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Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen

Die Geschichte der Shirin-Gol

Erschienen am 01.05.2003
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783442455157
Sprache: Deutsch
Umfang: 320 S.
Format (T/L/B): 2.1 x 18.4 x 11.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Auf einer ihrer zahlreichen Reisen nach Afghanistan, dem Land unter dem Hindukusch, begegnet die Dokumentarfilmerin Siba Shakib in einem Flüchtlingslager Shirin-Gol. Sie ist spontan gefesselt von der Kraft und Ausstrahlung dieser Frau, die ihr ihr Leben erzählt - ein Leben, das exemplarisch ist für das Schicksal Tausender afghanischer Frauen. Als Shirin-Gol in einem abgelegenen Bergdorf Afghanistans geboren wird, scheint der Gleichklang ihrer Welt, eingebettet in jahrhundertealte Traditionen, ungestört. Die "Süße Blume", so die Bedeutung ihres Namens, wächst auf in Armut, Korangläubigkeit und Enge des islamischen Frauenbildes. Doch dann marschieren die Russen in Afghanistan ein, und Shirin-Gols Vater und ihre Brüder ziehen sich in die Berge zurück, um Widerstand zu leisten. Ihre Schwestern aber legen den Schleier ab und verführen russische Soldaten, aber nur, um sie zu ermorden. Verstört kehren sie zurück aus einer Welt, die Shirin-Gol nicht begreift. Aber dann fliehen die Frauen nach Kabul. Hier entdeckt Shirin-Gol eine Freiheit, deren Zauber sie nie mehr vergessen wird und aus der sie die innere Stärke für alles Kommende bezieht - für den Mann, dem sie vom Bruder als Ausgleich für Spielschulden zur Frau gegeben wird, für Verfolgung, Vergewaltigung und Flucht vor dem Taleban-Regime. Immer wieder sucht sie für ihre Familie einen Ort, der ein bisschen Geborgenheit, ein bisschen Wärme und einen Schimmer vom Glück, das Leben heißt, verspricht.

Autorenportrait

Siba Shakib wurde im Iran geboren, wuchs in Teheran auf und besuchte dort die deutsche Schule. Seit vielen Jahren arbeitet sie als Autorin und Filmemacherin. Ihr erstes Buch »Nach Afghanistan kommt Gott nur noch zum Weinen« war Nummer 1 der Spiegel-Bestsellerliste und wurde in 16 Länder verkauft. Sie lebt abwechselnd in Deutschland, New York und Italien.

Leseprobe

Wie es dazu kam Wie heißt du? ShirinGol. Ist das dein Kind? Bale. Ja. Und das da? Bale. Das etwa auch? Bale. Die beiden Jungen da? Willst du sagen, das sind Brüder? Ja. Meine Söhne, Navid und Nabi. Ich habe sie selber geboren. Der Beamte Malek bleibt skeptisch, haut seinen Stempel trotzdem auf das dünne Papier, das von dem stundenlangen Schweiß aus Shirin-Gols Händen feucht und labberig geworden ist. Geh da hinten hin, befiehlt Malek und macht sich wichtig. Zeig meinen Kollegen dort diesen Zettel, sag ihnen, Herr Malek schickt dich, dann wird es keine Probleme geben, und du bekommst deine Weizensäcke. Einen für deinen Mann, einen für dich selber und einen für jedes deiner Kinder. Verstanden? Jeweils einen Sack. Das Gesicht der Frau ist vollkommen verschleiert, das feine Netz vor ihren Augen ist zu dicht, um auch nur den leisesten Eindruck von ihren Augen zu bekommen. Doch trotz ihrer Gesichtslosigkeit sind ihre Wut, ihre Scham, das Gefühl der Erniedrigung genau zu spüren. Auch wenn ich nicht weiß, ob sie mich ansieht, lächle ich, bringe meine Sympathie zum Ausdruck. Sie soll wissen, dass ich mich nicht mit Malek, sondern mit ihr verbunden fühle. Hast du das gesehen?, fragt Malek, als wären wir alte Freunde oder verwandt oder verschwägert. Er tut, als seien wir Verbündete, Vertraute. Er und ich auf der einen Seite und die Menschen um uns herum auf der anderen Seite. Ich mache einen Schritt zurück, sehe ihn nicht an. Malek weiß genau, dass er einfach nur Glück gehabt hat, nicht auf der anderen Seite des Schicksals zu stehen, da, wo er auf den Weizen hoffen muss. Da, wo er einen Stempel braucht, eine Genehmigung, die Gnade eines Landsmannes. Dieses Mal. Dieses Mal hat er Glück. Dieses Mal hat er Arbeit und gehört damit zu einer Hand voll Privilegierter. Seit die Vereinten Nationen dieses Übergangslager für afghanische Rückkehrer aus dem Iran eingerichtet haben, verdient er jeden Monat umgerechnet ungefähr 6O Dollar und kann damit seine eigene Familie und die seines Bruders ernähren. Zumal mindestens einmal in der Woche der eine oder andere Sack Weizen, der den Heimkehrern die Rückkehr erleichtern soll, seinen eigentlichen Besitzer nicht findet und Malek ihn für gutes Geld verkauft. Hast du das gesehen?, wiederholt er mit Wichtigstimme. Ja, sage ich trocken, tue, als würde mich das Schicksal von Shirin-Gol, der Frau mit dem feuchten Zettel und den vier Kindern, die aussehen, als wären sie von unterschiedlichen Müttern und Vätern, nicht interessieren. Malek ist enttäuscht, sein lüsterner Blick weicht einem fast kindlichen Trotz. Ich kann mir schon vorstellen, worüber Malek sich gerne mit mir unterhalten hätte, während seine Landsleute in einer endlos langen Schlange auf dem sandigen Boden in der prallen Sonne hocken und darauf warten, von ihm den Stempel zu bekommen. Wahrscheinlich will er mir erklären, dass Shirin-Gol sich die Kinder nur ausgeliehen hat, um mehr Weizen zu bekommen, als ihr zusteht. Anschließend wird sie die Armen auf der Straße aussetzen, und er, Malek, wird sie dann aufsammeln und zusehen müssen, wo er sie unterbringt. Oder er wird mir erzählen, Shirin-Gol habe, wie viele andere afghanische Frauen auch, ihren Körper verkauft und sich von unterschiedlichen Männern schwängern lassen. Herr Malek, komme ich ihm zuvor, bitte entschuldigen Sie mich. Mir ist es hier zu heiß und zu windig, ich werde mir einen schattigen Platz suchen. Vielen Dank, dass Sie mir erlaubt haben, Ihnen bei der Arbeit zusehen zu dürfen. Sie haben doch noch gar nichts gesehen, protestiert Malek. Ich komme später wieder, lüge ich und verschwinde zwischen den blauen Plastikzelten. Ich will nicht, dass Malek mitbekommt, wo ich bin und mit wem ich spreche. Es ist, wie ich befürchtet hatte. Von den Kindern, die aussehen, als wären sie von unterschiedlichen Müttern und Vätern, fehlt weit und breit jede Spur, und ich habe mir Shirin-Gols Schuhe nicht angesehen. Die Schuhe der Frauen sind das einzige Erkennungsmerkmal. Ein blau Leseprobe