Beschreibung
Was bleibt in der Mitte des Lebens vom Leben übrig, wenn plötzlich alles Bisherige in Frage gestellt wird? Was bleibt, wenn sich in der Mitte des Lebens plötzlich ganz neue Möglichkeiten auftun, die alles Bisherige in Frage stellen? In seinem neuen Roman begleitet Michael Cunningham ein verheiratetes Paar durch eine Zeit voller Verlockungen und Ängste. Und wie in seinem pulitzerpreisgekröntem Roman 'Die Stunden' huldigt er dem Rätsel des Lebens, der Mannigfaltigkeit der Welt und der Kraft der Liebe. Peter und Rebecca Harris, Mittvierziger aus Soho, Manhattan, haben beide Karriere in der Kunstwelt gemacht: er als Galerist, sie als Herausgeberin einer Kunstzeitschrift. Sie sind wohlhabend, ihre Tochter geht auf ein College in Boston, sie haben einen großen, interessanten Freundeskreis - ja, sie gehören zu den 'happy few' und haben allen Grund, glücklich zu sein. Da kommt Rebeccas wesentlich jüngerer Bruder Ethan zu Besuch, der ihr verwirrend ähnlich sieht. Ethan wird allgemein nur Missy genannt, ein Kosewort für 'das Missgeschick ', weil seine Geburt alles andere als geplant war. Missy ist ein sehr gutaussehender und kluger junger Mann, aber er weiß nicht, was er aus seinem Leben machen soll und möchte mit Hilfe von Peter einmal die Welt der Kunst kennenlernen. Doch Missys Gegenwart verunsichert Peter zusehends; er hinterfragt plötzlich die Bedeutung seiner Künstler, den Wert seiner Arbeit und Karriere, seine Ehe - seine ganze sorgfältig aufgebaute Welt. Erst als er durch ein Fegefeuer der Versuchungen und Sinnkrisen gegangen ist, erkennt er, wie viel ihm sein bisheriges Leben, sein bisheriges Glück wirklich bedeuten.
Autorenportrait
Michael Cunningham wurde 1952 in Cincinnati, Ohio, geboren und wuchs in Pasadena, Kalifornien, auf. Er lebt heute in New York City und Provincetown und unterrichtet Creative Writing an der Columbia University. Sein Roman "Die Stunden" wurde vielfach preisgekrönt, u. a. mit dem Pulitzerpreis und dem PEN/Faulkner-Award, und wurde in 22 Sprachen übersetzt. Die überaus erfolgreiche Verfilmung "The Hours" mit Meryl Streep, Julianne Moore und Nicole Kidman wurde mit einem Oscar ausgezeichnet. "Die Schneekönigin" ist Michael Cunninghams sechster Roman.
Leseprobe
Eine Party Das Missgeschick wird kommen und eine Weile bleiben. 'Bist du sauer wegen Missy?', sagt Rebecca. 'Natürlich nicht', antwortet Peter. Eines der anachronistischen alten Pferde, die Touristenkutschen ziehen, ist irgendwo droben am Broadway von einem Auto erfasst worden, was den Verkehr bis runter zur Port Authority aufhielt, weshalb sich Peter und Rebecca verspäten. 'Vielleicht wird es Zeit, dass wir ihn Ethan nennen', sagt Rebecca. 'Wetten, dass ihn außer uns niemand mehr Missy nennt.' Missy ist die Kurzform von Missgeschick. Draußen trippeln Tauben über eine blau blinkende Sony-Reklame neben dem Taxi. Ein älterer bärtiger Mann in einem schmutzigen, bodenlangen Mantel, großartig auf seine Art (ein stattlicher und feister Buck Mulligan?), schiebt einen Einkaufswagen voll diverser Sachen in diversen Müllsäcken und kommt schneller voran als jedes Auto. Im Taxi ist die Luft schwer von einem starken Raumduft, der leicht blumig ist, aber eigentlich auf nichts anderes als eine chemische Verbindung hindeutet, die als 'süß' bezeichnet werden muss. 'Hat er dir gesagt, wie lange er bleiben will?', fragt Peter. 'Ich bin mir nicht sicher.' Ihre Augen werden sanft. Sich zu viele Sorgen um Missy (Ethan) zu machen ist eine Angewohnheit, die sie nicht loswird. Peter hakt nicht nach. Wer will mitten in einem Streit zu einer Party gehen? Er hat einen empfindlichen Magen, und ein Song geht ihm ständig durch den Kopf. I'm sailing away, set an open course for a virgin sea Woher kommt das denn? Er hat Styx seit dem College nicht mehr gehört. 'Wir sollten eine Grenze setzen', sagt er. Sie seufzt, legt ihre Hand leicht auf sein Knie, blickt aus dem Fenster auf die Eighth Avenue, auf der sie jetzt überhaupt nicht mehr weiterkommen. Rebecca ist eine Frau mit kräftigen Zügen - die oft als schön bezeichnet wird, aber nie als hübsch. Sie mag diese kleinen Gesten wahrnehmen, mit denen sie Peter wegen seiner Knickrigkeit tröstet, oder auch nicht. A gathering of angels appeared above my head. Peter dreht sich um und blickt ebenfalls aus dem Fenster. Die Autos auf der Fahrspur neben ihnen kriechen voran. Etwas leicht verbeultes, blaues Toyotahaftes voller junger Männer schiebt sich auf gleiche Höhe; ausgelassene Jungs in den Zwanzigern, die so laut Musik spielen, dass Peter spürt, wie das Wummern in den Rahmen des Taxis dringt, als sie näher kommen. Sechs, nein, sieben sind in das Auto gezwängt, und alle schreien oder singen unhörbar; stramme Jungs, für den Samstagabend aufgebrezelt, die Haare zu Zacken gegelt, hier und da blitzen Piercings oder Ketten auf, wenn sie miteinander rangeln oder Kopfnüsse verteilen. Der Verkehr auf ihrer Spur wird schneller, und als sie vorbeiziehen, sieht Peter, meint er zu sehen, dass einer von ihnen, einer der vier, die auf dem Rücksitz herumtoben, ein alter Mann ist, der offenbar eine schwarze Stachelperücke trägt, mit den anderen schäkert und schreit, aber schmale Lippen und hohle Wangen hat. Er rubbelt den Kopf des Jungen, der neben ihm klemmt, schreit ihm ins Ohr (funkeln da Zahnverblendungen?), und dann sind sie weg, bewegen sich mit dem Verkehr. Kurz darauf ist die Soundwolke mit ihnen davongezogen. Jetzt bietet der braune Kasten eines Lieferwagens in blankem Gold den flügelfüßigen Gott von FTD dar. Blumen. Jemand bekommt Blumen. Peter wendet sich wieder Rebecca zu. Ein alter Mann im Jungmännerfummel ist etwas, das man gemeinsam bemerken muss; es ist eigentlich keine Geschichte, die man ihr erzählen kann, oder? Außerdem, sind sie nicht gereizt und mitten in einem sich anbahnenden Streit? Wenn man lange verheiratet ist, lernt man, eine Vielzahl verschiedener Stimmungen und Witterungen zu erkennen. Rebecca hat gespürt, dass Peter sich vom Fenster abgewandt hat. Sie schaut ihn verdutzt an, als hätte sie gar nicht erwartet, ihn zu sehen. Wenn er vor ihr stirbt, wird sie dann seine körperlose Präsenz in einem Raum spüren können? 'Keine Sorge', sagt er. 'Wir werden ihn nicht au