Beschreibung
Vom Leid, dem Mut und der Würde afghanischer FrauenDie deutsch-iranische Filmemacherin Siba Shakib trifft in einem afghanischen Flüchtlingslager auf Shirin-Gol. Zunächst sieht sie nur den blauen Ganzkörperschleier, hinter dem die Frauen ihren Körper verstecken müssen. Doch im Gespräch mit Shirin-Gol spürt sie eine mitreißende Kraft. Shirin-Gol erzählt ihre Geschichte, die die Geschichte Tausender afghanischer Frauen ist. Sie spricht vom Leben im höllischen Paradies, als neuntes Kind in einem abgelegenen Bergdorf geboren. Jahrhunderte alte Traditionen bestimmen ihren Weg, der geprägt ist von Armut, Glaube, Unwissenheit und der Enge des islamischen Frauenbildes.
Leserstimmen:
»Ein Buch das aufwühlt,den Leser teilhaben lässt am Schicksal einer großartigen Frau und ihrer Familie,immer auf der Flucht und stets voller Hoffnung auf ein besseres Leben. Ein Buch, dass viele Fragen stellt, fesselt und niemanden unberührt lassen kann, der über den Tellerrand unseres Lebens im Wohlstand blicken möchte.Unbedingt lesen.«
»Ich habe selten so ein gutes Buch gelesen. Wir können miterleben wie andere Kulturen zu Frauen sind und wie schwierig ein Leben außerhalb unserer "goldenen Mauer" Europas sein kann. Sehr zu empfehlen. Man will nicht mehr aufhören zu lesen.«
»Die Art, wie die Menschen beschrieben werden, lässt sie fast bildlich vor einem erscheinen. Aber auch das ganze Elend des afghanischen Volkes wird so deutlich, dass am Ende nicht nur Gott darüber weint (wie im Titel) auch ich musste so manches Mal einfach nur noch heulen.«
Autorenportrait
Siba Shakib wurde im Iran geboren, wuchs in Teheran auf und besuchte dort die deutsche Schule. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Autorin und Filmemacherin. Ihr erstes Buch »Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen« war Nummer 1 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde in 16 Länder verkauft. Sie lebt abwechselnd in Deutschland, New York und Italien.
Leseprobe
Eine süße Blume und eine Muttermalschwester
In Afghanistan hat fast jeder Name eine Bedeutung. Shirin-Gol heißt Süße Blume. Zu behaupten, in dem Moment ihrer Geburt habe ihre Mutter eine süße Blume gesehen, den süßen Duft einer Blume gerochen oder gar an eine süße Blume gedacht, wäre erfunden und nichts als reine Sozialromantik verwestlichter Fantasie.
Wahrscheinlich hat Shirin-Gols Mutter, wie alle Mütter dieser Welt, bei der Geburt ihrer fünften Tochter, ihres neunten Kindes, große Schmerzen durchgestanden, und wahrscheinlich hat sie sich in diesem Moment überlegt, wie sie mit ihrem ohnehin geschwächten Körper und schlaffen Brüsten noch ein weiteres Kind stillen soll. Und wahrscheinlich ist sie froh gewesen, als sie das Kind aus ihrem Körper gezogen und gesehen hat, dass es nur ein Mädchen ist, denn wäre Shirin-Gol ein Junge gewesen, hätte er noch mehr Milch gebraucht, noch mehr Aufmerksamkeit. Die Mutter hätte ihn öfter auf dem Arm tragen müssen, sie hätte ein Fest zu seiner Geburt geben und ein Schaf schlachten, Geld für seine Beschneidung auftreiben und ihn zum Mullah schicken müssen, damit er den Koran lernt.
Nein, Allah ist gütig und hat ihr dieses Mal nur eine Tochter geschickt.
Genau genommen ist der Herrgott immer gütig gewesen zu Shirin-Gols Mutter. Er hat ihr als erstes Kind einen Sohn in den Bauch gelegt, sodass ihr Mann sich wie ein echter Mann fühlen konnte, ihr weder die Zähne ausschlagen noch sich von ihr scheiden lassen oder sie in ihr Vaterhaus zurückbringen musste.
