Beschreibung
Lars Tobiasson-Svartman ist Marineoffizier und Seevermessungsingenieur, ein Mann der Abstandmessung und des Abstandhaltens. Es ist die Zeit des Ersten Weltkriegs und er hat den militärischen Auftrag, in den Stockholmer Schären neue Fahrwasser auszuloten. Eines Tages trifft er auf einer der äußersten Schären eine einsam lebende Frau, Sara Fredrika. Es ist Liebe auf den ersten Blick. Doch bald geht sein Auftrag zu Ende, und zu Hause erwarten ihn seine Frau und ein geordnetes Heim. Um zu Sara Fredrika zurückkehren zu können, ersinnt er einen dreisten Betrug. Wie immer bei Mankell entwickelt die Geschichte einen unwiderstehlichen und unheimlichen Sog. Ein Mann zwischen zwei Frauen. Ein Mensch, der über Leichen geht, um ans Ziel seiner Wünsche zu gelangen. Ein Roman über die finsteren Abgründe der Seele und das Böse in uns.
Autorenportrait
Facebookseite von Henning Mankell (englisch)
Leseprobe
Er versuchte, sich den steigenden und sinkenden Bewegungen des Schiffs anzupassen. Er dachte an den Abend, an dem er im Wohnzimmer in der Wallingata über die Zeichnungen gebeugt saß. Da hatte eigentlich die Reise begonnen. Es war Ende Juli, die Hitze drückend, alle warteten auf den großen Krieg, der jetzt unausweichlich schien. Die Frage war nur, wann die ersten Schüsse abgefeuert werden würden, und von wem, auf wen. Die Depeschenbüros der Zeitungen füllten ihre Schaufenster mit hitzigen Berichten. Gerüchte kamen auf und wurden verbreitet, niemand wußte etwas Genaues, aber alle meinten, gerade sie hätten die richtigen Schlußfolgerungen gezogen. Über Europa flogen unsichtbare Telegramme zwischen Kaiser, Generälen und Ministern hin und her. Die Telegramme waren wie ein verirrter, aber gefährlicher Vogelschwarm. Auf dem Schreibtisch hatte ein Zeitungsausschnitt mit der Photographie des deutschen Schlachtkreuzers Goeben gelegen. Der Dreiundzwanzigtausend-Tonner war das schönste, aber auch das furchterregendste Schiff, das er je gesehen hatte. Seine Frau kam ins Zimmer und berührte behutsam seine Schulter. 'Es ist schon spät. Was ist denn so wichtig?' 'Ich studiere das Schiff, auf dem ich reisen werde. Da es für mich Zeit wird, an einen unbekannten Ort zu gehen.' Sie strich ihm immer noch über die Schulter. 'Unbekannter Ort? Mir mußt du doch sagen können, wohin du fährst?' 'Nein. Nicht einmal dir.' Die Finger tasteten über seine Schulter. Ihre Hand streifte den Stoff kaum. Trotzdem spürte er die Bewegung im tiefsten Innern. 'Was kannst du von all diesen Strichen und Zahlen ablesen? Ich kann nicht einmal erkennen, daß es ein Schiff ist.' 'Ich sehe gern das, was man nicht sehen kann.' 'Was ist das?' 'Die Idee. Das, was dahintersteckt. Der Wille vielleicht, der Ehrgeiz. Ich weiß es nicht sicher. Aber es gibt immer etwas dahinter, was man nicht sofort entdecken kann.' Sie seufzte ungeduldig. Sie hatte aufgehört, mit den Fingern über seine Schultern zu streichen, und begann statt dessen, ungeduldig mit dem Zeigefinger gegen sein Schlüsselbein zu trommeln. Er versuchte zu deuten, ob sie ihm eine Mitteilung schickte. Schließlich nahm sie die Hand weg. Er stellte sich vor, es sei ein Vogel, der aufflatterte. Ich sage nicht die Wahrheit, dachte er. Ich vermeide es, zu sagen, wie es ist. Daß ich nach einem Punkt an Deck suche, wo man mich von der Kommandobrücke aus nicht sehen kann. Was ich eigentlich suche, ist ein Versteck. Leseprobe