Beschreibung
Die beiden vorliegenden Beiträge sind im Rahmen der Luther-Vorträge im Reformationsjahr 2017 in der Evangelischen Stadtakademie Bochum gehalten worden. Sie stießen auf ein so großes Interesse, dass sie in der Reihe Evangelische Perspektiven veröffentlicht werden. Der Autor konnte dabei zurückgreifen auf ältere Veröffentlichungen, die aber inhaltlich entscheidend erweitert wurden. Der zweite Vortrag greift in die auch aktuell wieder geführte Diskussion um die Mitverantwortung Luthers für den nationalsozialistischen Holocaust ein. Günter Brakelmann kommt es zentral darauf an, dass man klar den christlichen Antisemitismus unterscheidet von dem Rassenantisemitismus, der die ideologische Grundlage für die physische Vernichtung der Juden war. ,Es ist nicht zu bestreiten, dass große Teile des Protestantismus im 19. und 20. Jahrhundert durch ihren politischen und kulturellen Antisemitismus, häufig gepaart mit dem religiösen Antijudaismus, die NS-Verfolgung der Juden argumentativ und psychologisch mit vorbereitet haben. Aber nirgends - bei keinem Theologen oder einer kirchlichen Gruppe - findet sich im Kaiserreich oder in der Weimarer Republik ein Rassenantisemitismus, der die ideologische Begründung für die physische Vernichtung der Juden abgibt.´ Eine heute wieder zu hörende Ahnenreihe von Luther über Hitler zum Holocaust kann ohne weiteres nicht konstruiert werden. In dieser klaren Unterscheidung wird aber auch deutlich, dass der Protestantismus eine Mitverantwortung für die nationalsozialistische Judenpolitik hat. Das Verschränkungsverhältnis von Protestantismus und Drittem Reich wird klar herausgearbeitet. Die evangelische Kirche in ihrer Gesamtheit hat nie ein deutliches Wort weder gegen den fortschreitenden Entzug der Rechte noch gegen die folgenden NS-Verbrechen gesagt. Nur einzelne Pfarrer und evangelische Laien haben das Schweigen ihrer Kirche durchbrochen. Für diese kritische Unterscheidung, die sowohl für unser Luther-Bild Bedeutung hat wie auch die für die bleibende Mitverantwortung der Kirche bis zum notwendigen Widerstand gegen jede Form des erneut offen zu Tage tretenden Antisemitismus, dankt die Evangelische Stadtakademie Bochum ihrem Referenten Günter Brakelmann.
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Autorenportrait
Günter Brakelmann wurde am 3. September 1931 in Bochum geboren. Er studierte evangelische Theologie, Sozial- und Geschichtswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster. Nach seiner Promotion 1959 wurde Brakelmann zunächst Berufsschul- und Studentenpfarrer in Siegen. Von 1962 bis 1968 war er Dozent an der Evangelischen Sozialakademie in Friedewald. 1967 wurde er Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Christliche Gesellschaftslehre der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster, bevor er 1970 zum Direktor der Evangelischen Akademie Berlin berufen wurde. 1972 nahm er einen Ruf auf den Lehrstuhl für Christliche Gesellschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum an, auf dem er bis zu seiner Emeritierung 1996 blieb. Von 1980 bis 1996 war er Direktor des Sozialwissenschaftlichen Instituts (SWI) der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), das bis 2004 in Bochum angesiedelt war. Darüber hinaus war er tätig in verschiedenen Gremien der Westfälischen Landeskirche und in der Evangelischen Kirche in Deutschland, u.a. in der Kammer der EKD für Öffentliche Verantwortung als langjähriger Vorsitzender des überparteilichen Arbeitskreises Sicherung des Friedens. Er war Mitglied im Aufsichtsrat von Thyssen-Krupp, Salzgitter Stahl und Peiner Träger sowie im Aufsichtsrat des Westdeutschen Rundfunks und des Programmbeirats für das Erste Deutsche Fernsehen; er war berufenes Mitglied der Unabhängigen Kommission für die künftigen Aufgaben der Bundeswehr im Verteidigungsministeriums. Über die Zeit seiner Emeritierung hinaus liegen seine Forschungsschwerpunkte bei Martin Luther als reformatorischem Theologen und dessen Wirkungsgeschichte in der deutschen National- und Kirchengeschichte, in der Geschichte des Antisemitismus, der Geschichte des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus und des Verhaltens des deutschen Protestantismus insbesondere der Synode Bochum in der Zeit der beiden Weltkriege. Im Jahr 2000 wurde Günter Brakelmann mit dem Hans-Ehrenberg-Preis ausgezeichnet. Seit 1957 ist er Mitglied der SPD.