Beschreibung
Fern der Routine des Kleinstadtlebens genießt es Lewis, mit seiner schönen, rastlosen Mutter durch die Wälder zu streifen - bis an einem Sommertag am Fluss ein schreckliches Unglück geschieht. Lewis bleibt verstört zurück. Als ihm wenige Monate später die junge Alice als Stiefmutter vorgestellt wird, entladen sich seine Trauer und Wut schließlich in einer Katastrophe. Ein Roman von überwältigender Schönheit, eine leidenschaftliche, spannende Geschichte über einen jungen Mann, der immer tiefer in einen Strudel aus Verzweiflung und enttäuschter Hoffnung gerät und doch bedingungslose Liebe erfährt.
Autorenportrait
Sadie Jones, 1967 in London geboren, arbeitete als Drehbuchautorin, unter anderem für die BBC. 2005 verfilmte John Irvin ihr Drehbuch "The Fine Art of Love" mit Jacqueline Bisset in der Hauptrolle. Ihr preisgekröntes Romandebüt "Der Außenseiter" (2008) wurde in Großbritannien auf Anhieb ein Nr.-1-Bestseller und war auch in Deutschland ein großer Presse- und Publikumserfolg. 2012 erschien bei der DVA "Der ungeladene Gast". "Jahre wie diese" ist ihr vierter Roman.
Leseprobe
August 1957Niemand würde ihn abholen, dachte er, während er beobachtete, wie die drei Männer vor ihm ihre Sachen in Empfang nahmen, die Papiere unterzeichneten und hinausgingen. Alle drei taten es auf die exakt selbe Weise, als hätten sie nach all der Zeit, die sie auf diesen Augenblick gewartet hatten, keine andere Wahl, als sich genau so und nicht anders zu verhalten. Man hätte meinen können, sie wären ein und derselbe Mann.Dann war er an der Reihe. Er bekam die Kleider ausgehändigt, die er bei seiner Ankunft getragen hatte, sein Portemonnaie und sein Rasiermesser und musste dafür und für die Postanweisung, die sein Vater ihm geschickt hatte, unterschreiben. In einem Nebenzimmer zog er sich um. Nichts passte mehr; die Hose war zwei Zentimeter zu kurz und die Ärmel des Hemds reichten kaum noch bis an seine Handgelenke.Er steckte das Portemonnaie mit der Postanweisung in die Gesäß- und das Rasiermesser in die Jackentasche, ging zum Schalter zurück und wartete, dass die Türen für ihn aufgeschlossen wurden. Ohne die Wärter anzusehen, ging er über den Hof zu der kleinen Tür in der Mauer neben dem großen Tor, die nicht abgeschlossen war. Er öffnete sie und trat auf die Straße.Keine Spur mehr von den Männern, die vor ihm hinausgegangen waren, und auch sonst war weit und breit niemand zu sehen. Er blieb ganz ruhig und empfand nichts Besonderes. Sicher, er hatte gewartet, aber nicht auf seine Entlassung, sondern darauf, nach Hause zu kommen. Zwei Jahre sind keine sehr lange Zeit. Zwischen siebzehn und neunzehn aber vielleicht länger als in anderen Lebensphasen.Das Erste, was ihm auffiel, waren die Farben. Die Farben und das unglaublich helle Sonnenlicht. Und wie weit er sehen konnte - die ganze Straße entlang, bis dahin, wo ein kleines, hellblaues Auto um eine Ecke bog und verschwand.Er sah die Straße hinauf und hinunter und dachte, dass er bis in alle Ewigkeit in der klaren Luft stehen bleiben und in die Ferne blicken und die Backsteinhäuser mit ihren unterschiedlichen Schattierungen von Gelb und Braun betrachten könnte. Und die Grasbüschel, die sich durch die Ritzen des Pflasters zwängten. Und wie menschenleer alles war. Bloß wollte er so schnell wie möglich weg von dem Gefängnis, das hinter ihm aufragte. Andererseits war dieses Gefängnis alles, was er lange Zeit gekannt hatte, dachte er und wäre am liebsten geblieben. Aber so durfte er nicht denken. Er gab sich einen Ruck und fing an, die Straße hinunterzugehen, weg vom Gefängnis, auf die Stelle zu, an der das hellblaue Auto verschwunden war.Um den Zug nach Hause zu nehmen, musste er zur Victoria Station auf der anderen Seite des Flusses. Außerdem brauchte er ein Postamt, um die Geldanweisung seines Vaters einzulösen. Und dann, beschloss er, würde er sich etwas zum Anziehen kaufen, weil er sich in seinen alten Sachen unwohl fühlte. Nach Hause zu kommen würde schwer genug sein, auch ohne dass er in seinen Hochwasserhosen lächerlich aussah.Sich zurechtzufinden und mit Menschen sprechen zu müssen, die er nicht kannte, machte ihm Angst und gab ihm viel mehr als er erwartet hatte das Gefühl, ein Sträfling zu sein, und als er den Bahnhof endlich erreichte, blieb er auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen und versuchte, den Mut zum Hineingehen aufzubringen.Grelles Sonnenlicht umflutete ihn. Er hatte sich zwei weiße Hemden und einen hellgrauen Anzug mit dazugehöriger zweiter Hose gekauft, außerdem Zigaretten, einen Satz Spielkarten und ein Sturmfeuerzeug. Einen Teil der neuen Sachen hatte er direkt anbehalten, und der Mann im Laden hatte ihm für den Rest einen Pappkoffer verkauft. Jetzt stellte er den Koffer ab, fischte die Zigaretten aus der Tasche seiner neuen Hose, zündete sich mit dem neuen Feuerzeug eine an und wappnete sich für das Betreten des Bahnhofs.Es war das erste Mal, dass er selbst etwas zum Anziehen gekauft hatte. Schon komisch, dass er fähig gewesen war, zu tun, was er getan hatte, aber nicht wusste, wie man sich einkleidete. Sein Vater hatte ihm so viel Geld geschi Leseprobe