Beschreibung
In vielen Ländern ist die Staatsverschuldung in den letzten 30 Jahren erheblich gestiegen. Es gibt jedoch Ausnahmen: Demokratien wie Schweden, Dänemark oder Kanada gelang es, dauerhaft Haushaltsüberschüsse zu erwirtschaften und ihre Staatsverschuldung abzubauen. Wie haben diese Länder die Überschüsse verwendet? Lukas Haffert kommt zu dem Ergebnis, dass die Gestaltungsfähigkeit ihrer Politik, anders als häufig versprochen, äußerst begrenzt geblieben ist: Sie investierten nicht mehr in Infrastruktur, Bildung und Familien als ihre Nachbarstaaten mit Haushaltsdefiziten. Lukas Haffert wurde ausgezeichnet mit: Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft 2015 und Deutscher Studienpreis der Körber-Stiftung 2015.
Autorenportrait
Lukas Haffert ist Oberassistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich.
Leseprobe
Vorwort In den Wochen, da dieses Buch erscheint, debattiert der Deutsche Bundestag über den Bundeshaushalt 2016, der zum dritten Mal in Folge ausgeglichen sein soll. Fast haben wir uns schon an diese "schwarze Null" gewöhnt. In der jüngeren deutschen Finanzgeschichte ist sie jedoch weiterhin etwas Besonderes: Vor 2014 hatte der Bund zuletzt 1969 einen ausgeglichenen Haushalt erzielt, noch 2010 lag das Haushaltsdefizit bei 4,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. In den mehr als vier Jahren meiner Arbeit an diesem Buch kam es deshalb zu einem häufig wiederkehrenden Dialog. Wann immer ich anderen von meinem Forschungsthema berichtete, reagierten sie nämlich mit einiger Skepsis: "Haushaltsüberschüsse - gibt es das überhaupt?" Ich erläuterte dann regelmäßig, dass solche Überschüsse tatsächlich verbreiteter seien, als man intuitiv annimmt. Kanada, Schweden oder Neuseeland hätten sogar für mehr als ein Jahrzehnt ununterbrochen Überschüsse erzielt. Damit war der Dialog jedoch nicht beendet. Denn meine Ausführungen lösten sogleich eine zweite Frage aus: "Das ist ja toll - wie machen die Länder denn das?" Diese Frage, erklärte ich dann, sei voreilig gestellt. Denn sie gehe davon aus, dass Überschüsse eine unzweifelhaft positive Sache sind, die alle Länder anstreben sollten. Das ist aber nicht zwingend der Fall. Denn nur weil Überschüsse mit einer Reihe positiver Versprechen verbunden sind, müssen sich diese nicht auch tatsächlich erfüllen. Bevor wir Überschüsse zu einem politischen Ziel ausrufen, so argumentierte ich, müssten wir erst einmal klären, ob sie tatsächlich die positiven Folgen haben, die wir ihnen zuschreiben. Genau dieser Frage ist dieses Buch gewidmet. Es ist eine gekürzte und überarbeitete Fassung meiner am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung (MPIfG) in Köln entstandenen Dissertation. In den vier Jahren, in denen ich dort den Abbau der finanziellen Verschuldung untersuchte, habe ich selbst zahlreiche intellektuelle Schulden angehäuft. Mein größter Gläubiger war dabei Wolfgang Streeck, der mit nie nachlassendem Elan in meine Verwandlung von einem politisch interessierten Ökonomen zu einem tatsächlichen politischen Ökonomen investiert hat. Ich hoffe, dass diese Anlage noch lange Zinsen trägt. Besonders danken möchte ich zudem meinem Zweitgutachter Martin Höpner, der das Buch bis in die letzte Überarbeitung hinein mit vielen klugen Hinweisen begleitet hat. Wichtige Anstöße habe ich darüber hinaus Marius Busemeyer, Henrik Enderlein, Sigrid Quack und Armin Schäfer zu verdanken, die mir in unterschiedlichen Phasen des Entstehungsprozesses mit Ratschlägen und Kommentaren zur Seite standen. Die finalen Überarbeitungen des Textes erfolgten in Florenz, wo Pepper Culpepper ein immer hilfreicher Mentor war. Wie jeder politische Ökonom weiß, ist der Ertrag einer Investition stets vom sozialen Umfeld abhängig, in das sie eingebettet wird. In dieser Hinsicht hat meine Arbeit maßgeblich vom regelmäßigen Austausch mit anderen (Post-) Doktoranden am Kölner Institut profitiert. Timur Ergen, Barbara Fulda, Sebastian Kohl, Daniel Mertens und Raphael Reinke hatten mit all den Schwierigkeiten des Dissertationsprozesses zu ringen, mit denen ich auch konfrontiert war - es war großartig, sie gemeinsam mit ihnen überwinden zu können. Lea Elsässer und Philip Mehrtens haben das Manuskript zum Schluss vollständig durchgearbeitet und mit vielen scharfsinnigen Korrekturen zu seiner Verbesserung beigetragen. Großen Dank schulde ich zudem den nichtwissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Instituts - die institutionelle Unterstützung, die