Zur Sicherheit und damit alles bleibt, wie es ist, hat Gott ihr nach dem ersten gleich wieder einen Jungen geschickt. Und auch das dritte Kind ist ein Sohn.
Dann hat der Herrgott auch mal an Shirin-Gols Mutter gedacht und ihr dreimal hintereinander Töchter geschickt. So hat sie endlich Hilfe bekommen, bei der vielen Arbeit mit dem Ehemann und den drei Söhnen, dem Feldbestellen, Brotbacken, Kleidernähen, Schafehüten, Kühemelken, Essenkochen, Teppichknüpfen und was sonst noch an Arbeit anfällt.
Die nächsten beiden Kinder werden wieder Jungen, für jeden von ihnen schlachtet Shirin-Gols Vater ein Schaf, jeder der beiden muss beschnitten werden, aber zumindest müssen diese beiden nicht zum Mullah, weil ja schon die ersten drei Söhne der Familie den Koran gelernt haben.
Und im Jahr nach den beiden nicht mehr so wichtigen Brüdern kommt schließlich Shirin-Gol auf die Welt. Für den Vater ist das weder gut noch schlecht. Für die Mutter ist es gut.
Shirin-Gol ist ein ruhiges Kind, und sie hat es gut im Leben. Die meiste Zeit ihres Kleinmädchenlebens lassen alle sie in Ruhe. Sie sitzt im Schatten an der Ecke der Lehmhütte auf dem sandigen Boden, sieht zu, wie die Mutter und der Vater, die älteren Brüder und Schwestern das kleine Feld bestellen, die wenigen Schafe melken, den Esel tränken, den Staub aus der Hütte fegen, Teppiche knüpfen, Essen herbeischaffen, Brot backen, das Überleben der Familie jeden Tag und irgendwie von neuem hinbekommen.
Shirin-Gol wird von der Schwester mit dem Muttermal auf der Wange jeden Morgen an die Ecke gesetzt, bekommt ein Stück Brot in die Hand, hat keine andere Aufgabe, als sich möglichst ruhig zu verhalten, einfach nur zuzusehen, zu begreifen, worauf es im Leben eines Mädchens ankommt: nicht auffallen, arbeiten und den Befehlen der Jungen und Männer folgen.
Erst als sie etwa zwei Jahre alt ist, erhebt Shirin-Gol sich zum ersten Mal allein, kommt aus ihrer Ecke vor der Hütte, macht ein paar Schritte, geht zur Muttermalschwester, die vor der Hütte hockt und Wäsche wäscht, hockt sich neben sie, planscht mit ihrer kleinen Hand in der Seifenlauge herum, bekommt eine auf die Finger, pinkelt auf den Boden, wird von der Muttermalschwester wieder an ihren Platz getragen und hingesetzt.
Alles das sieht der Herrgott und erinnert sich in diesem Moment wieder an Shirin-Gols Mutter, und es fällt ihm auf, dass er zwei Jahre lang vergessen hat, Shirin- die Zwillinge verstummen, torkeln beide verängstigt zu ihrer Schwester, vergraben die Köpfe in ihre Kleinmädchenröcke. Die Mutter blickt erschrocken auf, die älteren Brüder rennen vom Feld zurück, die älteren Schwestern kreischen, der Vater macht eine besorgte Miene und sagt, mehr zu sich selber, dann stimmt es also doch. Die Russen sind da.
Die Russen? Wer sind die Russen? Unsere Nachbarn? Warum sind sie gekommen? Was wollen sie von uns? Wir haben doch selber nichts, sagt die Mutter mit hoher und lauter Stimme.
