mir hockten nur noch die Regale mit den Werken von Martenstein und anderen Romanciers. Nach einer knappen halben Stunde klappte der Autor sein Oeuvre zu. Ein Raunen der Enttäuschung ging durch das sehr geneigte Publikum. Schon.?Noch Fragen? Und ob! Was nun folgte, war Martenstein pur. Los ging es mit dem üblich konfus-eitlen Selbstdarsteller, und es endete bei der ehrfürchtig-bewundernden Zeit-Abonnentin. So ein Fan-Publikum schwankt ja nicht nur in der Provinz zwischen Adoration und Aggression. Die Fallhöhe kann gewaltig sein für den Gegenstand der Zuneigung.Nach der ersten nassforschen Anmache durch einen Mann, halten zwei, drei Damen es für angebracht, empört ihre uneingeschränkte Bewunderung kundzutun. Da reichte es dem zweiten der fünf Männer im Raum! (Das Geschlechterverhältnis bei Martenstein-Lesungen scheint ähnlich zu sein wie bei Schwarzer-Lesungen - oder ist es bei allen Lesungen so?) Jedenfalls ergriff der knapp Achtzigjährige nun energisch das Wort und fragte den erklecklich jüngeren Autor in harschem Ton, woher er all diese Dinge, die er da über die vierziger Jahre schreibe, denn überhaupt wissen wolle?! Schließlich sei er, der Autor, ja überhaupt nicht dabei gewesen, im Gegensatz zu ihm, dem Leser.Da murmelte Martenstein was von "dichterischer Freiheit" - und machte ziemlich abrupt Schluss. Schließlich musste er ja auch noch weiter. Die örtliche Buchhändlerin hatte es nicht gewagt, den Autor im einzigen Hotel von W. unterzubringen, sondern ihren Ehrengast in einem zwanzig Kilometer entfernten Sterne-Hotel einquartiert, in dem jüngst auch die Handball-Weltmeister genächtigt hatten.Als ich dann abends zu Hause in meinem Bettchen lag und an den Arbeitsberg dachte, der mich auf meinem Redaktionsschreibtisch erwartet, da wurde ich ganz melancholisch. Ich dachte: Der Martenstein hat's gut. Der muss als Glossenschreiber immer nur was erleben und das Ganz