man am MPIfG erfährt, ist wohl einzigartig. Die vielfältigen Quellen der Inspiration dort repräsentierte schließlich niemand besser als Carolin Lange, deren unbändige Lust auf pointierte Debatten mir eine ständige Herausforderung und Freude war. Was ich am MPIfG aber vor allem gelernt habe, ist eine bestimmte Haltung: dass nämlich sozialwissenschaftliche Forschung gerade deshalb attraktiv ist, weil sie keine endgültigen Antworten kennt. Dass es oft mehr wert ist, ein Problem präzise zu benennen, als eine scheinbare Lösung anzubieten. Und dass keine Theorie sich jemals endgültig durchsetzen und keine Theorie je vollständig zu den Akten gelegt werden kann. Diese Ambivalenz motiviert, immer noch weiter zu lesen, zu denken und zu zweifeln. Zürich, im Oktober 2015 Lukas Haffert Kapitel 1 Einleitung: Freiheit von Schulden - Freiheit zum Gestalten? But now, Mr. Speaker, having done what we had to do, we can see that the worst is behind us, that brighter days lie ahead. The era of cuts is ending. The finances of the nation are finally being brought under control. We are at the point where we are now able to forge a new destiny for ourselves. (Martin 1997: 28) Mit dieser pathetischen Formulierung präsentierte Finanzminister Paul Martin dem kanadischen Unterhaus am 18. Februar 1997 den ersten ausgeglichenen Staatshaushalt seit 1969. Damit, so seine Botschaft, ende eine Epoche, in der politische Entscheidungen immer öfter alternativlos, weil von unverrückbaren Sachzwängen getrieben gewesen seien. Die erfolgreiche Haushaltssanierung befreie die kanadische Politik aus den Fesseln dieser Alternativlosigkeit. Sie habe die Kraft zurückerlangt, Kanadas Zukunft aktiv zu gestalten. Angesichts der noch immer spürbaren Folgen der Weltfinanzkrise von 2008 ist die Rückgewinnung politischer Entscheidungsspielräume heute, achtzehn Jahre nach dieser Rede, weltweit eine dringliche Aufgabe. Denn mit dem Diktat des Sachzwangs ist ein fundamentales Problem für die Demokratie verbunden. Demokratie setzt die Möglichkeit einer Wahl zwischen Alternativen konstitutiv voraus. Wo aber jedes Wahlergebnis zur selben Politik führt, ist dieses demokratische Grundprinzip infrage gestellt (Schäfer/Streeck 2013a). Mit gutem Grund kürte die Gesellschaft für deutsche Sprache das Wort "alternativlos" daher zum Unwort des Jahres 2010. Diese Arbeit untersucht eine häufig vorgeschlagene Strategie zur "Rückgewinnung staatlicher Handlungsfähigkeit" (Wagschal/Wenzelburger 2008a): die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und den Abbau von Staatsverschuldung. Am Beispiel Kanadas und anderer Länder mit dauerhaften Haushaltsüberschüssen wird geprüft, ob diese ihr "Schicksal" im Sinne Martins tatsächlich zurück in die Hände der Politik legen konnten. Die Untersuchung kommt zu dem Ergebnis, dass diese Strategie wenig erfolgversprechend ist. Wo fiskalische Handlungsspielräume ausgebaut werden konnten, gelang dies durch eine Be-schränkung politischer Handlungsspielräume, sodass die Handlungsfähigkeit der Politik zwar neu justiert, aber eben nicht vergrößert wurde.1 1.1 Staatliche Handlungsfähigkeit und Verschuldung Dass die staatlichen Entscheidungsspielräume in den letzten Jahrzehnten erheblich geschrumpft sind, ist weitgehend unumstritten. Warum das aber so ist, dafür gibt es verschiedene Erklärungen. Bereits in den 1970er-Jahren sah eine breite sozialwissenschaftliche Literatur die zunehmende "Unregierbarkeit" demokratischer Gesellschaften voraus. Von konservativer Seite wurde dafür die "Anspruchsinflation" der Bürger, von linker Seite die permanente Notwendigkeit, ökonomische Konflikte politisch zu pazifizieren, verantwortlich gemacht (Schäfer 2008). Seit den 1980er-Jahren galt dann vor allem die Globalisierung als Ursache schrumpfender Handlungsspielräume (Scharpf 1991; Cerny 1996; Berger 2000). Die zunehmende ökonomische Integration zwinge die Staaten zu einem immer schärferen Wettbewerb um mobile Produktionsfaktoren, der zu einem Unterbietungswettkampf, etwa bei der Besteuerung, führe, in dem nationale Eigenheiten auf der Strecke blieben. Andere Autoren relativierten die Rolle der Globalisierung und betonten die vorwiegend in den Grenzen des Nationalstaats stattfindende Transformation von der Industrie- zur Dienstleistungsökonomie (Iversen/Wren 1998; Iversen 2005). Letztere leide vor allem an den gering...
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Schriften aus dem Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung, Köln