Der Vater sieht seine Söhne an und sagt, wir müssen in die Berge. Früher haben die Engländer unser Land besetzt und über unser Schicksal bestimmt, jetzt versuchen es die Russen. Früher haben die Engländer ein Auge auf unsere Frauen und Töchter geworfen, jetzt sind es die Russen. Früher haben die Engländer unser Land und unsere Religion entehrt und beschmutzt, uns entmündigt und entmachtet, unsere Freiheit geraubt und den Boden unserer Heimat verunreinigt, jetzt sind es die Russen. Wir haben keinen anderen Weg, es ist Zeit, dass auch wir uns den Mujahedin anschließen, gegen die Russen in den Krieg ziehen und, wenn es sein muss, bis zum letzten Tropfen unseres Blutes gegen sie kämpfen.
Bis zum letzten Tropfen.
Das sind die letzten Vaterworte, an die Shirin-Gol sich erinnert, der Vater reiht sich mit den älteren Brüdern auf, betet, gibt jedem der Brüder ein Gewehr und Munition, verschwindet aus Shirin-Gols Leben und der Lehmhütte und hinterlässt eine Menge Platz. Zum Essen, zum Sitzen, zum Zwillingeaufpassen, zum Läuse-aus-den-Haaren-der-Zwillinge-Pulen, zum Wollespinnen, zum Kleidernähen, zum Teppichknüpfen, zum Zuckerkleinhacken, zum Kornmahlen, zum Zusammensitzen und Reden über den Krieg, die Verletzten, die Toten, die Russen, zum Ausbreiten der Schlafmatten und Decken in der Nacht.
Shirin-Gol und die Zwillinge schlafen fortan nicht mehr in der Ecke hinter der Feuerstelle im Boden, bekommen mehr zu essen und dürfen mehr reden. Nur noch die Schüsse, Raketeneinschläge und Bombenexplosionen in den Bergen erinnern an die Brüder und den Vater, die nur noch gelegentlich auftauchen, kurz bleiben und gleich wieder verschwinden.
Shirin-Gol sammelt gerade auf dem Feld die letzten mickrigen katchalou, Kartoffeln, ein, da geht ein Mann hastig an ihr vorbei. Er trägt einen anderen Mann auf der Schulter, der über und über voll ist mit Blut. Der mit dem Blutigen über der Schulter bleibt stehen und dreht sich zu ihr herum. Sie erkennt, dass es einer ihrer älteren Brüder ist, und lächelt. Der Bruder lächelt nicht zurück, fragt, warum trägst du kein Kopftuch?, geht weiter und verschwindet hinter der Lehmhütte.
Shirin-Gols Mutter kommt aus der Hütte, ohne die Farbe in ihrem Gesicht. Madar. Mutter.
Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht steht vor der Hütte, hält mit beiden Händen den Wasserkrug aus Ton vor ihren Bauch und sagt viele kleine Worte, die Shirin-Gol nicht hören kann, weil Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht auch ihre Stimme verloren hat.
Shirin-Gol steht da, starrt Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht-und-ohne-Stimme-im-Mund an. Gerade überlegt Shirin-Gol, wer die Farbe aus dem Gesicht von madar und die Stimme aus ihrem Mund geklaut hat, ob es der Blutige gewesen ist oder ob madar selber sie in die Nische gelegt und vergessen hat, sie mit hinauszubringen. Gerade überlegt Shirin-Gol, da haut Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht-und-ohne-Stimme-im-Mund den Wasserkrug aus Ton auf die Erde, dass er bricht und zu tausendundein kleinen Scherben aus Ton wird.
Farbe weg. Stimme weg. Wasserkrug weg.
Shirin-Gol nimmt die Zwillinge an die Hand, dreht sich um, ohne Madar-ohne-Farbe-im-Gesicht-und-ohne-Stimme-im-Mund-und-ohne-Wasserkrug-aus-Ton-in-der-Hand noch mal anzusehen und geht zurück ins Feld zu den mickrigen katchalou, die unter der Erde sind und es gut haben, weil es dort kühl ist und weil dort keine Mutter ist, die Wasserkrüge aus Ton zerbricht.
Nachts kommen noch mehr Männer, bekannte und unbekannte, der Vater und
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