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Grundgesetz 2030

Modernisierungsvorschläge für eine Erhaltungssanierung, Olzog-Edition

Erschienen am 23.06.2021, 1. Auflage 2024
15,00 €
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Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783957682314
Sprache: Deutsch
Umfang: 116 S.
Format (T/L/B): 0.8 x 21.8 x 13.8 cm
Einband: kartoniertes Buch

Beschreibung

Nicht selten haben technische Neuerungen in der Menschheitsgeschichte Epochenbrüche verursacht. Hatten sich in einem alten System unbeachtete Kräfte aufgestaut, dann genügte oft ein einzelner Auslöser, um ihre Veränderungsenergie für sehr weitreichende Umbrüche wirkmächtig werden zu lassen. Aus heutiger Sicht spricht vieles dafür, dass der Aufruf zur globalen Pandemiebekämpfung im März 2020 ein Augenblick war, in dessen Folge zuvor noch unterschätzte Effekte insbesondere der Digitalisierung sich endgültig Bahn brachen. Menschliches Interagieren wird sich insgesamt wesentlich ändern. Der jetzt beginnende historische Abschnitt dürfte namentlich eine rund dreißigjährige Phase des Postkommunismus beenden. Dafür spricht, dass sich weltweit unübersehbar koordinierte Akteure anschicken, ein neues Kapitel der Menschheit planvoll zu gestalten. Die allgegenwärtigen strukturellen Verwerfungen des Jahres 2020 mussten zwangsläufig auch das deutsche Verfassungsrecht erfassen. Im Ausnahmezustand der kollektiven Gefahrenabwehr erlebte seine gewalten­geteilte Staatsorganisation dabei ihre dunkelste Stunde. Und selbst der Judikative geriet das vormals eherne Verhältnismäßigkeitsprinzip als Grenze aller Grundrechtsverkürzungen aus dem Blick. Die Idee, Modernisierungsvorschläge für die deutsche Staatsverfassung just in dem Moment vorzulegen, in dem sich Kräfte zu ihrer Dekonstruktion besonders geballt sammeln, scheint auf den ersten Blick eher abwegig. Historische Empirie zeigt indes, dass große Sprünge und Umbrüche umso wahrscheinlicher fehlgehen, je ambitionierter ihre Planung ausgefallen war. Die Fortbildungs- und Verbesserungsvorschläge für ein 'Grundgesetz 2030' sind daher eine Art behutsame Sorgfaltsmaßnahme, um auch für eine etwaige konstitutionelle Sanierung im Kleinen gewappnet zu sein. Denn sollte der Plan einer unitären Weltregierung scheitern, gälte es wohl, eine verfassungsrechtliche Erfolgsgeschichte von fast 72 Jahren - mit nun allerdings mehr Resilienz - fortzuschreiben.

Autorenportrait

Carlos A. Gebauer (* 1964 in Düsseldorf) ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Medizinrecht und Publizist. Er studierte Philosophie, Neuere Geschichte, Sprach-, Rechts- und Musikwissenschaften in Düsseldorf, Bayreuth und Bonn. Sein Interesse für das Medizinrecht führte ihn bereits während seiner Referendarzeit in die Spezialkammer für das Kassenarztrecht bei dem Sozialgericht Düsseldorf. Darüber hinaus versah er einen Teil seines juristischen Vorbereitungsdienstes bei der Landesmedienanstalt NRW (damals noch: Landesanstalt für Rundfunk). Seit 1994 ist er als Rechtsanwalt zugelassen und arbeitet insbesondere auf den Gebieten des Versicherungs- und Krankenhausrechtes. Von 1995 bis 2007 war er zusätzlich als amtlich bestellter Notarvertreter tätig und seit 2003 verrichtet er Dienst als Anwaltsrichter. In den Jahren 2002 bis 2010 absolvierte er ein bezahltes Praktikum zu der Frage, wie Fernsehsendungen produziert werden bei den Sendern RTL und SAT1.

