Beschreibung
Den Fluchtpunkt der Diskussion über Macht und Ohnmacht der Sprache bildet die Frage nach dem Verhältnis des Menschen zur Sprache. Worin gründet das Bedürfnis nach Symbolisierung, wieso bedarf der Mensch der Kommunikation mit anderen, welchen Zweck erfüllt das Sprechen in der menschlichen Lebensform? Was bedeutet vor diesem Hintergrund die Erfahrung der Ohnmacht der Sprache, des Entzugs der Sprache und der Konfrontation mit dem Nichtsagbaren? Inwiefern liegt im Unvermögen zur Sprache ein existentielles Defizit?
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Autorenportrait
Emil Angehrn, geb. 1946, seit 1991 Professor für Philosophie an der Universität Basel. 2000-2004 Mitglied des Forschungsrats des Schweizerischen Nationalfonds 2004-2007 Dekan/Prodekan der Philosophisch-Historischen Fakultät. Bei Velbrück Wissenschaft hat er veröffentlicht: Der Weg zur Metaphysik. Vorsokratik, Platon, Aristoteles, 2000; Interpretation und Dekonstruktion. Untersuchungen zur Hermeneutik, 2003; (Hg. mit Ch. Iber u.a.) Der Sinn der Zeit, 2002); (Hg. mit J. Küchenhoff ) Die Vermessung der Seele. Konzepte des Selbst in Philosophie und Psychoanalyse, 2009. Joachim Küchenhoff, geb. 1953, ist Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Basel und Leitender Arzt der Universitären Psychiatrischen Kliniken. Bei Velbrück Wissenschaft hat er veröffentlicht: Die Achtung vor dem Anderen. Psychoanalyse und Kulturwissenschaften im Dialog, 2005; (Hg. mit E. Angehrn): Die Vermessung der Seele. Konzepte des Selbst in Philosophie und Psychoanalyse, 2009.
Leseprobe
Sprache ist für den Menschen das Grundlegendste und zugleich das Höchste; ihre Erörterung umfasst das Ganze des menschlichen Seins. Sie ist unhintergehbar und unüberschreitbar, der Mensch kann nicht aus ihrem Raum heraustreten, weder hinter sie zurück noch über sie hinaus gelangen. Doch in welcher Weise der Mensch in der Sprache lebt und was die Sprache selbst ist, bleibt undeutlich und dunkel. Seit je hat philosophische Reflexion die Frage nach dem Sein und der Funktionsweise der Sprache gestellt. Sprachursprungstheorien haben das Faszinosum der Sprache von ihrer Entstehung her zu erhellen versucht. Empirische Forschungen von der Evolutionsbiologie bis zur Linguistik haben vielfältigste Facetten des ebenso komplexen wie umgreifenden Phänomens untersucht. In diesem Komplex gehen die hier vorgelegten Untersuchungen einer spezifischen Fragestellung nach: dem Spannungsverhältnis zwischen dem, was Sprache kann und leistet, und ihrem Unvermögen, ihren Grenzen. Beides ist für den menschlichen Umgang mit Sprache gleichermaßen signifikant, und beides ist aufklärungsbedürftig. Macht und Ohnmacht der Sprache werden lebensweltlich erfahren und gehen, je für sich wie in ihrer Beziehung, in das theoretische Bild der Sprache ein. Dabei sind beide Seiten je für sich vielschichtig, wie auch ihr Verhältnis nicht auf einen einfachen Begriff zu bringen ist. Vielfältig sind auf der einen Seite die Fähigkeiten und Potentiale, die im Sprechen aktualisiert werden. Sie artikulieren sich im Theoretischen wie im Praktischen. Sprache ist Medium der Erkenntnis und Darstellung, der Hervorbringung und Gestaltung der Welt, der Interaktion und Kommunikation mit anderen, der Sinnstiftung und des Verstehens. Sprechend beziehen wir uns auf die Dinge, auf andere Menschen und auf uns selbst; über Sprache dringen wir forschend in die Welt ein, sprechend vollziehen wir Handlungen, konstruieren wir Geschichten und begründen Institutionen, im Gespräch verständigen wir uns mit Fremden. Fast alles, was der Mensch tut, vermag er durch die Sprache. Sie scheint alles zu umfassen, nichts scheint ihr entzogen. Indessen bildet die Erfahrung der Grenzen einen ebenso grundlegenden Aspekt im Sprechen des Menschen. Sie kommt ihrerseits in unterschiedlichen Bezügen zur Geltung. Beschränkt ist das Vermögen des Erkennens und Sagens ebenso wie die Macht des Tuns und Bewirkens. Das Sprechen stößt auf das Unvermögen in sich selbst wie auf die äußere Widerständigkeit dessen, was sich ihm entzieht. Grundsätzlich haben wir mit Grenzen von zweierlei Art zu tun, einerseits mit Grenzen innerhalb des Sprachlichen, andererseits mit Grenzen der Sprache als solcher. Im ersten Fall geht es darum, dass bestimmte Formen und Instanzen der Sprache in sich begrenzt sind, gegen welche dann andere Figuren und Potentiale des Sprechens ins Spiel gebracht werden, die jene Grenzen zu transzendieren beanspruchen: die Metapher gegen den Begriff, die Erzählung gegen den argumentativen Diskurs, der spekulative Satz gegen die Proposition, das lebendige Gespräch gegen die tote Schrift. Es sind Weisen, sich mit Mitteln der Sprache an Grenzen der Sprache abzuarbeiten, und darin zugleich Formen einer indirekten Erweiterung und Potenzierung der Sprache. Im anderen Fall geht es um die Grenzen des Sprachlichen als solchen. Hier geht es darum, dass nicht nur sprachlich vermittelte Effekte - jemanden beeinflussen, ein Verhalten regulieren ebenso auf anderem Wege erzeugt werden können, sondern dass auch die genuine, eigenste Leistung der Sprache, Sinn zu bilden und etwas zu verstehen zu geben, außerhalb der Sprache stattfinden kann. Wir erfassen die Bedeutung eines Gesichtsausdrucks, wir sprechen mit Gesten, wir spüren eine emotionale Gestimmtheit; kulturelle Schöpfungen gestalten Verstehbares in nicht-sprachlichen Formen, in bildender Kunst, im Ritual und Tanz. Die zentrale Frage ist, wieweit der Sprache mit Bezug auf Sinn und Verstehen eine privilegierte Stellung zukommt. Ist Sprache unter den Medien des Hervorbringens und Erlebens von Sinn nur eine Instanz neben anderen - oder ist sie Ursprung und Fundament, Mittelpunkt und Horizont der Sinnhaftigkeit unserer Existenz? Die vielschichtigen Implikationen dieser Frage werden im Gespräch zwischen zwei Disziplinen verhandelt, für die sie einen gleichermaßen zentralen Stellenwert besitzt und die je eigene, profilierte Konzepte zu ihr entwickelt haben. Wenn die Psychoanalyse spezielle logische, lebensweltliche und performative Aspekte des Sprechens in den Vordergrund rückt, wenn sie die Kraft, aber auch den Entzug der Sprache in einer besonderen intersubjektiven Situation hervortreten lässt, so stellt sich die Frage, wieweit sie darin eine Wahrheit über die Sprache zum Ausdruck bringt, die auch von der philosophischen Sprachreflexion zu bedenken ist. Gerade die Auseinandersetzung um die Macht wie die Grenzen der Sprache bietet einen privilegierten Ort, um das Verhältnis von Philosophie und Psychoanalyse als solches zur Diskussion zu stellen. (Aus der Einleitung)