Beschreibung
Wenn man keine Tränen mehr zum Weinen hat, bleibt nur noch: das Lachen!''
Es ist eine makabre Zerrwelt, in der die vierzehnjährige Jüdin aus Siebenbürgen lacht und weint, hungert und isst, geschlagen wird und begreifen muss, was es heißt, zu sterben oder zu überleben. Absonderlich, verquer, verständlich und verstörend dennoch, wie sehr darüber hinaus der Besitz des Heftes und des Bleistiftstummels und schließlich das Schreiben selbst zum Inhalt ihrer Existenz und zum Gegenstand des Tagebuchs werden. In gespenstischen Episoden tauchen Personen auf, um spurlos zu verschwinden. Nur einer ist besorgt, dass er im Tagebuch vorkommt, einer, der es ihr wegnehmen will, dann aber um positive Erwähnung bittet: der Kommandant.
Ein einzigartiges Dokument: das Tagebuch einer vierzehnjährigen Jüdin, das sie in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern heimlich führte.
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Autorenportrait
Ana Novac, geboren 1929 in Siebenbürgen (Rumänien), wurde 1944 nach Auschwitz deportiert. Von einem Lager zum nächsten verschleppt, erlebte sie die Befreiung im Mai 1945. Nach Stationen in Bukarest und Berlin lebt Ana Novac heute in Paris, wo sie eine Reihe von Romanen veröffentlichte.
Leseprobe
Ich wurde als Frau und Jüdin - dazu arm und unsterblich - in Siebenbürgen bzw. Transsilvanien geboren, einer Gegend, die sich von jeher drei kleine Völker und drei kleine Sprachen streitig machen: das Sächsische (eine Variante des Deutschen), das Ungarische und das Rumänische. Aus diesem Grunde war ich, von einem Geburtsfehler (meiner Rasse) abgesehen, niemals imstande, meine Nationalität und meine Muttersprache genau anzugeben. Ich habe das Licht der Welt mit dem Faschismus erblickt, meine Jugend unter einer proletarischen Diktatur verbracht und zwischen beidem - zur Abwechslung - einen Ausflug nach Auschwitz sowie in sieben weitere Konzentrationslager gemacht. Das alles als sogenanntes 'Kind', so daß ich schon mit fünfzehn Jahren eine Überlebende sein sollte; was zu einer Gewohnheit wurde, denn anders als das Sprichwort sagt, habe ich den Eindruck, daß man nicht nur einmal im Leben stirbt. Mein Gesicht und mein Alter sollten nie den auf den Ausweisen angegebenen entsprechen. So weit ich zurückdenken kann, habe ich mich nie als Kind oder als Erwachsenen oder als alt betrachtet. Und was meine Seele angeht, so ist sie eine veränderliche Größe zwischen fünf und fünftausend Jahren. So hätte ich sie an dem Tag beinahe verloren, als mir gesagt wurde: 'In Ihrem Alter muß man aufpassen!' Mein Herz ist aus dem Takt geraten, und monatelang habe ich nicht mehr geschrieben. Daher meine Gewißheit, daß nicht die Jahre uns ruinieren, sondern der Skandal, uns dessen bewußt zu sein. In welchem Augenblick habe ich begonnen, an meiner Unsterblichkeit zu zweifeln? Vermutlich im Laufe einer langen Krankheit, als mir klar wurde, daß ich mich beeilen mußte, Ich zu sein, mich zu definieren, bevor es zu spät wäre. Es war in einem Sanatorium, auf einem Liegestuhl, auf dem ich sechzehn von vierundzwanzig Stunden die Karpaten vor Augen hatte. Dort war ich auf das einzige reduziert, worüber ich verfügte, um meine Person einzukreisen: das Alphabet. Ich begann, meiner Mutter Briefe zu schreiben (eine Art Tagebuch), an einem Ort, wo außer den Mahlzeiten das einzige Ereignis meine Gedanken waren. Ich fing an, sie zu verfolgen, sie zu überwachen, bei dem einen statt bei einem anderen zu verharren, kurz: eine Wahl zu treffen. Vielleicht habe ich nie daran gezweifelt, daß jeder Gedanke durchs Gehirn geht, daß Schreiben kein besonderes Talent erfordert, daß der einzige Unterschied zwischen einem Schriftsteller und einem Nicht-Schriftsteller eine Form von Aufmerksamkeit, Geduld oder Leidenschaft ist, insbesondere jene, die Bewegungen seines Geistes zu kennen und zu kontrollieren. Ich bin mit der Gewohnheit im Lager gelandet, das Chaos in meinem Kopf zu ordnen, sowie bereits einigen hundert Seiten auf meinem Konto. Wichtiger jedoch erscheint mir, daß ich nicht einschlafen konnte, bevor ich nicht alle Ideen, die mich tagsüber beunruhigt hatten, in Worte gefaßt hatte. Sollte ich schon entdeckt haben, daß man nicht in Worten denkt? Daß das Denken nur eine Art Entwurf des formulierten Satzes ist, daß zwischen beiden eine Lücke, ein großes Loch gefüllt werden muß. Wenn mein Tagebuch das einzige ist, das meines Wissens je ein Lager verlassen hat, dann wundert es mich. Anders als die Legende will, hing das meiner Meinung nach allein von uns ab. Da wir ohnehin lange vor unserer Ankunft zum Gas verurteilt waren, scherten sich unsere 'Gastgeber' einen Dreck um unsere literarischen oder anderen Tätigkeiten, um unsere möglichen Überlegungen über das Reich usw. (Tatsache ist, daß es spiritistische Sitzungen gab, daß wir auf der Pritsche Gedichte verfaßten und vorlasen - Dante hätte jede Menge Zeit gehabt, seine Hölle zu vollenden). Es kam nur darauf an, Papier und Bleistift zu finden! Deshalb wurde ich zu jemandem, der in Mülleimern wühlte und hart gewordene Plakate abriß. Gern würde ich sagen können, daß ich mir diese Fron auferlegt habe, um das Gedächtnis der Menschheit durch Einzelheiten, konkrete Kleinigkeiten zu vervollständigen, die den Dokumenten,