Leseprobe

Vorwort Am 23.Mai 1949 hatten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates in Bonn ihre Arbeit an einem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland fertiggestellt. Sie handelten dabei unter der Annahme, eine Art provisorische Verfassung zu schaffen. Das Grundgesetz ­sollte für die von den westalliierten Siegermächten besetzten drei Zonen Deutschlands gelten. Die von der Sowjetunion besetze 'Ostzone' beteiligte sich nicht an diesem Verfassungskonvent und setzte statt dessen ein knappes halbes Jahr später einen eigenen Verfassungstext für die Deutsche Demokratische Republik in Geltung. Hätte man den damals in Bonn Beteiligten gesagt, dass ihr Verfassungswerk auch im Jahre 2021 mit seinen wesentlichen Grundzügen noch in Geltung stehen werde, würde sie dies mit einiger Wahrscheinlichkeit erstaunt haben. Denn die Geschichte Deutschlands und Europas in der Zeit vor dem Jahr 1949 hatte kaum Staaten gesehen, deren Verfassungsordnung dem Leben der Menschen derart stabil und verlässlich über Jahrzehnte hinweg einen Rahmen gab. Zwei verheerende Weltkriege innerhalb von dreißig Jahren und insbesondere der eben erst kollabierte totale nationalsozialistische Staat in Deutschland hatten das Bewusstsein der Beteiligten geprägt. In einem Entwurf, der dem Parlamentarischen Rat als Arbeitsgrundlage diente, hatte ein vorangegangener Verfassungsausschuss aus den Ministerpräsidenten der Länder der drei Westzonen einen Artikel1 formuliert, dessen erster Absatz lautete: 'Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen.' Es bedarf wenig historischen Wissens, um zu erkennen, dass diese inhaltliche Positionierung des sogenannten 'Herrenchiemseer Entwurfes' aus dem Jahre 1948 das exakte Gegenteil der vorangegangenen Staatsauffassung markierte, in der es geheißen hatte: 'Du bist nichts, Dein Volk ist alles.' In der Endversion des Grundgesetzes von 1949 rückten dann die unantastbare Menschenwürde und die Unverletzlichkeit der menschlichen Freiheit an den Beginn. Deutschland erhielt auf diese Weise - zuerst in den drei Westzonen und dann im Jahre 1990 nach der Wiedervereinigung mit der vierten Zone im Osten auch dort - eine im geschichtlichen Kontext wie auch im internationalen Vergleich zweifellos bemerkenswerte Verfassung. Sie ermöglichte nicht nur einen feingliedrigen Interessenausgleich zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, sondern ihre Verfassungsprinzipien setzten dem politischen Streit einen klugen Rahmen. Bei aller stets möglichen Kritik im Detail bot das Grundgesetz daher seit 1949 eine augenscheinlich sehr gedeihliche Basis für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Blühen des ganzen Landes. Die Geschichte des demokratischen Rechtsstaates bleibt jedoch bei aller Freude über Gelungenes nicht stehen. Auch Gutes - und selbst das Beste - muss immer wieder daraufhin untersucht werden, ob es in seiner Gestalt den neuesten Anforderungen noch gerecht wird. Zu prüfen ist, ob die lieb gewonnenen Strukturen in ihrer gegebenen Form noch hinreichend resilient sind, um auf ihren Erhalt vertrauen zu können. Zu betrachten und zu diskutieren ist, ob Nachjustierungen sinnvoll und wünschenswert sind. Denn manches, was Menschen erfinden, erweist erst in der praktischen Erprobung, ob es die ursprünglichen Erwartungen erfüllt. Meine nachstehenden 'Modernisierungsvorschläge für eine Erhaltungssanierung des Grundgesetzes' wollen als ein Versuch verstanden sein, die klugen Prinzipien der bestehenden Verfassungsstruktur - weit über die Mindeststandards der bloßen 'Ewigkeitsgarantie' des Artikel 79 Abs. 3 GG hinaus - zu betonen und sie in ihrer Durchsetzungskraft zu stärken. Das Selbstbestimmungsprinzip einer demokratischen Republik soll zugleich gekräftigt und der bewusste und gewollte Zusammenhalt der Beteiligten dadurch gefestigt werden. Alle einzelnen Modernisierungsvorschläge stehen je für sich, um gesondert von anderen diskutiert werden zu können. Keinesfalls soll der vorgestellte Text als ein monistisches Konstrukt daherkommen, das entweder genau so oder gar nicht funktionsfähig wäre. Ein historischer Moment, der vermuten lässt, dass schon bald sehr grundsätzliche Fragen gestellt werden, legt nahe, den Sanierungsbedarf am Erhaltenswerten zu thematisieren. Bis 2030 sollte die gemeinschaftliche Erörterung abgeschlossen werden können. Auf dieser Annahme beruht der Name dieser Vorschläge. Um zu dokumentieren, wie viel (oder: wie wenig) meine ­Vorschläge in den bestehenden Textkörper eingreifen, stelle ich alle Artikel dar, d.h. auch jene, die in meinem Blick unverändert bleiben. Die jeweilige Anmerkung zeigt, dass und wo eine Modifikation angeregt wird und sie erläutert, warum dies geschieht. Würde man sich auf eine Neuverkündung der Verfassung verständigen, könnten (und sollten) die durch Zeitablauf zu totem Recht gewordenen Passagen selbstverständlich ihrerseits redaktionell bereinigt werden. Dies ist hier nicht das Thema. Fast zeitgleich mit dem 72.Geburtstag des Grundgesetzes liegt der 30.Jahrestag meiner eigenen juristischen Berufstätigkeit. Nach jetzt mehr als einem Vierteljahrhundert kontinuierlicher anwaltlicher Tätigkeit sind in manche meiner Formulierungen Erfahrungen eingeflossen, die die Alltagsarbeit als sinnvoll erwiesen hat. Wer in der Praxis juristisch arbeitet, wird dies unschwer erkennen. In den zahllosen Gesprächen, deren Ergebnisse in den Entwurf eingeflossen sind, wurde mir immer wieder auch die Frage gestellt, welches denn die wesentlichsten Neuerungen in meinen Vorschlägen seien. Ganz wesentlich erscheint mir, die Verantwortlichkeit der politischen Vertreter zu stärken und auf diese Weise zu einer effektiven Qualitätssicherung des staatlichen Handelns insgesamt zu gelangen. Es reicht nicht, Normen auf ihre Verfassungsmäßigkeit hin zu überprüfen. Verfassungsregeln müssen auch eine Prüfung auf ihre Kompatibilität mit allgemeinen Rechtsprinzipien bestehen. Dazu gehört wohl, den Fokus des Streites um ein freies oder ein gebundenes Mandat richtigerweise so zu justieren, dass die überall andernorts in unserer Rechtsordnung selbstverständliche Haftung des Vertreters für sein Tun in den verfassungsrechtlichen Kontext implementiert wird. Nächstens erfordert eine freie und menschenwürdige Selbstbestimmung nach meinem Dafürhalten eine Ausweitung der Bereiche, in denen subsidiäre Selbstverwaltung ermöglicht wird. Dies drückt sich im Rahmen des Kommunikationsrechtes primär in meinem Petitum für eine konsequente Selbstorganisation der Rundfunkteilnehmer aus und wird weitergehend durch einen gestärkten status negativus bei der Vereinigungsfreiheit eingebettet. Größere Gestaltungsspielräume auf kommunaler Ebene und das Wahlverfahren für den Bundespräsidenten sind ebenfalls deutlich dazu angetan, das demokratische Prinzip zu betonen. Indem kluge einfachgesetzliche Regeln des Beurkundungsrechtes für den parlamentarischen Gesetzwerdungsprozess fruchtbar gemacht werden, werden sich auch die durchweg belastenden Schwierigkeiten der heutigen Übernormierung schnell praktikabel lösen lassen. Oft habe ich bei der Entstehung dieses Textes wegen seiner ­Bezüge zu den Jahren 1945 bis 1949 an meinen eigenen Großvater gedacht. Leonhard Ingenhut (1898-1979) entstammte einer Arbeiterfamilie. Seine ­Eltern waren 1891 aus den Niederlanden nach Düsseldorf gekommen. ­Gerade vierzehnjährig, arbeitete er bereits als Grobschmied im Stahlwerk und wurde während der Weimarer Republik als Sozialdemokrat und Gewerkschafter sozialisiert. Sein spätes Studium der ­Nationalökonomie in Frankfurt am Main brach im April 1933 jäh ab, als er wegen seines Gewerkschaftsstipendiums zwangsexmatrikuliert ­wurde. Direkt nach dem Kriegsende 1945 gründete er in Düsseldorf mit Genehmigung der Britischen Militärverwaltung die SPD neu und beteiligte sich so am Wiederaufbau der zerstörten Stadt. Sein Selbstverständnis als Fraktionsvorsitzender der Düsseldorfer Ratsfraktion war bis zum Ende seiner Tätigkeit dort im März 1964, Stadt und Land besser verwalten zu wollen, als die...